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Tragödie unter Myriaden von Sternen. Szene aus Roland Schwabs Inszenierung mit Stephen Gould und Markus Eiche (Kurwenal, r.).

© dpa/Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth

Eröffnung der Bayreuther Festspiele: Der Traum vom Glück

Bayreuth startet mit "Tristan und Isolde" in die Saison: Regisseur Roland Schwab erzählt die Lebensgeschichte des größten Liebespaars aller Zeiten, Markus Poschner überzeugt am Pult.

Von Eleonore Büning

An sich haben die Bayreuther Festspiele das lammfrommste, aufmerksamste, aber gewiss auch besserwisserischste Publikum der Welt. Es ist treu wie Gold, selbst im Zorn.

Einzige Ausnahme bildet, alle Jahre wieder, der 25. Juli. Da rumort und rumpelt es bis in die ersten zehn oder zwanzig Takte der Musik hinein. Denn das Eröffnungspremierenpublikum, diese sagenhafte Mixtur aus Persönlichkeiten der (Lokal-)Politik und des Boulevard, ist zwar durchaus event-, aber nicht durchwegs wagnererfahren.

Heuer ist es ganz besonders munter. Hinzu kommt die Affenhitze, weshalb auch später, in allen drei Aufzügen von „Tristan und Isolde“, immer mal wieder Unruhe entsteht und lautstark leere Flaschen über die Holzböden der stolzen, alten Scheune kullern.

Das Tristan-Vorspiel haben wir uns diesmal also vor allem gedacht. Vorschriftsmäßig „langsam und schmachtend“ soll es gewesen sein, so geht das Gerücht in der Pause. Einige meinen sogar, der Dirigent Markus Poschner, kurzfristig eingesprungener Bayreuth-Debütant, habe es noch langsamer genommen, als von Richard Wagner gewollt. Der hatte immerhin „nicht schleppend“ in die Partitur hineingeschrieben.

Tatsächlich baut Poschner, wie später zu bestaunen war, risikoreich sich wölbende Bögen aus höchst flexiblen Tempi: teils rasend schnell, teils zerdehnt bis zum Anschlag des Fast-nicht-mehr-Singbaren. Aber immer streng textgebunden. Perfekt! „Das Zeitmaß“, so heißt es in einer der Notizen Wagners zum zweiten Aufzug, sei „ je nach dem feurigeren oder zärtlicheren Ausdruck gut zu motivieren“.

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Bereits während des Vorspiels hebt sich - auch das kommt in Bayreuth eher selten vor -, die mausgraue Wagnergardine, wenn auch nur knapp zur Hälfte, bevor sie sich wieder schließt. Kurz wird der Blick frei auf die Botschaft dieser Inszenierung. Sie lautet: Traum vom Glück. Zwei Kinder kauern auf dem Souffleurkasten, einander ängstlich-innig umschlungen haltend und starren staunend in den Saal: wie Hänsel und Gretel.

Gefährtinnen: Ekaterina Gubanova als Brangäne und Catherine Foster als Isolde (r.).
Gefährtinnen: Ekaterina Gubanova als Brangäne und Catherine Foster als Isolde (r.).

© Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth

Im zweiten Aufzug sind diese Statisten zu Teenagern herangewachsen, hocken nicht mehr unten am Bühnen-, sondern hoch oben auf einem begrünten Dachrand und deuten einander, mit Blick in den Himmel, die Sterne: Romeo und Julia. Im dritten Aufzug, man möchte die Uhr danach stellen, erscheinen sie abermals, gealtert, gebrechlich, und immer noch glücklich miteinander, als Philemon und Baucis. Dieser Running Gag ist eines der wenigen Identifikationsangebote, die der Regisseur Roland Schwab zu machen wagt. Gerade deshalb wirkt er schön, aber auch etwas zu süßlich und falsch wie die Amarenakirsche auf dem Eis.

Ansonsten hat Schwab die Geschichte des größten Liebespaares aller Zeiten, das zueinander erst finden kann im gemeinsamen Tod, heruntergebrochen auf abstrakte Symbolik, nüchterne Zeichen. Die von Wagner aus dem mittelalterlichen Mythos gewonnene innere "Handlung" wird in kleine Münze verwandelt und ins Irgendwo einer Ewigkeit verlegt, darin sich didaktisch vereinfachte Tableaus immer wieder nur wiederholen.

Das erste dieser Bilder erinnert entfernt an die Stunde Null der Nachkriegszeit: an die von allem irdischen Wohl und Weh gereinigte Weltenscheibe Wieland Wagners.

Stäbe aus gleißendem Licht kommen Tristan (Stephen Gould) im zweiten Aufzug von oben zu Hilfe.
Stäbe aus gleißendem Licht kommen Tristan (Stephen Gould) im zweiten Aufzug von oben zu Hilfe.

© dpa/Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth

Ist aber nicht rund, vielmehr oval und leicht angeschrägt, als hätte Bühnenbildner Piero Vinciguerra ein hart gekochtes Ei längs halbiert und aufgeklappt. Die untere Hälfte, in edlem Betongrau, ist der Boden des Einheitsbühnenbildes, darin ein Luxuspool prangt, mit Liegen drumherum. Hier vertreiben sich die Damen Brangäne und Isolde die Zeit während der Überfahrt nach Cornwall. Die obere Ei-Hälfte der Wellnessoase hat eine ovale Dachluke, durch die man den Schattenriss von Kapitän Tristan auf der Brücke sehen kann - er befehligt offenbar eines dieser riesigen Kreuzfahrtschiffe, die das Klima zerstören. Was die jungen Baumschützer, die vor Beginn der Vorstellung die Auffahrt zum grünen Hügel blockiert hatten, bestimmt auf die sprichwörtliche Palme gebracht hätte.

Toll die Lichtregie in der Nacht der Liebe

Fortan regiert der Wille zum Dekor. Der Pool ist nicht mehr Spiegel des Himmels, er spiegelt auch das Seelenlebens der Protagonisten. Während Isolde von ihrem Ex-Verlobten Morold erzählt, den Tristan einst im Kampf erschlug, verwandelt sich das Wasser in Blut. Später verdunkelt sich der Himmel, ziehen Myriaden von Sternen auf, denen drunten ein Gewimmel von Leuchtfischen antwortet, die sich immerfort vermehren und völlig verrückt spielen, als Tristan und Isolde einander zuprosten.

Und dann ist es passiert: Als die beiden einander erkannt haben, können sie plötzlich, wie Christus, über Wasser gehen. Strudel aus Licht entsteht unter ihren Füßen. Eine Tür aus Licht schützt sie in der Nacht der Liebe. Stäbe aus Licht - vielleicht sind es die sich verlängernden, vom Himmel fallenden Sterne - helfen Tristan im zweiten Aufzug bei seiner selbstmörderischen Verteidigung. Das sieht toll aus. Nicol Hungsberg, der für die Lichtregie Verantwortliche im Schwab-Team, hat ganze Arbeit geleistet.

Tagessieger, unbestritten: Dirigent und Bayreuth-Debütant Markus Poschner

Weniger glücklich die Einfälle von Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht. Wiederum höchst symbolisch tollen Tristan und Isolde in ihren weißen Anstalts-Pyjamas auf dem Lichterfischsee herum. Ab und zu, wenn sie sich, jeder in seiner Ecke, einsam in die Horizontale begeben, liegen da ulkige weiße Gebirge. Das hat nichts zu tun mit den mächtigen Stimmen dieser beiden, die sich verströmen in höchstem Glück und tiefsten Leid.

Stephen Gould, der gleich drei Rollen verkörpert in diesem Bayreuther Sommer – Tristan, Siegfried und Tannhäuser –, ist eine dunkel timbrierte Tenornaturgewalt und als Wagnersänger die sicherste Bank. Catherine Foster, ihm ebenbürtig an Wucht und Glanz, zeigt sich diesmal überraschend gut fokussiert und supersauber in der Intonation. Noch schöner wäre es, beide würden, was Artikulation und Textverständlichkeit angeht, von König Marke (Georg Zeppenfeld) und Kurwenal (Markus Eiche) etwas lernen.

Fast vollends untergegangen dagegen: die biegsame, warm timbrierte Brangäne von Ekaterina Gubanova. Sie ist akustisch allemal schlecht platziert hinter oder über dem Bühnenbild, das im übrigen keinerlei Personenregie zulässt, vielleicht auch, im abstrakten Bildertheater Schwab, nicht zulassen soll. Im Grunde laufen ja eigentlich alle immer nur um den Pool herum.

Dafür werden sie aber auch alle am Ende herzlich bejubelt, ausnahmslos. Nicht ein einziges, klitzekleines Buh ist zu hören. Normal ist das nicht: für Bayreuther Verhältnisse vielleicht sogar ein böses Omen. Tagessieger indes ist, unbestritten, Poschner. Kurzfristig eingesprungen für Cornelius Meister, der seinerseits für den „Ring des Nibelungen“ hat einspringen müssen, kommt dieser wagemutige junge Kapellmeister mit insgesamt nur zwei Proben aus. Kommt nicht nur mit der Akustik des Hauses zurecht, Poschner richtet sich auch nach Diktion, Puls und Atem von Text und Sängern und schuf, fast ohne Wackler, zugleich den Solisten des fulminanten Bayreuther Festspielorchester ihren Raum. Was der Bühne an Sinn und Sinnlichkeit abgeht: Aus dem Graben blüht es auf.

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