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Epigrammatiker vom Dienst. Erich Fried.

© Imago Jürgen Ritter

Erich Fried 100: Engagement und Enragement

Zum 100. Geburtstag von Erich Fried erscheinen Gespräche und eine Neuauflage seiner Erinnerungen

Von Gregor Dotzauer

Spätestens mit dem Ende der Bonner Republik war er als politischer Dichter passé. Erich Fried, der Wiener Jude, der die deutschen Verhältnisse aus seinem Londoner Exil heraus umkreiste, hatte vielleicht das zweifelhafte Glück, es nicht mehr selbst erleben zu müssen: Er starb ein Jahr vor dem Mauerfall. Doch außer als Wächter zeitloser Tugenden wie Mut, Beharrlichkeit und Unbeugsamkeit taugte er schon zu seinem 80. Geburtstag, der seinerzeit mit Christoph Hein, George Tabori und seinem Verleger Klaus Wagenbach im Berliner Ensemble begangen wurde, nur noch zu einer fragwürdigen Verklärung.

Zu seinem 100. Geburtstag an diesem Donnerstag ist nun die Chance gekommen, ihn endlich als die historische Figur zu feiern, die er ist – ohne krampfhafte Aktualisierungsversuche. Im selben Atemzug kann man zugeben, dass er sich auf das, was er machte, nämlich ein zupackend epigrammatisches Dichten, das gar nicht erst an die Komplexitäten der poetischen Moderne anschließen wollte, hervorragend verstand. Das wusste auch er selbst und war doch klug genug, den Abstand zu dem großen Waliser Dylan Thomas, den er übersetzte, oder Paul Celan, für den er sich einsetzte, ermessen zu können.

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Wer dieser Erich Fried war, was ihn prägte und politisierte, kann man nun in einer Neuauflage seiner zuerst 1986 erschienenen Erinnerungen „Mitunter sogar Lachen“ mit einem frischen Nachwort von Josef Haslinger nun noch einmal anrührend nachlesen. Haslinger beschreibt sie als „erinnerte Sprache“, die zwar „eine episch ausgestaltete Darstellung von Wahrnehmungen und Ereignissen“ biete, dies aber vor allem in „einer dramaturgisch aufbereiteten Darstellung der Sprechakte, die mit diesen Ereignissen verbunden sind.“

[Erich Fried: Mitunter sogar Lachen. Erinnerungen. Mit einem neuen Nachwort von Josef Haslinger. Wagenbach, Berlin 2021. 208 Seiten, 26 €.]

Als Dokument noch aufschlussreicher ist der Gesprächsband „Freiheit herrscht nicht“. Gründlich kommentiert und mit Schlaglichtern auf Themen wie Exil, 1968, Österreich oder die USA, sammelt er entlegene Interviews. Sie zeugen unter anderem von Frieds hochreflektiertem Umgang mit den Fallstricken engagierter Literatur – beispielhaft etwa im Gespräch mit dem Amsterdamer Germanisten Dick van Stekelenburg.

[Erich Fried: Freiheit herrscht nicht. Gespräche und Interviews. Hrsg. von Volker Kaukoreit und Tanja Gausterer. Wagenbach, Berlin 2021. 160 Seiten, 12 €.]

Eine Wiederentdeckung ist auch der Dialog mit seinem Kollegen Peter Weiss, der den Blick auf die Niederschlagung des Prager Aufstands 1968 mit der Warnung verknüpft, angesichts des Vietnamkriegs der USA nicht in blinden Antikommunismus zu verfallen. Man sollte zwar keine allzu großen Hoffungen in die Entwicklungsfähigkeit des moralischen Bewusstseins setzen, aber über die Verrechnungsmodalitäten solcher Gewissenskonflikte ist die Zeit doch glücklich hinweggegangen.

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