zum Hauptinhalt
Schriller Spaß. Die Operette "Perlen der Kleopatra" an der Komischen Oper Berlin.

© Soeren Stache/dpa/picture-alliance

Ethel Matala de Mazza über populäre Genres: Das demokratische Versprechen

„Der Populäre Pakt“: Die Berliner Germanistin Ethel Matala de Mazza untersucht die Versöhnung von Operette und Massenpublikum.

Einer der bekanntesten Pakte der Literaturgeschichte ist der mit dem Teufel. Ob im Volksbuch, bei Christopher Marlowe oder bei Johann W. Goethe: Die gelehrte Titelfigur hat ihre Ambivalenzen. Was Faust zum Teufel treibt, ist nicht nur der Drang nach Erkenntnis, nicht nur Ahnung oder Neugier. Im Exil am Pazifik greift Thomas Mann 1943 den Stoff auf: Sein „Doktor Faustus“ ist weder Gelehrter noch Mystiker, er ist Tonsetzer, wie es im Roman ironisch-altertümelnd heißt, also Komponist.

Der Teufelspakt ermöglicht, so will es Serenus Zeitblom, der gelehrte Erzähler im Roman, das Gelingen in der Musik. Der Teufelspakt ist aber auch das Bild, mit dem der Chronist Zeitblom den Erfolg des Nationalsozialismus beschreibt. Im tiefsinnigen und schicksalsgeplagten Faust will er die Deutschen erkennen, die tragisch zum Bösen „verführt“ wurden. Diese fatale Deutung führt der Roman kritisch vor.

Auf den Spuren von Siegfried Kracauer

Nun hat der junge Thomas Mann, wie Ethel Matala de Mazza erinnert, selbst zur Geschichtserzählung von den „großen Männern“ beigetragen: In seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ erklärte er Deutschland zum Land des großen Mannes, setzte tiefe Kultur und oberflächliche Zivilisation in unversöhnlichen Kontrast. Matala interessiert sich für die Seite, die als oberflächlich und leicht verschrien ist: für die populären Genres. Damit erzählt ihr „Populärer Pakt“ auch einen Teil der Gegengeschichte zu Zeitbloms schicksalhafter Deutung.

Auf den Spuren von Siegfried Kracauer untersucht Matala die Geschichte einer demokratischen Hoffnung, des Versprechens umfangreicher Teilhabe, nicht nur politisch, sondern auch ästhetisch. Der populäre Pakt, das ist der Pakt der populären Genres mit dem Massenpublikum. Das Buch endet, so viel sei vorweggenommen, mit Hitler in der Operette. Dessen Enthusiasmus für das Musiktheater jenseits von Wagner, besonders für die „Lustige Witwe“ von Franz Lehár ist gut dokumentiert.

Vom späten 18. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre untersucht Matala das Feld, von Heinrich Heine zum Heine-Verächter Karl Kraus, vom Gesellschaftskontrakt Jean-Jacques Rousseaus zu Carl Schmitts politischer Romantik. Dabei geht es ihr auch um Konzepte von Öffentlichkeit: Am Beispiel der Operette will sie eine Dimension der Repräsentation erkunden, die in Jürgen Habermas’ Überlegungen zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ oder Richard Sennetts Erörterungen über „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ fehle.

Jacques Offenbach ist die Zentralgestalt des Buches

Das demokratische Versprechen zeige sich, so Matala, in großen Gesten und in kleinen Formen. Zu den großen Gesten gehört der Sturm auf die „Bastille des Vergnügens“. Gemeint ist die Eskalation eines altehrwürdigen, aristokratischen Festes im Jahr 1833 – des Pariser Opernballs. Tausende kostümierte Gäste strömten in die Oper, eroberten die Bühne und forderten den anrüchigen Cancan. Die Ordnungskräfte gaben auf, die Presse berichtete von der Invasion des Pöbels.

Zu den kleinen Formen gehören die gelben oder blassblauen Hefte im unscheinbaren Taschenformat, die in den 1830er Jahren den Publikationsmarkt erobern: die „Physiologien“. Sie widmen sich den Spielarten und Spielorten des Vergnügens. Zu den berühmtesten Exempeln des Genres gehört Honoré de Balzacs „Physiologie der Ehe“ von 1829, pikanter ist die 1842 veröffentlichte „Physiologie der ersten Hochzeitsnacht“. Die „Physiologie der Pariser Bälle“ erscheint 1845, zwölf Jahre nach dem Sturm.

Ethel Matala de Mazza, Professorin für Neuere deutsche Literatur an der HU Berlin
Ethel Matala de Mazza, Professorin für Neuere deutsche Literatur an der HU Berlin

© Andreas Labes

Im Jahr des Sturms, 1833, kommt Jacques Offenbach nach Paris. Mit ihm wird im Frankreich des Zweiten Kaiserreichs die Operette populär. Kracauer hatte dem Erfolg des Genres eine „Gesellschaftsbiographie“ gewidmet, die wie Thomas Manns „Doktor Faustus“ im Exil entstanden ist: 1937 erschien die Erstauflage in Amsterdam. Für Matala wird Kracauer zum theoretischen Gewährsmann, der auch gegen die Invektiven Theodor W. Adornos zu verteidigen ist.

Jacques Offenbach ist die Zentralgestalt des Buches. Er steht namentlich und exemplarisch für die Komponisten, die der Allgemeinheit einen populären Pakt antragen, indem sie „eine Egalität zelebrieren, die Diversität nicht ausschließt“. Für einen Moment scheint der Pakt mit den Massen als ein demokratischer und pluraler möglich: ein „Pfand für eine Zukunft“, wie Matala an Kracauer anschließend schreibt. Vom Paris des 19. Jahrhunderts streift ihr Blick, der Operettengeschichte folgend, nach Wien und nach Berlin. Sie verfolgt die Wandlungen des Genres bis zu Franz Lehár. „Ich glaube an den Druckfehlerteufel“, hat der Wiener Publizist Karl Kraus einmal bekannt, als er von einer Aufführung des „König Lehar“ las. Für Kraus ein unscheinbares Zeichen des Kulturverfalls: Die charmante Pracht Offenbachs endet in den politischen und ästhetischen Niederungen der „Lustigen Witwe“. Karl Kraus, dessen antifranzösische und antisemitische Tendenzen Matala thematisiert, gehört auch das imaginäre letzte Wort im Buch: Vom Gigolo zum Völkermörder sei es „manchmal nur ein Schritt“. Was soll da „manchmal“ heißen? Darauf kommt es an, sonst bleibt vom demokratischen Versprechen nicht viel.

Ehel Matala de Mazza: Der populäre Pakt. Verhandlungen der Moderne zwischen Operette und Feuilleton. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2018. 480 Seiten, 25 €.

Hendrikje Schauer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false