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Erinnerungen an große Open-Air-Konzerte: Purpurner Glücksregen

Die Sommersaison der großen Open-Air-Konzerte fällt aus. Zum Trost reisen wir in der Erinnerung zu den schönsten, Musikerlebnissen im Freien – von Berlin über Bayreuth bis nach New Jersey.

Prince in der Waldbühne

„Keiner will Prince sehen“: Die Tagesspiegel-Schlagzeile vor dem Konzert des Funk-Superstars im Juli 2010 war nicht frei von Häme. Dabei wurden trotz gepfefferter Preise 12 000 Tickets vorab verkauft.

Nicht gerade „keiner“. Am Abend selbst waren 17 000 Menschen in der Waldbühne – eine heute unvorstellbare Menge. Dennoch war im steilen Rund noch Platz, was dazu führte, dass viele von den (preiswerteren) Rängen in den (teuren) Innenbereich drängten.

Die Ordner resignierten, der Platz vor der Bühne füllte sich, die Party konnte losgehen. Und Prince legte, topfit und bis in die toupierten Haarspitzen motiviert, zusammen mit seiner brillanten Begleitband einen denkwürdigen Auftritt hin, von dem damals niemand ahnte, dass es sein letzter in Berlin sein würde.

Für mich schlossen sich an diesem Abend viele Kreise: Seit den Achtzigern war ich dem schillernden Genie aus Minneapolis verfallen, hatte aber, sei es aus Geiz oder Trägheit, keines seiner diversen Berlin-Konzerte besucht. Nun war ich endlich angekommen und tanzte und schrie vor Begeisterung zu „Let’s Go Crazy“, „1999“, „Little Red Corvette“ und vielen anderen Liedern, die mich mehr als mein halbes Leben begleitet hatten.

Als gegen Ende „Purple Rain“, eine der großartigsten Balladen der Popgeschichte, in all ihrer majestätischen Opulenz erklang, habe ich Tränen der Freude vergossen. Selbst der Himmel signalisierte Zustimmung: Nach wochenlanger Sommergluthitze kühlte ein Regenschauer die selig heimwärts Strömenden. Schöner hätte die Audienz bei meinem Helden nicht enden können. Jörg Wunder

Glyndebourne Festival

Im strengen Sinne ist Glyndebourne im Süden Englands gar kein Freiluft-Festival, sondern ein Opernhaus, in dem die Inszenierungen klassisch indoor stattfinden. Und doch vollzieht sich der wichtigste Teil der sommerlichen Aufführungen im Freien: bei den Picknicks während der Pausen, deren längste anderthalb Stunden dauert. Dort ist die eigentliche Schau zu sehen.

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Am frühen Nachmittag, vor dem ersten Akt, haben Damen mit Abendgarderobe und Herren im Frack ihre Klappstühle und -tische bereits auf den perfekt geschnittenen Rasen vor dem Opernhaus geschleppt, um sich die besten Plätze zu sichern, und weiße Damasttischdecken ausgebreitet, Silberleuchter platziert, Porzellanteller und Kristallgläser verteilt.

Mit dem Klingelzeichen zur Pause eilen die aus dem knapp zwei Stunden entfernten London angereisten Opernbesucher sofort zu ihren Wiesenplätzen und köpfen die ersten Champagnerflaschen. Dazu werden Kressesandwiches, Hühnerschenkel und Erdbeeren mit Sahne gereicht. Ein wirklich außergewöhnliches gesellschaftliches Ereignis.

Als ich im Sommer vor zwei Jahren auf Gartenreise durch Sussex mit meiner Patentante in Glyndebourne Station machte, konnten wir uns nicht sattsehen an dem Spektakel mitten in schönster Landschaft. Hinter dem Ha-ha, einem verdeckten Gartenzaun, tummelten sich die Schafe, als wäre es ein Pastorale aus dem 19. Jahrhundert.

Meine Tante war nur schwer dazu zu bewegen, ihren Logenplatz auf einer Parkbank aufzugeben: vor uns die britische Society beim Picknick, hinter uns im Rosengarten die Crocket-Spieler. Doch dann klingelte es wieder, und wir begaben uns brav zurück zu Robin Ticciatis „Rosenkavalier“, der uns trotzdem gut gefiel. Nicola Kuhn

The Go-Betweens im Bad, Hannover

Das Konzert fand am 27. Mai 1987 in Hannover statt, im Bad. Das weiß ich nicht so genau, weil im Internet alle Tourdaten der Go-Betweens aus den achtziger Jahren zu finden sind, wie etwa bei Nirvana, dafür war die Band aus Australien leider zu unbekannt.

Sondern weil an diesem Tag Bayern München im Finale des Europapokals der Landesmeister stand, gegen Porto. Uns interessierte dieses Spiel zwar, wir fanden den Auftritt der Go-Betweens aber viel wichtiger.

Wir, das waren an diesem Abend, mein Bruder, ich und ein gewisser Leif Gabel, der einen roten Polo hatte und einen Bruder, der schon bei der „Goslarschen Zeitung“ arbeitete. Mit dem Polo machten wir uns von Wolfenbüttel aus auf den Weg nach Hannover. Im Autoradio lief die erste Halbzeit, sie lief gut für die Bayern, sie führten 1:0, und wir sprachen über das „Liberty-Belle ...“-Album der Go-Betweens und ob die anstehende neue Platte womöglich noch besser werden würde.

Das Bad in Hannover war ein Laden, der bei gutem Wetter auch draußen Konzerte veranstalten konnte, so wie die Insel der Jugend in Treptow. Toll fanden wir die neue Geigerin der Go-Betweens, Amanda Brown, das weiß ich noch. Ansonsten beeindruckten mich die frühen Hits, „Lee Remick“ und „Karen“, die Robert Forster und Co. als Zugabe spielten.

Insbesondere natürlich „Karen“, Forsters Loblied auf eine Buchhändlerin, in die er verliebt war: „She makes me find Hemingway, makes me find Chandler, makes me find Joyce.“ Was brauchte es da ein Fußballspiel? Dass die Bayern ihr Finale verloren hatten, wie wir auf der Rückfahrt erfuhren: egal. Das Glück, erstmals eine der damals besten und sympathischsten Bands der Welt live gesehen zu haben, überstrahlte alles. Gerrit Bartels

Rage Against The Maschine in der Zitadelle Spandau

Sie waren der Soundtrack einer politisierten Neunziger-Jugend. Einmal Rage Against The Machine live sehen – einst unser Lebenstraum. 2007 dann die Reunion. 2008 das Konzert in Berlin.

Nach zwei Semestern Politikwissenschaft gerade noch so viel juvenil-revolutionäres Pathos in den Knochen, um sich unreflektiert den Schlachtgesängen hingeben zu können. Sirenen erklingen, ein gigantischer roter Stern auf schwarzem Grund erscheint. Frontmann Zack de la Rocha betritt die Bühne. „Check one, two. Good evening, we’re Rage Against The Machine from Los Angeles, California“.

Der Auftakt einer ekstatischen Raserei. Egal ob „Testify“, „Know Your Enemy“ oder „Guerilla Radio“ – tausende Kehlen rappen jede Silbe inbrünstig wie Stoßgebete in den Abendhimmel. Wahlweise unterstrichen mit Faust oder Mittelfinger. Verknotete T-Shirts vor dem Gesicht. Staubschwaden steigen unter 20000 hüpfender Füße auf. Der Schweiß zeichnet bizarre Muster in die Gesichter.

Durch den verschwommenen Blick tränender Augen entsteht für 100 Minuten eine berauschte Stadtguerilla. Die sich nach der Zugabe von einer Hundertschaft der Polizei brav den Weg zur U-Bahn zeigen lässt. Hannes Soltau

Tom Petty & The Heartbreakers und Bob Dylan PNC Bank Arts Center, New Jersey

Weil das alles, open air undsoweiter, in weite Ferne gerückt ist, erinnert man sich jetzt auch gern an bescheidene Konzerterlebnisse. Zum Beispiel an Tom Petty & The Heartbreakers und Bob Dylan im August 2003 im PNC Bank Arts Center, New Jersey.

Am Nachmittag bot die waldbühnenartige Anlage im Dunstkreis von New York City ein Bild des Friedens und planbaren Glücks. Die Fans picknickten und grillten auf dem Parkplatz. Am Abend kam der Regen.

Und dann kam Bob Dylan. Ich weiß nicht, was schlimmer war. Es schüttete aus Eimern, und Dylan hatte keine Lust. Von den üblen Dylan-Konzerten, die ich erlebt habe, war es das übelste; immerhin kurz. Kurz und schmerzhaft. Der Regen nahm noch zu, als Tom Petty die Bühne betrat: strahlend. „The Waiting“. Er spielte all seine Hits. George Harrison, dem 2001 verstorbenen Freund aus gemeinsamen Traveling Wilburys-Tagen, widmete er eine berührende Hommage.

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Nach Tom Pettys – verstorben 2017 – ausdauerndem, herzerwärmenden Auftritt hatte sich die Wiese in eine matschige Rampe verwandelt, in einen Abenteuerspielplatz für juchzende Große. „Learning To Fly“. Wir brauchten einige Anläufe, um aus dem kalten Loch herauszukommen. „I Won’t Back Down“.

Die Nacht verbrachten wir in einem schäbigen, aber nicht ganz billigen Motel in Asbury Park, dem Springsteen-Ort an der Küste. Viele Grüße auch! Um vier Uhr morgens kreischte der Feueralarm los, jemand hatte im Zimmer geraucht. In unseren nassen Kleidern standen wir draußen. Wir bezahlten die Rechnung, und die Sonne ging auf, „Into the Great Wide Open“. Rüdiger Schaper

Bayreuther Festspiele

Der Volksfestplatz im Norden von Bayreuth beherbergt gewöhnlich Flohmärkte, Fahrgeschäfte oder „Kultur im Autokino“. Wohin sonst soll es also gehen, wenn die Bayreuther Festspiele es endlich wagen, sich dem Volk anzunähern?

Kathi Wagners „Meistersinger", im Sommer 2008 live aus dem Festspielhaus übertragen, als Public Viewing bei freiem Eintritt im Sommer – eine echte Weltpremiere. Im Nu wird der Platz zur Fanmeile für Richard Wagner, mit 10 000 Zuschauern, Strandliegen, Basecaps und Weißbier unter gleißender Sonne. Die Vorstellung auf dem Hügel beginnt traditionell um 16 Uhr.

Sogar die Busse werden umgeleitet, damit kein Verkehrslärm den Musikgenuss stört. Toller Lautsprechersound! Dumm nur, dass die Meistersinger auf der XXL-Videoleinwand wegen der Sonne kaum zu sehen sind. Und wenn doch, dann schwitzt Klaus Florian Vogt im Close-Up genauso wie ich selber in der Juli-Hitze.

Also lieber eine coole Rückblende ins Jahr der Heiner-Müller-„Tristan“-Premiere, 1993 muss das gewesen sein. Ein Freund sitzt in der Vorstellung, ich mache gerade Urlaub in der Nähe, hole ihn ab, warte draußen vor dem Festspielhaus.

Der dritte Aufzug neigt sich dem Ende zu, Wagners Holzopernhaus vibriert vor Musik. „Soll ich atmen, soll ich lauschen?“ Waltraud Meiers Gesang weht in die laue, sternenhelle Nacht, „in des Welt-Atems wehendem All – ertrinken, versinken“. Versprengte Töne, flimmernde Klangfetzen, drin auf der Bühne stirbt Isolde im Stehen. Schöner hat ihr Liebestod nie geklungen. Christiane Peitz

Prince 2010 in der Waldbühne. Es war sein letztes Berlin-Konzert.
Prince 2010 in der Waldbühne. Es war sein letztes Berlin-Konzert.

© imago images/BRIGANI-ART

Pixies beim Bizarre Festival in Gießen

Mein erstes Open-Air-Festival überhaupt. Alles war aufregend. Schon, dass meine Mutter mir – ich war 1991 gerade mal 18 – erlaubt hatte, mit ihrem Auto nach Gießen zu fahren, euphorisierte mich nachhaltig.

Auf dem Gelände des Waldstadions dann lauter coole Leute, eine riesige Bühne und nonstop Rockmusik. Als der Auftritt von Bad Religion anstand, befand ich mich irgendwo in der Mitte, vermeintlich weit genug weg von den zu erwartenden Mosh-Pits. Nach den ersten Takten der kalifornischen Punkband erkannte ich meinen Irrtum: Ich wurde umgehauen, verlor einen Schuh. Panisch krabbelte ich durch die tobenden Fans, um ihn zurückzuholen. Es gelang mir ohne größere Blessuren.

Am Abend dann endlich die Pixies. Der Hauptgrund dafür, dass ich nach Gießen gekommen war. Ich hatte keine Ahnung davon, dass es in der Band seit einiger Zeit kriselte. Sänger Frank Black und Bassistin Kim Deal ignorierten sich auf der Bühne, die in wunderbar grün-gelbes Licht getaucht war, denn auch mehr oder weniger

Aber das macht mir nichts aus, denn sie spielten viele Lieder von meinem Pixies-Lieblingsalbum „Doolittle“. Gleich zu Beginn „Debaser“ und am Ende „Monkey Gone To Heaven“, bei dem ich frenetisch mitsang als es um den Teufel und Gott ging. Ich bin echt nicht religiös, aber mit den Pixies an diesem Juni-Abend „Then God is seven“ zu grölen, war ein großes lautes Glück. Nadine Lange

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