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Sie hatte viele berühmte Freunde. Die Kunstmäzenin Gabriele Henkel.

© Jörg Carstensen/dpa

„Erinnerungen“ von Gabriele Henkel: Vor Easyjet war Jetset

Wie kam die Sammlerin Gabriele Henkel zur Kunst? Ihr Buch „Erinnerungen“ erzählt von der glamourösen Seite der Bonner Republik.

In Helmut Dietls „Kir Royal“, jener Fernsehserie um die Münchener Schickeria Mitte der 1980er Jahre, gibt es, als hübsches Detail, noch eine andere Serie: „Düsseldorf – das deutsche Dallas“. Glamour war der Bonner Republik eher suspekt, und wenn Düsseldorf sich neben München als zweite deutsche Gesellschaftsmetropole behaupten konnte, war das zu einem Gutteil auch einer Frau zu verdanken: Gabriele Henkel.

Vergangenen September starb die wichtige Kunstsammlerin, hinterlassen hat sie ihre „Erinnerungen“: ein Buch von 240 Seiten (DVA Verlag, 25 Euro). Vielleicht war die Zeit knapp, vielleicht resultiert der fragmentarische, schlaglichtartige Charakter des Textes aber auch aus dem am Ende formulierten Motto: „Leben bedeutet, Augenblicke zu sammeln, die in Erinnerung bleiben.“

Gabriele Henkel in Erinnerung geblieben sind vor allem Begegnungen mit Menschen – wenigen Frauen, vielen Männern. Sie scheint mit fast allen prominenten Männern der Welt Freund gewesen zu sein: Friedrich Torberg, Gregor von Rezzori, Philip Johnson, Henry Kissinger, Günther Uecker, Matteo Thun, Teddy Kollek, Frank Stella. Mit der Zeit kamen immer mehr Persönlichkeiten „aus aller Welt“ in die Düsseldorfer „Chami 9“ oder das Landhaus in Hösel. Oder man traf sich am Cap d’Antibes, auf Sardinien, in St. Moritz, Paris, Rom, New York. An den erlesensten Orten, zu ihrer besten Zeit: „Lunch im Four Seasons Grill. Damals war das Restaurant noch im Seagram Building von Mies van der Rohe.“

Fast kam es zur Hochzeit mit Robert Wilson

#MeToo hat Gabriele Henkel knapp verpasst. Ihre Wortwahl und Weltsicht stammen aus einer anderen Zeit. Vor Easyjetset war Jetset: „Wie entspannt hingegen war Fliegen früher. Stewardess war ein Traumberuf für junge, erlebnishungrige Mädchen, die gelegentlich hold wie eine Schönheitskönigin auf der Armlehne eines Passagiers Platz nahmen, nachdem sie ihm einen Dry Martini serviert hatten.“ Ein notorischer Playboy alter Schule war der Fiat-Erbe Gianni Agnelli: „Gianni hatte die Eigenschaften seiner Rennwagen: schnell und elegant. Immer ungeduldig, stets in Eile. Das schloss nahezu aus, dass man ihn als guten Liebhaber bezeichnen durfte.“ Wie ihr Mann Konrad Henkel, Erbe eines Düsseldorfer Waschmittel-Imperiums, damit umging? „Die wenigen wirklich wichtigen Männer, die durch mein Leben schwebten, habe ich Konrad diskret vorgestellt. Er hat sie akzeptiert, das genügte.“

Gabriele Henkels Indiskretionen kommen durchaus diskret daher. Ihre Kriegskindheit mit minimaler Schulbildung ist rasch abgehandelt. Als 16-Jährige schickt sie der Vater als Au-Pair nach London– als Journalistin für „The Observer“ und „Newsweek“ kehrt sie zurück und geht nach Bonn. Im rheinischen Karneval trifft sie den um einige Jahre älteren Konrad Henkel. Ein bisschen ausführlicher erzählt sie das schon – etwa, wie Robert Wilson sie beinahe heiratete –, und vom Zeitgeist der Bonner Republik. Helmut Schmidt verehrte sie – für Helmut Kohl gibt es ein eher vergiftetes Lob: „Er hat die biedere, geistfeindliche Atmosphäre von Bonn angemessener verkörpert als jeder andere Bundeskanzler vor ihm.“

Kunst ist pflegeleichter als Pflanzen

Nie zuvor in der Literaturgeschichte dürften sich auf 240 Seiten so viele Promis versammeln. Darin übertreffen Henkels Erinnerungen selbst Andy Warhols „POPism“, ein formal wie inhaltlich eng verwandtes Werk: Beiden Chronisten geht es um das „wer wann wo mit wem“. Was Gabriele Henkel zur Kunst brachte? „Natürlich habe ich mit Gunter geflirtet, aber der Sinn der Übung war nicht das Bett, sondern etwas anderes: Er beabsichtigte, in München ein Museum für zeitgenössische Kunst zu bauen, und das interessierte mich.“ Gunter Sachs baute dann kein Museum – aber Gabriele Henkel verband ihr Interesse an Künstlern und Kunst und an der von ihr mit Leidenschaft ausgeübten Kunst der Szenografie aufs Vortrefflichste mit den ehelichen Pflichten an der Seite einer Unternehmerpersönlichkeit, die eine gesellschaftliche Verantwortung empfand. Und mit den damit einhergehenden finanziellen Möglichkeiten.

Oder war alles doch ganz anders? „In der Firmenzentrale gab es kilometerlange Flure, unzählige Büros, Konferenzzimmer, Gemeinschaftsräume, die alle mit Pflanzen dekoriert waren, und Pflanzen, so die Rechnung, waren am Ende teurer als Zeichnungen oder Gemälde junger Künstler. Kunst war pflegeleichter. Sie musste nicht ständig umgetopft und gegossen werden.“ Wie auch immer es angefangen haben mag: In fünfzig Jahren kaufte Gabriele Henkel über zweitausend Kunstwerke und baute die Sammlung Henkel auf. 2016 ehrte sie die Düsseldorfer Kunstsammlung mit einer Ausstellung von 42 Kunstwerken etwa von Robert Delaunay, Ellsworth Kelly, Frank Stella, Gerhard Richter, Imi Knoebel – natürlich im Henkel-Saal des Hauses.

Jens Müller

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