zum Hauptinhalt
Die Art Cologne wurde kurzfristig abgesagt, die Berliner Galerie Friese zog mit ihrer Kunst daraufhin in den Showroom eines Kölner Interior-Designers.

© Alistair Overbeck / VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Es braucht dringend Veränderung: Corona bringt die Krise der Kunstmessen zum Vorschein

Die Messen gehören zu den Verlierern im Corona-Jahr. Wenn sie weiter relevant bleiben wollen, brauchen sie neue Ideen für die Zukunft.

Dominique Lévy ist eine Frau der klaren Worte: „Es hat nicht funktioniert“, erklärte sie nach dem Besuch des ersten Online-Viewing-Rooms, den die Art Basel nach der Absage ihrer Messe in Hongkong hastig auf die Beine gestellt hatte.

„Es war langsam und ohne jede Möglichkeit, gute Freunde zu treffen.“ Ein harsches Urteil der global agierenden Schweizer Galeristin über den Einsatz einer Technologie, die künftig eine noch weit wichtigere Rolle für den Kunstmarkt spielen wird.

Seit jenem März hat sich einiges bei jenen Messen getan, die wegen Covid-19 ausfallen mussten, doch immer noch schaut man erstaunt auf den status quo ihrer digitalen Vertriebskanäle.

Ein Galerist wie David Zwirner, der neben Gagosian und Pace zu den Großen der Branche zählt, eröffnete schon 2017 seinen ersten Online-Showroom; während des Lockdowns lud er zwölf kleinere Galerien aus New York ein, dort KünstlerInnen zu präsentieren.

Zwirners Konkurrenz zieht nach, und auch wenn mit der VIP Art Fair das Experiment einer reinen Online-Messe 2011 krachend scheiterte, müsste den Messen klar sein, dass um sie herum immer mehr digitale Vertriebskanäle ihre Arbeit aufnehmen: Statt schwerer Gemälde und Skulpturen reisen deren hochauflösende Abbilder sekundenschnell um die Welt.

Die Angst sich selbst überflüssig zu machen

Was sich in pandemischen Zeiten beschleunigt und bald wohl ein existenzielles Thema wird, kündigt sich also schon länger an. Und gibt es da nicht noch das drängende Thema Klima, dem es zugute käme, wenn Sammler nicht alljährlich von der Frieze in London bis zur Artbo in Bogotá einmal komplett um die Welt reisen würden.

Man muss es klar sagen: Der Kunstmarkt, dessen traditionelles Geschäft stets die unmittelbare Begegnung mit den Werken war, reagiert verhalten auf die Herausforderungen der Zukunft.

Und vielleicht gibt es dafür ja gute Gründe. Zu ihnen zählt nicht zuletzt die Angst, sich selbst überflüssig zu machen, wenn Kunst bloß noch digital verschickt und gehandelt wird.

Glaubt man dem jüngsten Buch von Dirk Boll, der schon mehrfach zum Thema geschrieben hat, dann riskieren die Messen mit ihrer Zögerlichkeit viel. „Was ist diesmal anders?“, soeben im Hatje Cantz Verlag erschienen und offenbar in kürzester Zeit verlegt – was leider auch das holprige Lektorat verrät –, erweist sich als Publikation zur Zeit.

Auktionshäuser sind schon länger Online unterwegs

Boll vollzieht die Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahrzehnte nach und analysiert ihre Wirkung auf den Kunstmarkt: auf Messen, Galerien, Auktionshäuser. Letztere kennt er als einer der Präsidenten von Christie’s besonders gut, und obwohl er deshalb nicht ganz objektiv sein kann, lassen sich seine Schlussfolgerungen absolut nachvollziehen.

Versteigerer sind nämlich schon länger dabei, ihre Kunden an Live- oder Online-only-Auktionen am heimischen PC zu gewöhnen. Von den Corona-Bedingungen waren sie ebenfalls betroffen, das Publikum durfte nicht in den Auktionssaal – dennoch wurden, auch in Deutschland, gute Geschäfte gemacht.

In Köln bescherte Lempertz dem französischen Maler Georges de la Tour mit 4,34 Millionen Euro einen Weltrekord, die nächtliche Szene aus dem 17. Jahrhundert ging an ein internationales Museum. Das Münchner Auktionshaus Ketterer setzte allein im Herbst rund 30 Millionen Euro um und damit nicht weniger als in den voran gegangenen Jahren.

Die Veranstalter stehen vor einem Dilemma

In den virtuellen Messekojen, wie sie neben der Art Basel auch Frieze oder Tefaf boten, verdienten vor allem Großgaleristen mit weltweit gefragten Namen. Ob sie die Substitute überhaupt nötig haben, ist allerdings fraglich.

Fürs Digitale allein brauchen sie die Messen eher nicht. Ihre Veranstalter stehen also vor einem Dilemma. Denn Boll prognostiziert auch, dass die Digitalisierung nicht mehr aufzuhalten sei: Wer aussteigt, bleibt auf der Strecke.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Ein knappes Jahr ohne Messen macht allerdings auch klar, was fehlt. Jene unmittelbare Begegnungen, von denen auch Dominique Lévy spricht: zwischen Mensch und Mensch und Kunst. Was Alternativen der Distribution anbelangt, mag dringend Handlungsbedarf bestehen.

Digitalisierung als notwendiges Instrument

Ähnlich wichtig ist es allerdings, die sichtbaren Vorteile der Messen zu bewahren, sie aber gleichzeitig mit neuen Modellen zu kombinieren. Ein Wegfall der Plattformen mit ihren Hauptmessen und Satelliten wäre verheerend vor allem für mittelständische Galerien.

Sie haben am meisten Verluste zu beklagen, denn die Sammler finden in ihren Kalendern oft gar nicht die Zeit für einzelnen Galerien, sondern nutzen Messen für den schnellen Überblick. Boll wiederum sieht in der physischen Anwesenheit, die sich mit einer Konkurrenz um die interessantesten Objekte paart, einen wichtigen Motor für den Kunsterwerb.

Wer das Modell Messe überdenkt, sieht die Digitalisierung als ein notwendiges Instrument. Für Nachverkäufe ebenso wie für Sammler, die nicht jeden Termin mehr physisch wahrnehmen wollen.

Es gibt auch positive Beispiele

Andere Ideen, die ebenfalls innovative Formen der Präsentation bergen, liefern Galerien gerade selbst – wie in Köln, wo der Berliner Galerist Gerrit Friese nach der Absage der Art Cologne mit seinen Exponaten kurzentschlossen in den Showroom eines befreundeten Interior-Designers zog.

Kunst zwischen Vintage-Möbeln: ein gelungenes Experiment, sagt Friese, das er sich künftig parallel zur Art Cologne vorstellen kann.

Noch etwas stimmt positiv. Die Brüsseler Kunst- und Antiquitätenmesse Brafa verteilt sich im Januar weltweit auf Galerien in 37 Städten, in Wien präsentieren sich zur selben Zeit 13 renommierte Galeristen im Interconti-Hotel.

Ob sie danach an die zahmen Stände der großen Hallen zurückkehren wollen? Das Modell Messe der vergangenen 50 Jahre braucht dringend einen Relaunch.

Zur Startseite