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Lass mich deine Hampelfrau sein. Katharina Matz lässt sich von Almut Zilcher auf den Arm nehmen.

© Arno Declair

Euripides-Abend am Deutschen Theater Berlin: Wie aus Tätern Helden werden

Was uns die Antike noch zu sagen hat: Stephan Kimmig sampelt mit seinem Abend „Hekabe – Im Herzen der Finsternis“ Euripides im Deutschen Theater.

Hekabe, Ex-Königin von Troja, hat im Krieg alles verloren. Die Stadt ist besiegt, ihr Mann tot. Gerade werden die letzten ihrer Kinder hingeschlachtet. Hinzu kommt ein erdrutschartiger Status-Verlust: Hekabe sieht sich von der stolzen Herrschersgattin zur kriegsgefangenen Dienerin des Odysseus herabgewürdigt.

All das macht die „Greisin“, wie sie sich im selten gespielten Drama „Hekabe“ des Euripides selbst nennt, zum Inbegriff der weiblichen Leidtragenden männlich geführter Kriege. Eben diesen Aspekt nimmt sich Stephan Kimmig mit seinem Abend „Hekabe – Im Herzen der Finsternis“ im Deutschen Theater Berlin vor: das Schicksal der gedemütigten, vergewaltigten, als Beute unter den Kriegsgewinnern verteilten Frauen, die sich unter Umständen allerdings auch grausam rächen.

Missbrauch und Rache

Kimmig ist in guter Gesellschaft. Gerade Regisseurinnen haben den (Trojanischen) Krieg in den letzten Jahren immer wieder aus der weiblichen Perspektive betrachtet; sei es Karin Beier mit den „Troerinnen“ nach Euripides und Sartre 2013 in Köln oder Karin Henkel mit ihrem Antiken-Parcours „Beute. Frauen. Krieg“ in Zürich.

Auch das damit naturgemäß verknüpfte Untergenre der männlichen Helden-Dekonstruktion findet sich derzeit in tadelloser Quantität auf den Theaterbühnen, aktuell zum Beispiel in der Berliner Volksbühne. Deren Schauspieldirektor Thorleifur Örn Arnarsson hat den Titelhelden der „Odyssee“ gerade in üppigen vier Stunden Spieldauer zum albern-armseligen Würstchen geschrumpft; ironischerweise unter maximaler Bühnenkraftmeierei.

Maskuline Geschichtsschreibung

„Aus Tätern werden Helden, sobald sie ihre Lieder dichten“, mahnt nun auch Linn Reusse im ersten Drittel des Kimmig-Abends zur kritischen Revision der maskulinen Geschichtsschreibung. Ansonsten geht die DT-Produktion den umgekehrten Weg zur Volksbühnen-Inszenierung: Kimmigs Achtzigminüter minimalistisch zu nennen, wäre fast noch übertrieben. Drei Schauspielerinnen und ein Schauspieler in schwarzen Klamotten stehen – akkompagniert vom Live-Musiker Michael Verhovec – hinter Notenständern auf der von Katja Haß bewusst verengten Bühne in Sperrholz-Optik. Von dort aus wird im Wesentlichen abendfüllend der Text über die Rampe deklamiert. Hier und da gibt’s kurze szenische Einsprengsel wie eine kleine militärische Sportstück-Choreografie. Ansonsten blättern die Schauspielerinnen und Schauspieler mit ruppiger Energie die Seiten um und arbeiten sich motivweise durch den Trojanischen Krieg.

„Die Götter“, „Die Männer“, „Die Frauen“ oder „Mütter“ heißen ihre leitmotivischen Songs. Kimmig und sein Dramaturg John von Düffel haben sie aus den „Troerinnen“ und der „Hekabe“ des Euripides sowie der „Odyssee“ gesampelt. Beim „Männer“-Kapitel etwa werden nur die Namen der Kriegsopfer mitsamt des jeweils Tötenden verlesen – von A bis E, das dauert schon eine kleine Ewigkeit. Und im Schlusskapitel „Herrscher“ tritt Paul Grill als exemplarischer Hyperchauvi auf. Kurzum: Die Rollen-Identitäten wechseln, der Sound bleibt im Wesentlichen gleich, obwohl die Interpretinnen ihn sich in unterschiedlicher Weise zu eigen machen. Katharina Matz, Almut Zilcher und Linn Reusse verkörpern nicht nur drei verschiedene (Frauen-)Generationen, sondern rücken dem archaischen Plot auch mit deutlichen Energie-Differenzen zu Leibe.

Archaischer Plot

Während die 89-jährige Matz sich den Zumutungen des Krieges und der Grausamkeit der Krieger zum Trotz um analytische Weisheit bemüht, klingt bei Zilcher in jeder Silbe passioniertes Aufbegehren wider das Unrecht durch. Und Linn Reusse, die Jüngste, ist die Kühne mit dem aufrechten Gang. Ganz gleich, ob sie als Hekabes Tochter Polyxena selbst geopfert wird oder als deren Schwiegertochter Andromache erfährt, dass ihr Säugling von den Klippen gestürzt werden soll: Unerschrocken sieht sie ihrem Schicksal entgegen. Paul Grill verkörpert wechselweise in demonstrativer Schurkenhaftigkeit die für das Frauenleid verantwortlichen Männerfiguren.

Ins von Joseph Conrad entlehnte „Herz der Finsternis“, das im Untertitel behauptet wird, dringt der Abend allerdings nicht vor. Hekabe bleibt ja nicht nur Opfer, sondern wird bei Euripides – wie auch bei Kimmig – als Rächerin selbst zur Täterin. Diese Ambivalenz könnte interessant sein, wird aber im eindeutigen Einheitssound des Abends glatt eingeebnet (Nächste Vorstellungen am 28. November sowie am 4., 7. und 29. Dezember).

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