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Gold auf Beton. Wagners Welttheaterprolog über Gier, Macht und Fluch kann nicht im Opernhaus stattfinden, ersatzweise spielt das Ensemble unter freiem Himmel.

© Bernd Uhlig

Es gibt wieder Theater vor Publikum: Nur regnen darf es nicht

Endlich wieder live: Die Deutsche Oper zeigt „Rheingold“ auf ihrem Parkdeck, Deutsches Theater und Berliner Ensemble spielen in ihren Höfen.

Deutsche Oper

Es gibt zwei Wege, sich diesem „Rheingold“ auf dem Parkdeck der Deutschen Oper zu nähern. Der eine führt die links platzierten Zuschauer von der Krummen Straße eine Rampe hinauf, der andere die Rechtssitzer von der Zillestraße um die Ecke. Zum Empfang gibt es eine Stoffmaske mit „Hojotoho!“-Aufdruck zum Programmzettel.

Wenn das kein bedrückendes Vorzeichen ist. Dieser markige Kriegsruf erschallt zu Beginn der „Walküre“, die die Deutsche Oper Ende September neu herausbringen will, dann im Opernhaus, mit vollen Segeln, nicht wie die kurzfristig als Ersatz für die „Rheingold“-Premiere anberaumte Umnutzung des leerstehenden Parkdecks. Hier ist es möglich, trotz offiziell geschlossener Bühnen zu spielen, weil man unter freiem Himmel sitzt. Nur regnen darf es nicht.

An sechs Abenden können jeweils 175 Zuschauer, umringt von mit Planen verhüllten Sperrsitzen, Platz nehmen. Die Karten für einen Einzel- oder Doppelsitz wurden gegen eine Schutzgebühr von fünf Euro ausgegeben und waren innerhalb weniger Minuten vergriffen. Obendrauf kann man spenden, was man mag; ein alter Opernfreund schiebt einen 200-Euro- Schein in die Plexiglasbox.

Die Förderer der Deutschen Oper und Sponsoren des unsanft ausgebremsten „Ring“-Projekts wirken wie verirrt auf dem asphaltierten Innenhof des Parkdecks. Intendant Dietmar Schwarz und Generalmusikdirektor Donald Runnicles richten das Wort an die selbst in den Lücken noch lückenhaft besetzten Reihen.

Der eine freut sich darüber, mal nicht alles digital machen zu müssen, der andere über sein Weltklasse-Orchester, das, leicht elektronisch verstärkt und ganz weit oben auf der Bühnenbildverladeempore, eine auf 22 Musizierende eingedampfte „Rheingold“-Einrichtung von Jonathan Dove spielt.

Die szenische Einrichtung stammt von Spielleiter Neil Barr

Der Kontakt zu den entschlossenen, aber einzeln irrlichternden Sängerinnen und Sängern ist lose. Eines muss bei diesem Lebenszeichen von Berlins größter Opernbühne klargestellt werden: Was zu sehen ist auf dem Parkdeck, hat nichts damit zu tun, was der neue „Ring“-Deuter Stefan Herheim inszenieren will. Der Regisseur sitzt zwar im Publikum und sieht der Besetzung zu, doch die szenische Einrichtung hat Spielleiter Neil Barry Moss übernommen. Doch der spontane Griff in den Fundus ist an der Deutschen Oper nicht gleichbedeutend mit Ironie und Spielintelligenz. Das können sie zum Beispiel in Neukölln besser.

Etwas aus der Gedankenwelt dieses seit Jahren geplanten Großprojekts zu zeigen – und sei es als erweiterte Sitzprobe mit Regisseur –, wäre ein Akt offensiver Kulturverteidigung gewesen. Er hätte Neugier wecken können, vielleicht sogar ein wildes Opernvermissen ausbrechen lassen. Wagners Welttheaterprolog als halb klamottierende, halb erstarrte Hinterhofnummer vermag das nicht auszulösen. Wer will, kann das Corona in die Schuhe schieben. Es gibt zwei Wege, dieses „Rheingold“ auf dem Parkdeck zu verlassen. Ulrich Amling

[Nächste Vorstellungen: Deutsche Oper 16., 18., 19., 20. und 21. Juni, ausverkauft;]

Berliner Ensemble

Was macht ein Mensch, der nach langer Quarantäne endlich wieder das Haus verlassen darf? Stürzt er sich gleich auf die so lange liegen gebliebenen Weltverbesserungspläne, geht er Blut spenden, rettet er einen Welpen aus dem Tierheim? Oder will er erst mal nur Spaß haben? Vermutlich Letzteres.

Und weil auch Schauspielerinnen und Schauspieler am Ende des Tages irgendwo normale Menschen sind, nehmen die Mitglieder des Berliner Ensembles nach Monaten der Entbehrung ihren Beruf nicht gleich in voller Gedankenschwere wieder auf.

Im Hof des Hauses ist eine kleine Open-Air-Bühne errichtet worden, für muntere, knapp einstündige Umsonst- und-draußen-Abende, Motto: Hauptsache wieder spielen. Natürlich unter Einhaltung der Hygieneregeln, für luftig verteilte, vorab angemeldete 50 Zuschauerinnen und Zuschauer.

Zuschauer sitzen vor der Bühne beim Hof-Theater des Berliner Ensemble vor der Aufführung des Stücks „Bussi BaBaal – einmal Baal To Go“.
Zuschauer sitzen vor der Bühne beim Hof-Theater des Berliner Ensemble vor der Aufführung des Stücks „Bussi BaBaal – einmal Baal To Go“.

© Britta Pedersen/dpa

Stefanie Reinsperger hat diese Miniaturen-Reihe eröffnet, mit einem Solo, das inspiriert war von der „Baal“-Inszenierung, die Regisseur Ersan Mondtag am BE probte, bis die Pandemie kam. Für „Bussi BaBaal – einmal Baal To Go“ hat sich die Schauspielerin dem Vernehmen nach einen großen Plastikpenis als Spielpartner mit auf die Bühne genommen und gute Laune verbreitet.

Der Folgeabend ist dann leider wegen Regens abgesagt worden, der Fluch der Freiluftsaison eben. Getroffen hat es den Schauspieler Hans Peter Silvester Luppa, der unter dem schillernden Titel „Auch Zwerge haben klein angefangen“ davon erzählen wollte, wie er's als Künstler mit aus der Norm fallender Körpergröße ans berühmte BE geschafft hat. Schade, aber in der kommenden Woche kriegt er eine neue Chance.

Gut gelungen: der Liederabend „Bonnie ohne Kleid“

Sina Martens zumindest blickt in einen makellos blauen Himmel, als sie das Lied „In dieser Stadt“ von Hildegard Knef anstimmt. Diese große alte Sehnsuchtshymne, in der „Fritz“ auf „Witz“ gereimt wird. Martens hat sich also für die Variante Liederabend entschieden, was ja nie verkehrt ist, es sei denn, man kann nicht singen. Kann sie aber.

Es bleibt zwar etwas rätselhaft, weshalb sie ihren Beitrag zum Teaser-Spielbetrieb des BE „Bonnie ohne Kleid“ getauft hat. Aber der Freude soll's keinen Abbruch tun. Zusammen mit dem Musiker Sascha Hünermund fächert sie ein Repertoire auf, das von Queen Bee bis zu Wolf Biermann reicht. Und zwischen den Songs gibt's Denkanstöße.

Martens findet nämlich, dass wir in einer Welt leben, in der mehr Antworten als Fragen existieren. Weswegen sie nun also Fragen ins sommerliche Ambiente des Hofes wirft (entliehen von Max Frisch sowie Peter Fischli und David Weiss).

Sehr bemerkenswerte darunter. „Gesetzt den Fall, Sie haben noch nie einen Menschen umgebracht – wie erklären Sie sich, dass es noch nie dazu gekommen ist?“ Oder: „Haben Sie Humor, wenn Sie allein sind?“ An poetischer Schönheit fallen diese Intermezzi jedenfalls nicht hinter Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ oder Sophie Hungers „Walzer für Niemand“ zurück. Patrick Wildermann

[Nächste Vorstellungen: BE 14., 17. bis 21. Juni]

Deutsches Theater

Die Schwarzseher unter den Theatergängern rechnen ja für die nächste Saison mit einem ziemlich monothematischen Spielplan. Keine Bühne, die nicht in irgendeiner Weise mit der „Pest“ aufwarten wird, so die Befürchtung. Albert Camus’ allegorischer Roman aus dem Jahr 1947, in dem ein Seuchenausbruch eine Stadt in den Ausnahmezustand zwingt, gilt seit dem Corona-Shutdown als dramatisch praktisch alternativlos.

Dem Deutschen Theater, das „Die Pest“ jetzt tatsächlich als erste Live-Vorstellung nach den Lockerungen für jeweils 50 Zuschauer auf dem Vorplatz spielt, muss man in diesem Punkt allerdings echten Avantgarde-Charakter bescheinigen: András Dömötörs Camus-Adaption feierte schon vergangenen November Premiere in der Box des DT.

Zu Zeiten also, in denen Kategorien wie „social distancing“ noch nicht im Sprachgebrauch existierten und niemand im Entferntesten ahnte, dass Sätze über geschlossene Städte und quarantänebedingt getrennte Paare in Kürze zur tagesaktuellen Zustandsbeschreibung mutieren könnten.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog]

Prophetische Qualitäten hat Dömötör dabei nicht nur thematisch bewiesen, sondern auch in puncto Inszenierungspraxis. In seinem „Pest“-Abend lief auch schon vor Corona kein Schauspieler Gefahr, dem anderen zu nahe zu kommen, weil Božidar Kocevski das Romanpersonal ohnehin quasi im Alleingang schultert.

Angefangen von der Hauptfigur, dem Arzt Rieux, der seine kranke Frau aus dem Pest-Gebiet heraus in Sicherheit bringt, wo sie dann absurderweise in einem Sanatorium stirbt, über den Journalisten Rambert, der die unter Quarantäne stehende Stadt zu verlassen versucht, bis zu Rieux´ politisch engagiertem Nachbarn Tarrou.

András Dömötörs Camus-Adaption hat Avantgarde-Charakter

Ein Podest mit Rückwand auf dem Vorplatz, darauf ein paar Stühle sowie Stimmen- und Positionswechsel des Schauspielers: Das reicht. Božidar Kocevski spielt „Die Pest“ so schnörkellos und konzentriert, das er am Schluss Bravi bekommt.

Auch wenn ein Teil davon nicht nur ihm, sondern dem Theater an sich gilt: Euphorisch bejubelt wird hier auch die schlichte Tatsache, dass es wieder da ist. Einige Theater-Mitarbeiterinnen haben sich für die Vorstellung sogar Stühle an die offenen Fenster gestellt und schauen aus ihren Büros zu; die Karten waren binnen kürzester Zeit ausverkauft.

[Nächste Vorstellungen: Deutsches Theater, 15. und 16. Juni, 20.30 Uhr]

Fazit: Endlich wieder Theater – auch wenn man sich an die Umstände noch gewöhnen muss. Das Einlasspersonal trägt auch unter freiem Himmel Mund-Nasen- Schutz, und die Möglichkeit zur individualdialogischen Abendaufarbeitung mit dem Sitznachbarn tendiert gegen null. Christine Wahl

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