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Neue Wege, neues Publikum. Robin Ticciati dirigiert das DOS als Symphonic Mob im September 2019 auf der Piazza der Mall of Berlin.

© Copyright: Peter Adamik

Erst Notgeburt, dann Erfolg: Deutschlands größte Klassik-Holding feiert 25-jähriges Jubiläum

Die ROC umfasst wichtige Orchester und Chöre Berlins. Sie wurde vor 25 Jahren gegründet. Die Anfangszeit war turbulent. Heute plant man die digitale Zukunft.

Man kann sich das so vorstellen wie bei der Volkswagen AG: Dort sind unter einem Dach mehrere Automarken wie Audi, Porsche, Seat und VW vereint, die wirtschaftlich aber autonom agieren und sich durchaus als Konkurrenten verstehen.

Genauso verhält es sich mit den vier Ensembles, die seit 25 Jahren in der Rundfunkorchester und -chöre GmbH (ROC) zusammengefasst sind: das Deutsche Symphonie-Orchester, der RIAS Kammerchor, das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und der Rundfunkchor Berlin.

Die größte Klassik-Holding Deutschlands entstand als Notgeburt in der Nachwendezeit, um die Zukunft der Musikerinnen und Musiker zu sichern, die bei den Sendeanstalten der beiden Berliner Stadthälften angestellt waren, also beim SFB, beim RIAS und beim Rundfunk der DDR.

1994 tat sich dafür ein Quartett aus Geldgebern zusammen: Der Bund zahlt 35 Prozent, Deutschlandradio 40 Prozent, Berlin 20 Prozent und der RBB fünf Prozent.

Die Zuschüsse der ROC liegen bei derzeit rund 32 Millionen Euro pro Jahr. Es ist also keine kleine Firma, der Anselm Rose seit dem 1. April 2018 als Geschäftsführer vorsteht. Was seine Machtfülle betrifft, kann er sich allerdings nicht mit dem Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, Herbert Diess, messen.

Mann hinter den Kulissen. Anselm Rose, 50. Seit April 2018 leitet er die ROC.
Mann hinter den Kulissen. Anselm Rose, 50. Seit April 2018 leitet er die ROC.

© Bettina Fuerst-Fastre

Die Position an der Spitze der Rundfunkorchester und -chöre GmbH ist ein Posten, der idealerweise unsichtbar macht. Weil der Boss hier alle Arbeit darauf verwendet, dass die einzelnen Ensembles Glanz entfalten können.

Vladimir Jurowski, der Chefdirigent des RSB, soll für Konzerte sorgen, die überregional Nachhall finden, ebenso wie seine Kollegen Robin Ticciati beim DSO, Gijs Lenaars beim Rundfunkchor und Justin Doyle beim Rias Kammerchor.

Anselm Rose muss hinter den Kulissen agieren, die Kontakte zu den Geldgebern pflegen, Gremienarbeit machen, Networking betreiben, Strukturen optimieren – und vor allem dafür sorgen, dass die ROC bei der Verteilung der Mittel aus den staatlichen Rundfunkgebühren angemessen bedacht wird.

Da passt es gut, dass der 1969 in Wolfsburg geborene Rose kein verkappter Künstler ist, sondern Verwaltungswissenschaften studiert hat, bevor es ihn in den Kulturbetrieb zog. „Während des Studiums war ein sechsmonatiges Praktikum in einer Institution Pflicht“, erzählt er. „Weil ich als Kind durchaus mit Begeisterung Geige gespielt habe und darum klassikaffin war, habe ich mich beim Bonner Beethoven-Orchester beworben. Und bin dann ein ganzes Jahr geblieben.“

Rose arbeitete neun Jahre in Dresden

Noch vor dem Ende des Studiums kann Rose sein erstes Engagement antreten, als Geschäftsführer der Bergischen Symphoniker Remscheid-Solingen. Es folgten Jobs bei den Münchner Symphonikern und dem Stuttgarter Kammerorchester. 2005 gelingt dann der Sprung zu einem der großen Sinfonieorchester der Republik, zur Dresdner Philharmonie.

Neun Jahre hat Rose in Dresden gearbeitet und dabei vor allem zwei Ziele verfolgt: zum einen die Pläne zur Sanierung des Dresdner Kulturpalastes, dem Stammhaus des Orchesters, so voranzutreiben, dass aus dem sozialistischen Mehrzweckbau ein Haus mit akustisch hervorragendem Konzertsaal wurde. Damit – zum anderen – die Dresdner Philharmonie endlich aus dem Schatten der weltberühmten Sächsischen Staatskapelle heraustreten kann.

Im Frühjahr 2017 wurde der neue Saal in der liebevoll sanierten alten Hülle des Kulturpalastes eröffnet, mit Marek Janowski steht seit August nun ein in Berlin wohlbekannter und hochgeschätzter Maestro an der Spitze des Orchesters.

Die Finanzierung stand lange auf wackligen Beinen

Der Wechsel nach Berlin kam für Anselm Rose also zur idealen Zeit. Denn nach 25 Jahren ist die ROC endlich erwachsen geworden. Die Kinder- und Jugendjahre waren ja durchaus turbulent. Lange belauerten sich die einzelnen Ensembles argwöhnisch, waren stets davon überzeugt, dass die anderen besser behandelt würden, gerade auch finanziell.

Als endlich eine diplomatische Lösung gefunden war, die statt eines Gesamtetats den beiden Orchestern und den beiden Chören jeweils eigene „Kostencenter“ gestattete, sodass die Mehreinnahmen eines besonders erfolgreichen Ensembles nicht mehr in der Gemeinschaftskasse verschwanden, erreichte die Spardebatte die ROC.

Immer wieder drohte der eine oder andere Geldgeber, seine Zuschüsse zu kürzen – was nach der Satzung zwangsläufig zur Folge gehabt hätte, dass auch die anderen Gesellschafter analog ihre Mittel hätten beschneiden müssen.

Diese Zeiten sind zum Glück vorbei: „Egal, mit wem ich rede, überall spüre ich einen starken Rückhalt“, sagt Rose. Auch die kritischen Stimmen sind verstummt, die bemängelten, dass die Klassik-Holding ihre Konzerte zum größten Teil in der Hauptstadt veranstaltet, obwohl sie doch viel Geld vom Bund und vom nationalen Radio erhält, was klar gegen das bundesdeutsche Förderalismusprinzip verstoße.

ROC erreicht heute 150 000 Konzertbesucher und 1,8 Millionen Radiohörer

Doch schon Roses Vorgänger Thomas Kipp konnte vorrechnen, dass zu den jährlich rund 150 000 Menschen, die die ROC in Berlin erreicht, bundesweit 1,8 Millionen Radiohörer kommen. Weil sowohl der Deutschlandfunk mit seinen Programmen und das RBB Kulturradio ausgiebig von dem Recht Gebrauch machen, Konzerte von DSO, RSB, Rias Kammerchor und Rundfunkchor Berlin live zu übertragen oder aufzuzeichnen.

In Zukunft will Rose noch näher an die potenziellen Hörer ran, will immersive Projekte nach dem Vorbild des Symphonic Mob oder der Mitsingkonzerte fördern, über Streamings Kontakt zu jüngeren Publikumsschichten suchen.

„Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, die klassische Musik zu entdecken“, sagt der Kulturmanager. „Der Zugang zur ROC soll so barrierefrei wie möglich sein.“

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