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Gebändigter Solitär. Die dreiteilige Fassade des Neubaus am Goethe-Haus fügt das Ensemble wieder ins Straßenbild ein.

© Alexander Paul Englert, Freies Deutsches Hochstift

Eröffnung des Romantik-Museums: Die Geschichte liegt buchstäblich zu Füßen

Nach langem Ringen ist das Romantik-Museum in Frankfurt am Main eröffnet. Das Haus macht die Epoche auch architektonisch lebendig.

So richtig romantisch ging bei der Entstehungsgeschichte des Deutschen Romantik-Museums in Frankfurt am Main nicht zu. „Massaker an der deutschen Kultur“ titelte die „Welt“, als die Stadt 2013 den Museumsbau von der Investitionsliste gestrichen hatte. Mit dem Projekt sollte die Chance ergriffen werden, nachdem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels das Grundstück neben dem Goethe-Haus frei gemacht hatte, an dieser Stelle ein Museum für die Sammlung des Freien Deutschen Hochstifts zu errichten.

Das Hochstift, ein 1859 als geistiger Mittelpunkt der kulturellen Einheit der Nation gegründeter, unabhängiger Bürgerverein, hatte 1863 Goethes Geburtshaus erworben und 1897 nebenan das Goethe-Museum gebaut. Beide Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört. Viele halten das 1949-51 wiederaufgebaute Goethe-Haus für historisch original. Die umfangreiche Sammlung kostbarer Autographen des Hochstifts war im Krieg ausgelagert und überdauerte anschließend in den Kellern des Goethe-Museums. Und ist somit seit fast hundert Jahren der Öffentlichkeit entzogen.

Der Ausstieg der Stadt aus dem Museumsprojekt rief die lokale und nationale Kulturszene auf den Plan. Der politische Druck stieg. Insbesondere die seit 2003 amtierende Direktorin Anne Bohnenkamp-Renken rührte die Werbetrommel und initiierte eine Spendenkampagne, die 2,2 Millionen Euro erbrachte. So sah sich die Stadt in der Pflicht, statt anfänglich vier Millionen nun doch wenigstens 1,8 Millionen zu den Gesamtkosten von zwölf Millionen beizusteuern.

Der Bauauftrag ging an den Frankfurter Architekten Christoph Mäckler, neben Michael Landes und Volker Staab einer der drei Wettbewerbsgewinner. Von Landes stammen das Gesamtkonzept des Quartiers sowie die Pläne für die Wohnungsbauten um die rückwärtigen Goethehöfe, das Café Utopia und den sanierten Cantatesaal, in dem Michael Quast seine Fliegende Volksbühne betreibt.

Drei farbige Fassaden gliedern den Neubau

In stadtgestalterischer Hinsicht wollte Mäckler das als historischer Solitär verloren in der 1950er-Jahre-Straße stehende Goethe-Haus wieder in ein Ensemble einbinden. Er gliederte den Neubau in drei Fassaden, die unterschiedlich verputzt und gefärbt wurden und auf diese Weise mit dem Bestandsbau eine vierköpfige Familie bilden. Jedes „Haus“ erhielt einen eigenen Eingang, was auch den inneren Funktionen zugutekommt. Schulklassen zum Beispiel erreichen schon vor Museumsöffnung durch die linke Tür den Pädagogikraum.

Zweite Randbedingung für die Gestaltung war die Fensterlosigkeit der Ausstellungsräume, denn die wertvollen Exponate vertragen kein Tageslicht. Deshalb sind entlang der Fassade Treppenläufe und Technik angeordnet. Die unregelmäßige Verteilung der Fenster signalisiert, dass es sich um einen Neubau handelt. Ein blauer, vorwitzig in den Straßenraum stechender Glaserker macht neugierig: Wie wird er wohl von innen aussehen?

Nach Eintritt durch den Haupteingang überrascht zunächst das großzügige zweigeschossige Foyer mit den Panoramafenstern zu Hof und Garten. Durch den Garten führt auch der neue Zugang zum Goethe-Haus. Zur Rechten sieht man als Element der Geschichte die erhalten gebliebene Brandwand aus Renaissancezeiten; links, hinter dem Kassentresen, eine monumentale Bücherwand, die Bibliothek eines Deutschlehrers, deren Einzeltitel man durch ein Standfernrohr entziffern kann. Es handelt sich um eine Installation der Ausstellungsgestalterinnen Petra Eichler und Susanne Kessler (Sounds of Silence), die sich auch im übrigen Haus viel Kurzweiliges haben einfallen lassen.

Durch zahlreiche Details erinnert der Architekt an den historischen Kontext, etwa durch den Foyerboden, der mosaikartig aus Altziegeln und Ziegeln der Trümmerverwertungsgesellschaft zusammengesetzt ist. Diese „TGV-Steine“ wurden nach dem Krieg aus gemahlenem Trümmerschutt und Zement hergestellt. Die Geschichte des Orts liegt buchstäblich zu Füßen.

Die Architektur steckt voller Zitate

Eine in blaues Licht getauchte Kaskadentreppe führt in die drei Obergeschosse. Sie verjüngt sich konisch nach Art illusionistischer Renaissancetreppen, was sie perspektivisch länger und höher erscheinen lässt. Beim Begehen vernimmt man Vogelgezwitscher: Andersens Erzählung von der natürlichen und der künstlichen Nachtigall. Letztere tönt aus einer Spieluhr am Ende der Treppe. Auf halber Höhe eine Estrade, eine Sitznische wie in einem mittelalterlichen Burgturm.

Fast zehn Jahre Streit, Planung und Kampf um die Finanzierung gingen der Eröffnung des Romantik-Museums voraus.
Fast zehn Jahre Streit, Planung und Kampf um die Finanzierung gingen der Eröffnung des Romantik-Museums voraus.

© Sebastian Gollnow/dpa

Mäckler liebt derlei historische Zitate: ovale Wendeltreppen, kleine Erker mit Ausblick auf historische Situationen, per Treppchen erreichbare Resträume mit Sitzen und Büchern zum Schmökern, ein Fensterchen mit Klappladen als Zitat aus Dichtung und Wahrheit. Und dann der Blaue Erker. Hier sitzt man auf einem kleinen Bänkchen und blickt durch die Glasziegel auf die verschwommen erlebbare, aber nicht mehr gar so hässliche Straße, in tiefblaues Licht getaucht. Das blaue Licht der Romantik (das nachts von innen auf die Straße strahlt).

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Vielleicht ein wenig viel vordergründige Symbolik, diese geradezu postmodern zitierfreudige Architektur, vielleicht ein wenig gesprächig. Aber die Direktorin schätzt dieses „Haus, das mitspricht“. Und wie die Ausstellungsgestaltung selbst alle Sinne anspricht und hilft, die abstrakten Inhalte des Themas Romantik, das nun mal Empfindungen und Gefühle beinhaltet, zu vermitteln.

Gefühl für die „Inkubationszeit der Romantik“

Im ersten Stock sind in der Goethe-Galerie die Künstler versammelt, die Tischbeins, Hackerts, Kügelgens und viele mehr, die Goethes Vater beauftragt hatte; in einer Zeit, als Maler vom Handwerker zum Künstler aufstiegen, als es nicht mehr um den Erwerb von Wissen und Erfahrung, sondern um die Vermittlung von Gefühl und Ästhetik ging. Es ist die „Inkubationszeit der Romantik“ (Anne Bohnenkamp-Renken), die knapp 80 Jahre währte, etwa von der Französischen Revolution bis 1859, dem Todesjahr Bettina von Arnims.

Ein Stock höher dann in dunklem Ambiente die kostbaren Handschriften, Briefe von Brentano und Arnim, die Notate von Heine und E.T.A. Hoffmann sowie die gesammelten Erstausgaben. Sie alle sind in eine Art Stehpulten ausgestellt und werden nur mit 50 Lux beleuchtet, wenn man sie betrachten will. Jedes originale Exponat ist Nukleus einer von 35 Stationen, die auf unterhaltsame Weise Aspekte der Romantik vermitteln: „die Blaue Blume“ etwa „Waldeinsamkeit“ oder „Kein Ort. Nirgends“ – Karoline von Günderrodes Gedichte von Liebe und Tod. Wackenroders und Tiecks Streifzüge durch den Harz berichten unter dem Schwerpunkt „Romantische Plätze“ von einer die Epoche prägenden neuen Naturerfahrung.

Die Schlüsselwerke der Romantik und die literarischen, künstlerischen sowie musikalischen Stichworte der Epoche werden ebenso fesselnd erzählt wie die Ideengeschichte jener für das Entstehen des deutschen Nationalgefühls und das kulturelle Empfinden so bedeutsamen Zeit. Und das Haus erzählt mit, das ist sein großer Vorzug. Es macht das Romantik-Museum zum Gesamtkunstwerk und zum neuen Kleinod der an Leuchttürmen gewiss nicht armen Frankfurter Museumslandschaft.

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