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Spiegelbild. Ein Selbstporträt von Maria Austria mit zwei ihrer Mannequins, 1958 in Amsterdam.

© Maria Austria Instituut

Entdeckung im Verborgenen Museum: Überquellendes Leben

Die jüdische Fotografin Maria Austria überlebt in Amsterdam die deutsche Besetzung. Für Anne Franks Vater dokumentiert sie später das Familienversteck.

Selbstbewusst schaut die junge Frau in die Kamera. Der Oberkörper ist ein wenig nach vorne gebeugt, das dunkle Haar gewellt, sie lächelt. Doch es sind die Augen, die den Betrachter in ihren Bann ziehen. Während der Rest des Bilds leicht verschwommen ist, sind sie gestochen scharf. Es ist der Blick einer Frau, die sich nichts verbieten lässt.

Das Foto ist ein Selbstporträt der jungen Maria Austria und Teil der aktuellen Ausstellung im Verborgenen Museum. Mit etwa 100 Schwarz-Weiß-Fotografien aus ihren verschiedenen Schaffensphasen und historischen Dokumenten erzählt die Ausstellung auf beeindruckende Weise vom Leben und Wirken der österreichisch-niederländischen Fotografin.

Als das Selbstporträt entsteht, ist Austria zwanzig Jahre alt. Marie Oestreicher wird 1915 in eine jüdisch-österreichische Familie in Karlsbad geboren. In einer Zeit, als Frauen höhere Bildung allzu oft versagt bleibt, macht sie Abitur und macht in Wien eine Ausbildung zur Fotografin. Bereits in ihren Bildern aus dieser Zeit sieht man Austrias Begabung zur Sozialreportage. Sie fotografiert Glasbläser in Böhmen, Arbeiter beim Karten spielen in Wien, Mädchen am See. Mit ihren Fotografien ist sie ganz nah an ihren Protagonisten und deren Lebenswelt.

Maria Austria ahnt früh, was kommt

Früh erkennt Austria die Gefahr durch die Nationalsozialisten. 1937 emigriert sie nach Amsterdam, wo ihre ältere Schwester Lisbeth wohnt. Dort eröffnen die Schwestern ein kleines Foto- und Textilatelier. In dieser Zeit ändert sie ihren Namen in Maria Austria.

Nach der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen im Mai 1940 und dem Berufsverbot für jüdische Fotografinnen und Fotografen muss Austria ihre Arbeit aufgeben. Fortan arbeitet sie für den Jüdischen Rat unter anderem als Lehrerin und Krankenschwester. Im September 1943 taucht sie unter. Bald darauf wird Austria im Widerstand aktiv, macht Botengänge, fälscht Ausweise. Noch aus ihrem Versteck in der Amsterdamer Vondelstraat dokumentiert sie die Besetzung durch die Deutschen. Aus dem Dachgeschossfenster fotografiert sie heimlich deutsche Truppen, die in den Straßen marschieren.

Austrias Fotos zeigen das Versteck in der Vondelstraat als spärlich möblierten, düsteren Raum, vollgestopft mit Fälscherutensilien, Kartons, losen Blättern, einer Schreibmaschine, schmutzigem Geschirr und überquellenden Aschenbechern. Im Versteck lernt Austria schließlich den Widerstandskämpfer Henk Jonker kennen, dem sie das Fotografieren beibringt. Sie werden ein Paar.

Direkt nach Kriegsende stürzt Maria Austria sich wieder in die Arbeit als Fotografin. Gemeinsam mit Jonker und anderen Fotografen gründet sie in Amsterdam die Fotoagentur Particam, eine Wortschöpfung aus „Partisanen“ und „Camera“. Austria dokumentiert in dieser Zeit die Zerstörungen des Amsterdamer Hauptbahnhofs und die Verhaftung niederländischer Kollaborateure. Mit ihren Fotoreportagen erzählt sie von Heimkehrern aus dem Lager Westerbork, in dem die Nazis Juden interniert hatten, und der Hungersnot und dem Elend nach dem Krieg.

Nach Kriegsende wird die Fotografin zur Porträtistin und Sozialreporterin

Austrias Bilder sind gestochen scharf und von starken Kontrasten geprägt. Man erkennt jede noch so kleine Falte. Sie scheint die Menschen und das Geschehen unmittelbar einzufangen. Neben Sozialreportagen fertigt sie in den Jahren nach dem Krieg viele Porträts von herausragenden Intellektuellen und Künstlern ihrer Zeit wie Bertrand Russell, Benjamin Britten und Maria Callas an.

Die Ausstellung im Verborgenen Museum zeigt zum ersten Mal auch Bilder aus der Fotoserie „Het Achterhuis“, das Hinterhaus. 1954 beauftragt Otto Frank, der Vater Anne Franks, Austria, das Hinterhaus in der Amsterdamer Prinsengracht bis ins kleinste Detail fotografisch zu dokumentieren, in dem sich die Familie zwischen 1942 und 1944 versteckte. Am Broadway soll eine Bühnenadaption von Anne Franks Tagebuch aufgeführt werden, der Regisseur will das Versteck detailgetreu nachbauen. Die mehr als 200 Fotos zeigen den Aktenschrank, der das Versteck nach außen verbarg, die schmalen, steilen Treppen, die Enge. In Annes Zimmer entdeckt sie eines ihrer eigenen Fotos, das Porträt eines Babys, das das Mädchen aus der niederländischen Zeitschrift „Libelle“ ausgeschnitten hatte. Die Aufnahmen vom Hinterhaus sind in ihrer dokumentarischen Schlichtheit ein bedrückendes Zeitzeugnis.

Ab den sechziger Jahren widmet sich Austria, inzwischen allein für die Agentur zuständig, fast ausschließlich dem avantgardistischen Theater und Tanz. Bereits in den Dreißigern war sie fasziniert von den experimentellen Theatern am Wiener Naschmarkt. Wie ihre Momentaufnahmen die Dynamik der Inszenierungen und Choreografien und die Emotionen der Darsteller einfangen, ist schlicht faszinierend. 1963 wird Austria Hausfotografin des Mickery-Theaters, das zu dieser Zeit eine der wichtigsten Bühnen für freie Ensembles in Europa ist. Dort bleibt sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1975.

Die Ausstellung, eine Übernahme des Joods Historisch Museum in Amsterdam, gibt einen umfassenden Einblick in das Leben dieser außergewöhnlichen Fotografin. Es bleibt zu hoffen, dass Maria Austria durch diese Werkschau auch in Deutschland bekannter wird.

Das Verborgene Museum, Schlüterstr. 70, bis 10. März.; Do–Fr 15–19 Uhr, Sa/So 12–16 Uhr

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