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Nordische Kunst, asiatische Requisiten. Das Gemälde „Wajangfigur und Blumen“ von Emil Nolde aus dem Jahr 1928.

©  Nolde Stiftung Seebüll

Emil Nolde im Brücke-Museum: Braune Blüten

Das Berliner Brücke-Museum widmet Emil Nolde eine große Ausstellung. Seine Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus wird allerdings nicht erklärt.

Geht das noch? Lapidar nennt sich die Ausstellung im Berliner Brücke-Museum „Nolde. Der Maler“. Der Katalog in satten Nolde-Farben – Himmelblau, Sonnengelb, Mohnrot. Die Besucher in der Ausstellung begeistert. Hoch konzentriert vereint die Schau die Meisterwerke von Emil Nolde, viele von ihnen Leihgaben der Nolde-Stiftung in Seebüll. Einige waren auch schon in der großen Retrospektive zu sehen, die 2014 vom Frankfurter Städel Museum aus ans Louisiana Museum im dänischen Humblebaek tourte.

Allerdings wurde die Retrospektive vor zwei Jahren begleitet von der Veröffentlichung der jüngsten Forschungsergebnisse zum Dilemma um Emil Nolde. Der Künstler sympathisierte offen mit den Nationalsozialisten, wurde aber gleichzeitig von ihnen verfemt. Die Nazis beschlagnahmten über tausend Bilder aus deutschen Museen und führten fünfzig Werke in der Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ vor. Nolde wurde aus der Reichskunstkammer ausgeschlossen, er durfte seine Bilder nicht öffentlich zeigen. Weiter arbeiten konnte er nur, weil Otto Andreas Schreiber, der Berliner Kreisführer des Nationalsozialistischen Studentenbundes, seine Kunst bewunderte und ihm Farben schickte.

Der Schwerpunkt im Brücke-Museum liegt auf der Kunst, nicht der Biografie

Die Berliner Kunsthistorikerin Aya Soika schildert sehr differenziert im Frankfurter Katalog Noldes Anbiederungsversuche an die Nazis. 1934 trat er der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschlesien bei, diffamierte Kollegen, schrieb Ergebenheitsaddressen an Goebbels, um seine beschlagnahmten Werke wiederzubekommen. Seine Begeisterung für Hitler erlosch erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. 1946 wurde der Künstler „entnazifiziert“. In ihrem exzellenten Aufsatz unterscheidet Soika auch zwischen Strategie, Überlebenstechnik und Überzeugung.

Wie können diese Forschungsergebnisse jetzt fair in künftige Ausstellungen einfließen? Das Brücke-Museum hat sich entschieden, den Schwerpunkt seiner Schau ganz auf die Kunst zu reduzieren und die biografischen Daten abzukoppeln. Damit bleibt es dem Zufall überlassen, ob sich die Besucher im Katalog über Noldes Lebenslauf informieren. Dort und in einem zusätzlichen Faltblatt werden die Daten aufgelistet, aber nicht eingeordnet. Dabei erkennt man in der Ausstellung durchaus, wie sehr Noldes Leben seine Kunst bewegte.

Im Brücke-Museum sind die wunderbaren Anfänge zu sehen. Bei Sonnenaufgang 1901 tummeln sich mystische Fabelwesen über der See. Die Liebe zu der dänischen Schauspielerin Ada Vilstrup hellt die Farben sinnlich auf. Die Begegnung mit Vincent van Gogh schlägt wie ein Blitz ein und lässt seine Malerei nachbeben.

Emil Nolde kannte die Zurückweisung aus seinen Anfängen als Künstler

Emil Nolde, 1867 als Hans Emil Hansen in dem südjütländischen Dorf Nolde geboren, ist vergleichsweise alt, als er seine Laufbahn als freier Künstler beginnt. Zunächst macht er eine Lehre als Holzbildhauer, arbeitet dann als Zeichenlehrer und wird bekannt mit Bergpostkarten aus der Schweiz. Als er 1905 in Berlin eine Ausstellung mit Gemälden von Vincent van Gogh sieht, ist er 38 Jahre alt und deutlich älter als die Brücke-Künstler, die ihn 1906 in ihren Kreis einladen. Der Einzelgänger Emil Nolde verlässt die Gruppe nach einem Jahr, aber die Farben der Brücke bleiben in seiner Malerei erhalten.

Der Künstler teilt das Jahr zwischen Aufenthalten in Berlin und auf der Ostsee-Insel Alsen. Im Brücke-Museum sind natürlich die bewegten Bilder von Wolken und Wellen zu sehen, aber auch die religiösen Motive, inspiriert von Träumen und Visionen. In dem Gemälde „Verspottung“ aus dem Jahr 1909 heizt ein Mob die Stimmung auf, die Zähne der johlenden Gaffer blitzen weiß, ihr Opfer, mit langem Christus-Haar und Noldes blauen Augen, erträgt den Hohn stoisch. Die Kränkung, die Zurückweisung kennt Emil Nolde selbst seit seinen Anfängen als Künstler. Immer wieder klagt er darüber, dass er sich nicht ausreichend gewürdigt fühle.

Berlin ist ihm zwar fremd, aber der Widerstand tut seiner Kunst gut. Die Dame mit schwarzem Hut in der flirrenden Weinwirtschaft gehört zu seinen schönsten Personendarstellungen. Auch die Kerzentänzerinnen, die wie in Trance über die Flammen wirbeln, vermitteln die Aufregung der Großstadt. 1914 reist Emil Nolde mit seiner Frau nach Papua-Neuguinea, muss den Aufenthalt aber abbrechen, als der Erste Weltkrieg beginnt.

In Noldes Porträts fehlt die Neugier für das Gegenüber

In der Welt, in der er sich zu Hause fühlt, wird der Blick des Malers häufig eng. Die Frau mit Kind zwischen flammend roten Blüten von 1918 wirkt fast süßlich. In den zwanziger Jahren bevölkern seltsame Monster die Gemälde, die Landschaften sind spirituell aufgeladen, die Menschen zu Fratzen aufgedunsen. In den Aquarellen sind schon die späteren ungemalten Bilder angelegt. Porträts misslingen dem Künstler mitunter, ihnen fehlt die Neugier für das Gegenüber. Auch seine Selbstporträts zerschellen an der eigenen harten Schale.

Sichtbar angepasst hat Nolde seine Malerei nicht. Er selbst hielt es für ein Missverständnis, dass die Nazis nicht erkannten, wie sehr seine „nordische Kunst“ ihren Vorstellungen entsprach. Was hat er eigentlich damit gemeint? Sollte eine solche chronologisch angelegte Ausstellung nicht wenigstens den Zusammenhang zu den Forschungsergebnissen herstellen? Für Besucher bleibt die Irritation. Die einen sind entzückt von den Farben und fallen aus allen Wolken, wenn sie die biografischen Angaben lesen. Die anderen suchen nach Hinweisen auf Noldes Gesinnung und vermuten sie hinter jeder Blüte und jeder Wolke. Anspruchsvoller wäre es gewesen, der Ambivalenz auf den Grund zu gehen.

Brücke-Museum, Bussardsteig 9, bis 23.10.; Mi bis Mo 11 – 17 Uhr

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