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Die Journalistinnen und Autorinnen Fatma Aydemir (links) und Hengameh Yaghoobifarah

© Valerie-Siba Rousparast / Ullstein

Essayband „Eure Heimat ist unser Albtraum“: Bessere Alternativen für Deutschland

Der von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah herausgegebene Essayband „Eure Heimat ist unser Albtraum“ stellt die Frage: Wo wollen wir zusammen hin?

Immer wieder diese Frage. Sie wird vielen ihr Leben lang nicht ein einziges Mal gestellt, während sie für andere zum Alltag gehört: „Wo kommst du her?“ Das zu fragen impliziert, dass manche Menschen ganz natürlich nach Deutschland gehören, während andere als fremd wahrgenommen werden, egal, wie lange sie, ihre Eltern oder ihre Großeltern bereits hier leben. Wie nervtötend und diskriminierend es ist, diese Frage immer wieder beantworten müssen, lässt sich derzeit auch auf Twitter unter #vonhier verfolgen.

Die Frage ist auch nichts Neues für die vierzehn Autorinnen und Autoren, deren Essays in „Eure Heimat ist unser Albtraum“ versammelt sind. Sie zieht sich durch das Buch wie ein roter Faden. Herausgegeben haben den Band die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah und Fatma Aydemir, die 2017 mit dem Roman „Ellbogen“ debütierte. In teils persönlichen, teils analytischen Essays, die witzig und wütend, berührend und bedrückend sind, erzählen die Autorinnen und Autoren vom Leben als „Andere“. Ausgangspunkt für den Band war die Umbenennung des Innenministeriums in das „Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat“ vor einem Jahr. Zeitgleich verkündete Horst Seehofer, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Und machte so nur allzu deutlich, für wen Deutschland in seinen Augen Heimat sein kann.

Selbstermächtigung und Anklage

Die Essays in diesem Band sind eine Selbstermächtigung für alle Menschen in Deutschland, die rassistische Diskriminierung erfahren. Das zeigt schon die so einfache wie schöne Widmung „für uns“. „Meine Kanaken-Pussi braucht Platz, viel, viel Platz!“, attestiert Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray in ihrem Text über die Zusammenhänge von Sexualität und Rassismus. Und Sasha Marianna Salzmann beschließt ihren Essay über ihre Allianzen als jüdische, queere Person mit anderen Marginalisierten mit den Worten: „Wir sind die Alternative für Deutschland.“

Das Buch ist aber auch eine Anklage, etwa wenn Deniz Utlu in seinem bewegenden Text aufzeigt, wieso viele Menschen in diesem Land sich von Polizei und Verfassungsschutz alles andere als geschützt fühlen. Schrecklichstes Beispiel für den strukturellen Rassismus in den Sicherheitsbehörden ist das Versagen bei den Ermittlungen zu den NSU-Morden. Utlu zitiert eine Analyse des Hauptkommissars Udo Haßmann von 2007 zu der Mordserie. Haßmann legte dar, wieso die Täter aus der migrantischen Community kommen müssen und daher in keinem anderen Milieu ermittelt werde. „Die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis“, schrieb Haßmann, sei „mit einem hohen Tabu belegt“. Im Gegensatz zur türkischen Community also, wo es dem Kommissar normal scheint, sich gegenseitig umzubringen. „Vertrauen ist erst möglich, wenn alle Menschen gleichermaßen geschützt sind“, schreibt Utlu. Davon ist Deutschland noch meilenweit entfernt.

Mit dem Heimatbegriff und seiner Geschichte von Industrieller Revolution und Romantik über Nationalsozialismus und Neue Rechte beschäftigt sich die Kulturwissenschaftlerin und Autorin Mithu Sanyal in ihrem Essay „Zuhause“. Wenn Heimat ein sicherer Ort ist, an dem man nicht hinterfragt wird, schreibt Sanyal, dann hätten Leute wie sie keine Heimat.

Es geht darum, was als normal gilt

Sanyal hat als Ursache für die ewige Herkunftsfrage die „3-H-Formel“ erfunden: „Haut, Haare, Hämoglobin“. Letzteres ist der rote Blutfarbstoff, er weise auf den „Catch-22 bei der ganzen Heimatangelegenheit“ hin, das Abstammungsprinzip. Denn selbst wenn heute nicht mehr das Blutrecht gilt, das belegt, dass nur die Herkunft des Vaters – und Jahrzehnte später auch der Mutter – über das Deutschsein entscheidet, so sei diese Vorstellung doch in vielen Köpfen geblieben. Nicht umsonst, merkt Sanyal an, habe die Neue Rechte den Begriff „Passdeutsche“ erfunden, der Menschen mit deutschem Pass von „echten Deutschen“ unterscheiden soll. „Funktioniert Nation als Grenze nach außen, so bildet Heimat eine Grenze nach innen“, schreibt die Autorin. An was es derzeit mangele, seien echte Visionen für das Land. „Wo kommst du her?“, sei nicht entscheidend, so Sanyal. Die Frage der Zukunft laute: „Wo wollen wir zusammen hin?“

Der Essayband ist auch ein Aufruf zu Solidarität an alle, die nicht von struktureller Diskriminierung betroffen sind. Die Theatermacherin und Aktivistin Simone Dede Ayivi berichtet von einer motivierenden Erfahrung in Kreuzberg, wo gleich mehrere Personen das rassistische Verhalten eines Polizisten kritisierten, noch bevor sie selbst etwas sagen konnte. Das Gefühl, sich nicht allein wehren zu müssen, sei enorm wichtig, um die Energie für aktivistische Arbeit aufzubringen, schreibt Ayivi. Denn es gehe immer um die Frage, was normal sei. Wenn in der Öffentlichkeit rassistische Beleidigungen und Übergriffe stattfinden können, ohne dass jemand einschreitet, normalisiert das ein solches Verhalten.

Es liegt an der sogenannten Mehrheitsgesellschaft, zuzuhören, aufzubegehren, Stellung zu beziehen. Und gemeinsam zu kämpfen für eine Gesellschaft, in der niemand mehr nach der „eigentlichen“ Herkunft gefragt wird. Rassismus geht alle etwas an.

Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah (Hrsg.): Eure Heimat ist unser Albtraum. Ullstein 5, Berlin 2019. 208 Seiten, 20 €.

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