zum Hauptinhalt
Kunst und Ambivalenz. Werner Tübke, Mitbegründer der Leipziger Schule, im Jahr 2003.

© W. Grubitzsch / picture-alliance / dpa

Erinnerungen von Werner Tübke: Silberstreif im Sozialismus

30 Jahre nach Beendigung seines Bauernkriegspanoramas erscheinen erste Tagebücher und Notizen des Malers Werner Tübke.

Noch ist nicht ausgemacht, ob Werner Tübkes Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen als Rundumschlag eines „virtuosen Hofmalers“ (Eckart Gillen) in die Kunstgeschichte der DDR oder als „epochales Werk“ (Eduard Beaucamp) ins Weltkulturerbe eingehen wird. Der Künstler selbst war sich schon zu Lebzeiten sicher: „Es wird bleiben.“ In seinen erst 2014, zehn Jahre nach seinem Tod, aufgefundenen Tagebüchern mystifiziert er die Entstehung sogar als höhere Eingebung. Am zweiten Weihnachtstag 1988 beginnt er seine Erinnerungen an Bad Frankenhausen pathetisch: „Das war ich nicht! Das Bild habe ich nicht gemalt! ...Da muss statt meiner etwas Geistiges gewesen sein, ein focus der Kulturgeschichte, aber mit Seele und Liebe.“

Das war so dick aufgetragen, dass sich selbst sein Bewunderer Eduard Beaucamp als Mitherausgeber der Tagebücher irritiert zeigt, zumal sich Tübke im gleichen Atemzug seiner eigenen Ideen für Bad Frankenhausen rühmt und ihre Umsetzung technisch detailliert beschreibt. Er habe das Panorama, das in der alten Form als Massenmedium des 19. Jahrhunderts indiskutabel sei, gegen die ursprünglichen Vorgaben des Auftraggebers – „Schlachtbild, Kunst, Dunst und Gewittermalerei“ – entwickelt und zu zwei Dritteln selbst ausgeführt. Und dennoch alles mit Gottes Hilfe und dem Segen der Partei, der er seit den50er Jahren angehörte und der er als Rektor der Leipziger Kunsthochschule 1975 versicherte, er wünsche sich „keinen kritischen Realismus, keine langweilige Mystifizierung des Arbeitsprozesses (!), sondern sozialistischen Realismus mit der ganzen Spannweite menschlicher Möglichkeiten und Konflikte und ihrer Auflösung in Richtung marxistisch-leninistischer Lebenshaltung.“

Polemik gegen Weltoffenheit

Das war ein Kotau, der sich nur mit Heideggers Freiburger Rektoratsrede vergleichen lässt. Seine Gedanken zur „Talentfindung“ an der Hochschule, die er dem Kulturminister zur Kenntnis brachte, gipfeln in einer Polemik gegen Weltoffenheit und der Aufforderung an künftige Studenten: „Ich schlage vor, wir machen zu, kümmern uns um keine Kunstprozesse woanders“.

Das ist derselbe Tübke, der ein Jahr später Einladungsbriefe an Joseph Beuys und Wolf Vostell („sehr geehrter Kollege, lieber Beuys, lieber Vostell“) richtet, denen er „dringend mein Kompliment entgegenbringen möchte“. An Jackson Pollocks abstrakter Malerei, in der DDR Inbegriff westlicher Dekadenz, bewundert er jetzt die Konsequenz des Bildgedankens („Weshalb soll das nicht anregend sein!“). Den Surrealismus hat er 1954 den „widerlichen Naturalismus des Irrsinns“ genannt, aber dessen Altmeister Chirico schickt er 1978 ein Huldigungstelegramm zum 90. Geburtstag: Dessen Werk sei vorbildlich für ihn, auch wenn er seinen Weg natürlich alleine gehe. Denn seit 1962 glaubt er zu wissen: „Ich, Tübke, habe den goldenen Faden der deutschen Malertradition wiedergefunden.“ Oder war es der Silberstreif einer sozialistischen Frührenaissance, die der Kunsthistoriker Joachim Uhlitzsch in der Kunst der DDR erkennen wollte?

Es störte Tübke nicht, Propagandathemen zu bearbeiten

Eine sehr frühe Frührenaissance, so mokiert sich Tübke, dessen altmeisterliche Malweise solche Vergleiche immerhin nahelegte; auch die Skizzenbücher, die der Tagebuchedition beigegeben sind. Aufgefallen war er damit Kollegen und Juroren seiner Arbeiten schon früh. In einer Kommission des Kulturfonds zeigte sich Werner Laux, Rektor der Kunsthochschule Weißensee, 1956 verblüfft: „Fast muss ich annehmen, dass jede Figur von irgendeinem großen Renaissancemeister kopiert wurde, aber mir fällt keiner ein. Wenn ich auch unsere Gegenwartsmenschen anders sehe, die Qualität bleibt.“ Dagegen Bernhard Kretzschmar: „Alt, alt! Wie kann ein junger Mensch so malen? So malt ein Mümmelgreis!“ Und Oskar Nerlinger raunzte: „Sie dürfen sich keine alten Meister ansehen, man müsste das Ihnen verbieten.“

Viel gefeiert, viel kritisiert: Werner Tübke, hier auf einem Bild von 1989.
Viel gefeiert, viel kritisiert: Werner Tübke, hier auf einem Bild von 1989.

© picture alliance / dpa

Der dachte gar nicht daran, sondern unterlief alle Versuche, ihn von seiner eigenwilligen Realismusauffassung abzubringen, durch scheinbare Anpassung an die politisch vorgegeben Auftragsthemen wie 1. Mai, Brigadebildnis, Revolution oder Aufbau des Sozialismus. Es störte ihn nicht, Propagandathemen zu bearbeiten, nur ein Schwächling habe Angst vor thematischen Bildern. Selbst ein Betriebsbild als Auftragsarbeit gelte es, anständig zu malen, „so dass der Betrachter nicht weiß, ist es um der kostbaren Malerei willen geschaffen oder um der starken Aussage willen“. Als ein anderes Auftragsgemälde wegen fehlender Bejahung beanstandet wird, weil es statt des Kollektivs einzelne Individuen darstelle, malt er eine zweite Fassung, entsprechend den Anforderungen der „Berliner Affen“.

Weg des Sozialismus?

War Werner Tübke also ein Opportunist? Ja und nein. Die Tagebücher, in ihrer Gänze bis 2024 gesperrt und hier nur in autorisierten Auszügen publiziert, geben darüber ambivalente Auskunft. Einmal notiert Tübke, seine Kunst dürfe keiner Partei dienen, aber seiner Partei malt er Bilder zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zu Ungarn, Chile und Hiroshima, von denen er später sagen wird, sie hätten ihm nur als Folie seiner Selbsterfahrung als Künstler und Individuum gedient.

Sein Zyklus „Lebenserinnerungen des Dr.jur. Schulze“ klagt vordergründig alte Nazis in der Justiz der Bundesrepublik an, ist aber nach eigenem Bekunden „gegen den Strich gemalt“ und so mehrdeutig, dass er sich wie seine Leipziger Kollegen Heisig und Mattheuer offizielle Kritik zuzog. Selbst sein zeitweiliger Gönner und Förderer Alfred Kurella, Leiter der Kulturkommission beim ZK der SED, Kafka-Hasser und Präzeptor des Sozialistischen Realismus, äußerte auf dem VII. Parteitag der SED 1967 Bedenken, dass die Künstler „den Weg des Sozialismus zu verlassen beginnen“.

Wusste Kurella, dass sein Günstling insgeheim Kafka, die französischen Existenzialisten und den als Altnazi verhassten Heidegger las? Möglich, denn Tübke notiert 1977 im Tagebuch, seine Post werde überwacht. Aber jetzt war Kurella tot, während die drei Leipziger Maler Schule machten und zu Kronzeugen für die von Honecker proklamierte Weite und Vielfalt des Sozialistischen Realismus wurden. Damit erfüllte sich – mit seinem Amt als Rektor, dem Nationalpreis 1. Klasse und dem Frankenhauser Großauftrag – Tübkes Sendungsbewusstsein, das sich „an den gewachsenen Hochleistungen eines Veronese, eines El Greco“ maß. Aber da sei noch „ein Geheimnis mit mir und in mir. Sind meine Arbeiten auch nicht perfekt – wie ich es mir wünsche –, so sind sie doch ,gezeichnet’, stigmatisiert, sind schwache Spuren der Ewigkeit“.

Die Haft 1946: Lebenslang quälten Tübke Schmerzen und Todesahnungen

Tatsächlich sind die Spuren einer Stigmatisierung auch in seinen 1989 im Tagebuch fixierten Kindheits- und Jugenderinnerungen zu entdecken. Wie der Bildhauer Wieland Foerster, dessen ganzes Werk in der DDR von seiner Hafterfahrung in einem sowjetischen Speziallager geprägt wurde, war auch Tübke 1946 als vermeintlicher Werwolf verhaftet und in einem „GPU-Keller“ misshandelt worden. Bei seiner Entlassung musste er sich verpflichten, darüber 20 Jahre lang zu schweigen. Lebenslang quälten ihn Schmerzen und Todesahnungen, und man muss nicht die Psychoanalyse bemühen, um hinter der verdrängten Demütigung auch eine Ursache seiner wechselnden Unter- und Überlegenheitsgefühle zu vermuten.

Immerhin, dass sein Kollege Bernhard Heisig ihn 1954 nicht einmal zu kennen glaubte und ihm als Künstler damals Minderwertigkeitsgefühle einflößte, konnte er spät, aber nicht zu spät kompensieren. 1985 hielt Heisig ihm die Laudatio zur Ehrendoktorwürde.

Werner Tübke: Mein Herz empfindet optisch. Aus den Tagebüchern, Skizzen und Notizen hrsg. von Anna Michalski und Eduard Beaucamp. Wallstein, Göttingen 2017. 396 S., 39,90 €.

Hannes Schwenger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false