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Fundusfummel. Die Needcompany tanzt.

© Festspiele/Wolfgang Silveri

Eröffnung des Festivals "Foreign Affairs": Partys von gestern

Leere Räume, sprechende Flaschen: Jan Fabre schickt zur Eröffnung des Festivals „Foreign Affairs“ im Haus der Berliner Festspiele die Götter in die Agonie.

Wie kam der Pop ins Theater? Und wann? Auf den Tag und das Jahr genau lässt sich das nicht sagen. Aber es gab in den Achtzigerjahren, als die Popmusik immer synthetischer wurde, eine breite Bewegung und Veränderung in der Schauspielwelt. Off-Gruppen drängten auf die Szene. Bildende Künstler, Tänzer, Musiker gingen zusammen, wurden Performer. All das hatte es da und dort auch vorher schon gegeben – in den Achtzigern jedoch entwickelte sich der Mainstream von heute.

Musterland jener Avantgarde war Belgien. Jan Fabre verstörte und begeisterte mit Ermüdungsritualen von glänzend kühler Ästhetik. Am Wochenende zeigt er sein neues Werk in Berlin, bei den „Foreign Affairs“: den 24-Stunden-Marathon „Mount Olympus“, eine griechische Götter-Mythen-Agonie rund um die Uhr.

Künstler aus Belgien, dem kleinen Land in der Mitte Mitteleuropas, haben es am besten verstanden, Grenzen verschwinden zu lassen, Disziplinen zu vermischen. Und was passiert jetzt, da alle Türen eingetreten und alle Scheunentore offen sind? Erinnern sich die Aufreißer und Befreier von einst an die guten alten Zeiten. Zeigt das Sommerfestival der Berliner Festspiele am Eröffnungsabend gleich zwei Truppen, die seit gut dreißig Jahren über Europas Bühnen ziehen.

Zuerst Forced Entertainment. Die Briten bringen Shakespeares sämtliche Werke, 36 Stücke, im Puppentheaterformat. Ein Spieler sitzt am Tisch und hantiert mit Flaschen aus Küche und Bad, Ketchup, Worcestershiresauce, Shampoo. Das sind die Figuren. Ein Stück dauert vierzig Minuten. Gepflegtes Englisch, feiner Humor. Appetitmacher. Niedlich.

Tino Sehgals Leute regen die Zuschauer zum Nachdenken über den Fortschritt an

Auf dem Parkdeck macht derweil das (jüngere) Duo Holzinger/Riebeek irgendetwas mit Film und Porno und Anpinkeln und Publikumsbeteiligung, während Tino Sehgals Leute die Zuschauer zum Nachdenken über den Fortschritt anregen. „This Progress“ nennt sich das Werk, bei dem man einzeln um das Festspielhaus herumgeführt und in eine Unterhaltung hineingezogen wird. Eine Viertelstunde gesteuerter Begegnung mit Menschen aufsteigenden Alters, vom Mädchen zur Oma.

Sehgals luftig-esoterische Sachen sind derzeit im Gropius-Bau ausgestellt (siehe den Artikel auf Seite 24). Er verkauft Leere als Konzept und Befreiung. Er ist ein Star in der Kunstwelt, die vom Tanz und Theater nimmt, ohne etwas zurückzugeben. Das Periphere rückt ins Zentrum. Sehgals Wirken erinnert an das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Er tritt selbst nicht in Erscheinung.

Partizipatives Theater, Performance, das gibt es bei der Needcompany aus Brüssel eben auch schon seit drei Jahrzehnten. Möglicherweise hat die Company um Jan Lauwers und Grace Ellen Barkey das Mikrofon auf der Bühne wenn nicht erfunden, dann doch durchgesetzt. Pop-Allüren. Zum Auftakt der „Foreign Affairs“ spielten die Belgier „The Time Between Two Mistakes“. Ein buntes Potpourri aus dem Fundus. Ein „Berlin Manifesto“ wird vorgetragen, es geht um „ Beauty“ und „Truth“ und nachher um Sätze wie „If art is our lover who the fuck are you“. Selbstreferentiell, das alles. Auch die Beschwörung oder Verarschung von Peter Brook und seinem berühmten Buch „Der leere Raum“. Hier füllt er sich mit Pop-Gespenstern, Pop-Art-Thesen und dem ganzen strukturalistischen Restmüll.

Die Show endet mit einer halbstündigen Version von „All Tomorrow’s Parties“ von Velvet Underground & Nico aus dem Jahr 1967. Lou Reeds Komposition als Choral. Der A-Cappella-Gesang ist nicht sauber und die nackte Frau auf dem Podest bloß Illustration des Songtexts. Ein Klassiker verdient bessere Behandlung, ein Festival eine andere Eröffnung.

Kann ein Theaterraum je leer sein? Was ist mit den Stimmen in der Wand, wo sind die Erinnerungen gespeichert, wer weiß noch, wann Klaus Michael Grüber hier, als das Haus Freie Volksbühne hieß, seinen Pirandello inszenierte, „Sechs Personen suchen einen Autor“? Es war kurz vor der Zeit, als die Companys aufkamen, die man in dem Moment ja wirklich brauchte, need company, yes! Vor reichlich 30 Jahren sah man aufregende Verfallsprozesse eines älteren Theaters. Aber die Needcompanys werden nicht aufhören. Sie machen weiter. Der Pop kam, um zu bleiben, berufsjugendlich.

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