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Von oben herab. Schlüters Kolossalstatuen im Skulpturensaal.

© Jens Kalaene / dpa

Eröffnung des Humboldt Forum: Auf den Spuren der Geschichte taucht auch der Palast der Republik wieder auf

Ein erster Rundgang durch das Riesenhaus offenbart, wie sehr Fassade und Innenausstattung miteinander ringen.

Endlich! So steht es in Großbuchstaben mit Ausrufezeichen über dem heutigen Eröffnungstag des Humboldt Forums. Es ist ein Seufzer der Erleichterung, dass nach den Verzögerungen durch Corona, den Verunsicherungen durch technische Probleme etwa beim Klima die größte Kulturinstitution der Republik endlich ihren Betrieb aufnehmen kann.

Endlich! ist aber auch mehr als ein verbalisiertes Aufstöhnen. Neunzehn Jahre hat es gedauert seit dem Bundestagsbeschluss, einen Neubau auf dem Schlossplatz hinter drei rekonstruierten und einer modernen Fassade errichten zu lassen. Wie viel Zeit ist seitdem vergangen, wie viel Streit hat es gegeben – Enttäuschungen über veränderte Konzepte durch die Gründungsintendanten, immer wieder neu geweckte Hoffnungen auf Neuausrichtungen.

Gewiss, Berlin hat das Riesentrumm von 40 000 Quadratmetern urban längst verdaut. Da steht das kapitale neue Stück Stadt nun einmal, das als technische Wundertat aus der Vergangenheit in die Gegenwart gebeamt wurde: den einen ist es die ersehnte Vollendung der historischen Mitte Unter den Linden, den anderen preußischer Ballast.

Im Hohenzollernschloss werden Objekte des Kolonialismus gezeigt

Gerade in jüngster Zeit hat sich das Spannungsverhältnis zwischen zeitgenössischer Betrachtung und Fake-Vergangenheit noch einmal verschärft. Das öffentliche Bewusstsein dafür ist gewachsen, dass genau während der Regentschaft der Hohenzollern in Namibia Völkermord verübt wurde und nun in den rekonstruierten Gemäuern ihres Repräsentativbaus Exponate, ja Beutestücke der Kolonialzeit gezeigt werden.

Aus diesem Konflikt kommt das Humboldt Forum nicht mehr heraus, er ist ihm eingeschrieben. Und so versucht das Haus an den verschiedenen Orten mal mehr, mal weniger gelungen mit den losen Enden der Geschichte umzugehen. Dass dieses Gebäude ein Hybrid aus moderner Architektur und barocker Fassade ist, zeigt es schon an seiner der Spree zugewandten Seite, die sich betonkühl zur Gegenwart bekennt. Im Schlüterhof prallen der Rationalismus des italienischen Architekten Franco Stella und die Schlütersche Front in Quittegelb aufeinander.

Eine Rolltreppe befördert die Besucher:innen nach oben

Wer das Gebäude aber betritt, bekommt nur noch das Eine: Zweckarchitektur, die der bestmöglichen Verteilung von Besucher:innen untergeordnet ist. Darin gleicht das Humboldt Forum dem ähnlich uninspirierten Entree der Staatlichen Museen am Kulturforum. Nur dass am Schlossplatz zur Linken Rolltreppen nach oben führen, weil es sehr viel höher in weitere Geschosse geht.

Das Humboldt Forum ist eine riesige Museumsmaschine, die mit ihrer Eröffnung sechs Ausstellungen auf einmal vorführt. Erst ab 22. September werden die Räume des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in der zweiten und dritten Etage zu sehen sein, zumindest ein erster Teil, der zweite folgt 2022. Es gibt also Tausende Quadratmeter Ausstellungsfläche zu bespielen. Dazu kommen Räume für Veranstaltungen, Workshops; das Haus versteht sich als Forum. Logistik ist hier alles. Aber hätte die Architektur nicht wenigstens von innen aufregender, verrückter, ansprechender gestaltet sein können, als in edler Langeweile zu erstarren wie eine Luxusmall?

Der Schlüterhof ist ein steinernes Monument. Grün fehlt

Warum wagt keiner mutig Farben zu zeigen, Technik, Röhren wie es sich das Centre Pompidou schon vor bald einem halben Jahrhundert in Paris traute? Warum muss der Schlüterhof ein steinernes Monument bleiben, auf dem als einzige Extravaganz an den Eröffnungstagen ein paar Reggae-Rhythmen vom Turntable der DJane aus der einen Ecke zu den Bistrobesucher:innen in der anderen herüberwehen? Zu wünschen wäre, dass hier einer in Zeiten der Klimakatastrophe ein paar historisierende Pflastersteine rausreißt, um etwas Grün zu pflanzen.

Das Humboldt Forum kann durch seine wechselhafte Entstehungsgeschichte sein größtes Problem nicht mehr abschütteln, das wird mit der Eröffnung nun sichtbar: Zuerst war die Hülle, dann kam der Inhalt. Die Räume sind entweder riesengroß oder viel zu klein. „Berlin Global“ bläht sich auf 4000 Quadratmetern, muss den zur Verfügung stehenden Platz irgendwie füllen. Die große Wechselausstellungshalle verfügt über einen phänomenalen Luftraum, den sie mit einer elefantösen Ausstellungsarchitektur zu überspielen sucht. Das passt unfreiwillig zur ersten Thematik: Elfenbein.

Die Ausstellung zu den Humboldt-Brüdern wirkt reingequetscht

Die Ausstellung zu den Brüdern Humboldt dagegen kam erst im letzten Moment hinzu. Sie wurde mit ein paar Stellagen in die Fensternischen des Erdgeschosses gequetscht, von außen kleben Bilder und Begriffe aus dem Humboldt-Kosmos an den Scheiben. Sinnvoller wäre es gewesen, den Namensgebern die erste programmatische Ausstellung zu widmen oder sich gleich mutig der Kolonialismusdebatte zu stellen. Der Stotterstart drückt aufs Gemüt.

Doch es lohnt, sich im Haus auf Spurensuche zu begeben und etwas von der Geschichte zu entdecken. Da wäre das archäologische Fenster im Kellergeschoss, das noch Reste authentischen Gemäuers vom 1950 gesprengten Stadtschloss birgt. Der Eingang in die Tiefe führt unter mehreren von der Decke hängenden Gründungspfählen hindurch, die Johann Friedrich Eosander im 18. Jahrhundert zu Tausenden in den Boden rammen ließ, um auf dem sumpfigen Gelände bauen zu können. Nur wurden die backsteinern Substruktionen der Barockzeit für die Ausstellung arg geputzt.

Tollste Trouvaille im Keller ist ein rostiges Riesengebläse

Selbst die interaktiven Vitrinen wirken aseptisch, auf denen die Besucher:innen mit der Hand digitalen Sand für weitere Entdeckungen wegwischen dürfen. Tollste Trouvaille hier unten ist ein rostiges Riesengebläse. Es stammt aus der Zeit Kaiser von Wilhelm II., als für den Weißen Saal eine Heizung eingebaut wurde, die zugleich für Frischluft sorgte.

An die Zeit des abgetragenen Palastes der Republik erinnert die ein oder andere Reminiszenz im Treppenhaus, in den Ausstellungssälen, die durch gitterartige Module gekennzeichnet sind. Das bereits für die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums beauftragte Szenografenbüro chezweitz entwickelte auch hier pfiffige Ideen. Da taucht das Wegeleitsystem aus DDR-Zeiten mit seinen Piktogrammen wieder auf, das damaligen Besucher:innen mitteilte, ob die Spree-Stuben, die Bowlingbahn oder der Jugendtreff überfüllt oder noch zu besuchen waren.

Immer wieder klafft die Schere zwischen Alt und Neu auf

Ein echter Zeitzeuge ist die gläserne Wahlurne, mit der die erste frei gewählte Volkskammer der DDR über ihren Beitritt zur Bundesrepublik abstimmte. Sie steht inmitten des Skulpturensaals; über ihr thronen in schwindelnder Höhe Kolossalfiguren, die einst den Schlüterhof zierten. Franco Stella platzierte sie auf nüchternen Postamenten ungefähr auf gleicher Linie, wie sie einst gestanden haben mögen. Im kleinen Saal wirkt dies maniriert und wenig überzeugend. Die Schere zwischen Alt und Neu klafft erneut auf.

Mehr Leichtfüßigkeit, mehr Charme, mehr Eloquenz hätte man dem Humboldt Forum für seine Ausstattung gewünscht. Es will Angebot für alle sein, Gendergrenzen überwinden, Diversität demonstrieren und tut sich doch so schwer, in den eigenen Räumen eine ansprechende Atmosphäre zu schaffen, Brücken zu bauen.

Das Videopanorama zur Geschichte des Ortes ist mitreißend - endlich

Dabei gibt es ein großes Vorbild dafür in einer eigenen Abteilung, dem Videopanorama. 14 Minuten lang saust ein Loop auf 27 Breite durch die 800-jährige Entwicklung des Ortes – angefangen bei den frühen Sümpfen über das 19. Jahrhundert, die Aufzüge der Nationalsozialisten, die Sprengung des Stadtschlosses bis hin zu seinem heutigen Wiederaufbau. Behandschuhte Kurator:innenhände schieben Bilder, Fotodokumente, Filmsequenzen wie auf einem monumentalen Diakasten zu einer mitreißenden Geschichtscollage hin und her. Wäre es nur so einfach.

Für das Videopanorama wird auch nach den ersten 100 Tagen, in denen das Humboldt Forum kostenlos besucht werden kann, kein Eintritt verlangt. Es ist ein Versprechen origineller Geschichtsvermittlung, mit einem tragenden Spannungsbogen. Durch seine pseudo-historische Architektur wird das Haus auch in Zukunft einer inhaltlichen Zerreißprobe ausgesetzt bleiben.

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