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Freundschaft! Die Sängerin Barbara, hier auf einem Bild von 1990.

© AFP/Perry

Erinnerung an Chansonsängerin Barbara: Die Sehnsucht von Paris – und Göttingen

Ihr Lied „Göttingen“ traf die Gefühlslage einer ganzen Generation. Eine Erinnerung an die französische Chansonsängerin Barbara.

Kann man Göttingen mit Paris vergleichen? Vergleichen kann man alles. Aber kann man Göttingen mit Paris gleichsetzen? Die französische Chansonsängerin Barbara hat das im Sommer 1964 getan, auf eine stille, zu Herzen gehende Weise, und damit für die deutsch-französische Verständigung mehr erreicht als viele Politikerreden.

Dabei sprach am Anfang dieser Geschichte nichts, wirklich nichts dafür, dass sie zu mehr als zu einem Missverständnis, einer Enttäuschung führen würde. Der Direktor des Jungen Theaters Göttingen, Hans-Günther Klein, hatte mehr durch Zufall am Beginn des Jahres in Paris die Chansonnière Barbara bei einem Konzert erlebt und lud sie begeistert zu einem Gastspiel nach Göttingen ein. Barbara, 1930 als Tochter jüdischer Eltern geboren und mit diesen ihre ganze Kindheit dauernd auf der Flucht vor den Nazis, zögerte, sagte einige Zeit später aber zu. Sie machte zur Bedingung, dass ihr bei ihrem Auftritt ein Flügel zur Verfügung stand.

Was sie vorfand, war ein altes, offenbar verstimmtes Klavier. Sie weigerte sich zu spielen, aber ein paar Studenten organisierten einen Flügel aus dem Haus einer verständnisvollen alten Dame. Das Instrument wurde über die Straße getragen, Barbara spielte – und wurde gefeiert. Gerührt ob der enthusiastischen Aufnahme, verlängerte sie ihr Engagement um eine Woche und sang jeden Abend. Am letzten Abend kam ein neues Lied hinzu. Ein Chanson, das sie im Garten des Theaters geschrieben hatte, ein Lied über die Menschen in Göttingen und in Paris, Menschen, die die gleichen Sehnsüchte haben, von der gleichen Friedenshoffnung getrieben werden, Kinder, die die gleichen sind, in Paris wie in Göttingen.

Gerhard Schröder zitierte aus dem Chanson

Barbara, im Sommer 1964 ist sie 34, schreibt das Lied mit französischem und deutschem Text, und sie singt es in beiden Sprachen, wechselnd von Strophe zu Strophe. Es ist ein einfacher Text – eigentlich sind die Texte aller großen Chansons einfache Texte. Deshalb verstehen die Leute sie ja. Heute wissen wir, dass „Göttingen“ die Gefühlslage einer ganzen Generation traf. Die Erinnerungen an die deutsche Besatzung waren in Frankreich noch wach, die Ressentiments überall spürbar, und was wir später deutsch-französische Verständigung nannten, war noch längst nicht von der hohen Ebene der Politik in der Bevölkerung angekommen. Dass die Sängerin Jüdin war, französische Jüdin, gab dem Lied besondere Kraft.

Barbara wurde für „Göttingen“ geehrt, 2002 wurden Text und Melodie in den offiziellen Lehrplan der französischen Vor- und Grundschulen aufgenommen. 2003, zum 40. Jahrestag des Élysée-Vertrags, zitierte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder während der Sitzung der Assemblée Nationale und des Bundestages im Schloss Versailles aus dem Chanson. Heute vor 20 Jahren, am 24. November 1997, ist Barbara gestorben. Sie wurde 67 Jahre alt.

Gerade sind Barbaras Memoiren im Wallstein-Verlag auf Deutsch erschienen: „Es war einmal ein schwarzes Klavier“, 200 S., 18,90 €.

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