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Bereit für Gesang, Musik und Wallfahrt: ein Anhänger der Sufi-Bruderschaft der Muriden vor der großen Moschee in Tuba im Senegal.

© imago images/Le Pictorium

Es gibt nicht nur den politischen Islam: Singende Bruderschaften und feministische Islam-Schwestern

Die Ethnologin Susanne Schröter preist die regionale Vielfalt und progressive Ausleger des Islam - als Gegenpol zum politischen Islam.

Wenn in Deutschland vom Islam die Rede ist, dann meist vom politischen Islam. Die Gründe liegen auf der Hand: Entweder macht ein muslimischer Schüler in Berlin Schlagzeilen, weil er sich weigert die Hand einer Lehrerin zu schütteln. Oder ein Terroranschlag, angeblich verübt im Namen Allahs, erschüttert eine Großstadt.

Darüber werden jedoch die vielen anderen Spielarten dieser Weltreligion ignoriert, die ja auch eine spirituelle Kraft ist und eine starke innere Vielfalt aufweist. Nicht nur, weil es verschiedene Denkschulen gab und gibt, sondern auch weil der Islam sich ab dem Jahr 630 nur so schnell bis nach Spanien und China verbreiten könnte, weil er sich an lokale Besonderheiten, Praktiken und lokale religiöse Traditionen anpasste und teilweise mit ihnen vermischte.

So hat sich beispielsweise in Afrika die Verehrung von Marabouts, also lokalen Heiligen, erhalten. Im Senegal sieht die mächtige Bruderschaft der Muriden die Arbeit als Gottesdienst an, und zu ihrer Spiritualität gehören Gesang und Musik.

Bekannter sind die tanzenden Sufi-Derwische in der Türkei, die durch das Drehen um die eigene Achse in einen ekstatischen Zustand gelangen, in dem sie sich Gott besonders nahe fühlen – mittlerweile ein beliebtes Programm für Touristen. Und in Malaysia kämpfen die „Islamischen Schwestern“ seit 1990 mit dem Koran gegen dessen frauenfeindliche Auslegung.

Unorthodoxe und liberal-progressive Islam-Auslegungen

Die deutsche Ethnologin Susanne Schröter, die sich mit ihren Thesen und ihrer Warnung vor dem politischen Islam in Deutschland viel Zuspruch und Widerspruch eingehandelt hat, legt jetzt in einem schmalen Bändchen das Augenmerk auf meist unorthodoxe Bruderschaften und progressiv-liberale Islam-Interpretationen in Asien, Afrika, Europa und den USA, die durch eine bunte, pragmatische und oft lebensfrohe Kraft beeindrucken – und die eint, dass sie von sogenannten Fundamentalisten abgelehnt werden.

[ Susanne Schröter, Allahs Karawane: Eine Reise durch das islamische Multiversum, C.H.Beck, 2021, 203 Seiten, 16.95€.]

Diese Reise durch ein vielen unbekanntes Islam-„Multiversum“ ist ein faszinierendes Kontrastprogramm zum sogenannten politischen Islam, unter dem eine fundamentalistische Auslegung der islamischen Quellen und der Anspruch auf eine bestimmte politische Ordnung verstanden wird.

Daher ist es löblich und erfrischend, dass die Professorin für „Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen“ an der Goethe-Universität Frankfurt, die 2014 das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“ gründete, einige davon nun vorstellt.

Musliminnen vor dem Gebet in Yogiakarta in Indonesien.
Musliminnen vor dem Gebet in Yogiakarta in Indonesien.

© imago images/INA Photo Agency

Es ist völlig legitim, dass die Autorin dabei vielleicht auch im Hinterkopf hatte, den Vorwurf der Islamfeindlichkeit zu widerlegen, der der streitbaren Wissenschaftlerin gemacht wurde: Ihr Buch „Politischer Islam. Stresstest für Deutschland“ (2019), hatte dezidiert vor dem politischen Islam und den freiheitsfeindlichen Bestrebungen großer Islamverbände in Deutschland gewarnt. Da Schröter für eine Wissenschaftlerin sehr eindeutige politische Position bezieht und beispielsweise das Kopftuch nur als Zeichen eines religiös begründeten Patriarchalismus gelten lässt, wurde sie stark kritisiert.

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Das neue Buch mit seinen 172 Seiten blickt zwar nur schlaglichtartig auf unterschiedlichste Protagonisten eines Reformislams, mystischer Richtungen oder Verfechter eines Euro-Islams. Da so viele verschiedene Länder, Richtungen und Namen genannt werden, ist es teilweise verwirrend, weil der Kontext nur skizziert werden kann. Aber der Band hinterlässt den Eindruck extremer Vielfalt.

Im Deutschland-Kapitel zeigt die Autorin ihre Präferenzen wieder deutlich

Dieses Überblicksartige ist der Autorin nicht vorzuwerfen. Vielmehr stößt einem die Vermengung zwischen wissenschaftlicher Arbeit und politischer Stellungnahme auf – auch wenn die Autorin sich über weite Strecken sehr zurücknimmt. Schon in der Einleitung verurteilt sie den politischen Islam pauschal als eine „der wenig liebenswerten Spielarten“ der Religion.

Spätestens im letzten Kapitel zu Deutschland wird die Autorin zur Akteurin – hier wechselt sie bei der Vorstellung der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin sogar in die Ich-Form über und lässt ihrer Begeisterung für dieses Projekt freien Lauf („spektakuläre“ Eröffnung, „liebevoll gestalteter" Gebetsraum).

Nach der Vorstellung des reformorientierten Islamwissenschaftlers Mouhanad Khoride, der an der Universität Münster islamische Religionspädagogik lehrt und Autor eines auf 17 Bände angelegten historisch-kritischen Koran-Kommentars ist, nennt sie fast in einem Atemzug Hamed Abdel-Samad als quasi ebenbürtigen Wissenschaftler und einen der „profiliertesten Kritiker islamischer Orthodoxie“. Dass der aus Ägypten stammende Politologe hierzulande mit am unversöhnlichsten auf den Islam und seine offiziellen Vertreter eindrischt, ist unbestritten. Aber das ist überwiegend Polemik.

Die Tatsache, dass er selbst Mitglied der Muslimbruderschaft war, Gewalt erlitt und einen persönlichen Leidensweg hinter sich hat, mag bei ihm eine Rolle spielen. Aber warum Schröter diesen Provokateur als Kronzeugen für eine andere Spielart des Islam anführt, bleibt schleierhaft. Und mit Sätzen, dass Adel-Samad von mehreren Leibwächtern begleitet werden muss und er „keine unbeschwerten Tage“ mehr habe, endet dieses Buch abrupt .

Natürlich ist es ein Skandal, dass Abdel-Samad in Deutschland Polizeischutz braucht. Aber am Ende dieser insgesamt elf Kapitel hätte man sich doch eine Erörterung gewünscht, warum so viele dieser Minderheitsinterpretationen – oder aber auch der europäische Islam aus Südosteuropa – global so wenig Einfluss haben und warum die orthodoxen Interpretationen von der arabischen Halbinsel und ihrem Umkreis noch immer dominieren.

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