zum Hauptinhalt
Für ihr Buch "Das sechste Sterben" erhielt die Reporterin Elizabeth Kolbert den Pulitzer-Preis

© picture alliance / dpa / Pulitzer Board

Elizabeth Kolbert über Klimawandel: „Wir sind moralisch verpflichtet, die anderen Arten zu schützen“

Die Menschheit ist der Asteroid, der die Erde zerstört: Pulitzerpreisträgerin Elizabeth Kolbert über Klimawandel, Artensterben und Trumps Umweltpolitik.

Von
  • Til Knipper
  • Anna Sauerbrey

Frau Kolbert, in Kattowitz tagt für die kommenden zwei Wochen der 24. UN-Klimagipfel. Der Weltklimarat hat in seinem jüngsten Bericht mitgeteilt, dass das im Pariser Abkommen angestrebte 1,5-Grad-Ziel noch erreichbar ist. Teilen Sie diesen Optimismus?

Wenn wir uns ab sofort radikal anders verhalten, ist es möglicherweise noch erreichbar. Wir müssten aber die weltweiten Emissionen, die im Moment noch steigen, bis 2030 halbieren. Aber tun wir etwas dafür? Es bedürfte einer weltweiten gemeinsamen multilateralen Anstrengung in einer Zeit, in der sich die Welt politisch in die entgegengesetzte Richtung bewegt.

In Ihrem Buch „Das sechste Sterben“ beschreiben Sie die Folgen des Klimawandels für die Tierwelt. Wir erleben zurzeit eine Auslöschung der Arten wie zuletzt beim Aussterben der Dinosaurier , das auf einen Asteroideneinschlag zurückgeführt wird.

Ein New Yorker Künstler hat dazu ein Warnschild entworfen mit der Aufschrift: Wir sind der Asteroid. Leider ist das kein Scherz. Die Menschheit ist verantwortlich für den Klimawandel.

Muss man den Homo sapiens dann als Fehler der Evolution bezeichnen?

Man müsste zunächst klären, ob die Evolution überhaupt Fehler machen kann. Im Sinne der Evolution wäre eigentlich nur das ein Fehler, was nicht überlebensfähig ist. Die Menschheit hat bisher nicht nur überlebt, sondern sich erfolgreich über den gesamten Globus verbreitet – auf Kosten aller anderen Produkte der Evolution.

Viele Geologen bezeichnen das aktuelle Erdzeitalter daher als Anthropozän.

Für manche Geologen ist es nur eine sogenannte Epoche, also ein für sie relativ kurzer Zeitabschnitt. Es gibt aber auch Forscher, die sagen, dass das Anthropozän nicht mehr Teil des Holozäns ist, der Periode, die mit dem Ende der letzten Eiszeit vor 11700 Jahren begann. Wahrscheinlich hat die Menschheit den Zyklus der Eiszeiten verändert. Die Geologen fragen sich: Was wird man von uns in 100 Millionen Jahren finden? Mithilfe von Fossilien wird man die Auslöschung der Arten belegen können, die Veränderung des Kohlenstoff- und Stickstoffkreislaufs. Wenn wir weiter den Regenwald abholzen und dort Monokulturen anbauen, wird man auch die Veränderung des Pollenbestands nachvollziehen können.

Der vom Aussterben bedrohte panamesische Stummelfußfrosch
Der vom Aussterben bedrohte panamesische Stummelfußfrosch

© REUTERS/Carlos Jasso

Hinkt der Vergleich zum Asteroiden nicht trotzdem? Der fiel aus dem All, ohne jede Intention, während die Menschheit wissentlich den Planeten und die Umwelt zerstört. Sind wir überhaupt Teil der Natur?

Das ist philosophisch eine spannende Frage, aber die Antwort ist am Ende nicht entscheidend. Die einen sagen: Die Menschen sind ein Produkt der Evolution. Wenn sie fossile Brennstoffe aus der Erde holen oder Atomwaffen zünden, ist das nur ein weiterer Schritt im evolutionären Prozess. Eine andere Denkschule unterscheidet zwischen menschgemachten und natürlichen Ursachen. Sie nimmt die Menschheit zum Teil aus dem Evolutionsprozess heraus. So gesehen pfuschen wir der Evolution mit unseren Eingriffen ins Handwerk. Fakt ist, dass deren Auswirkungen katastrophal sind. Insofern passt der Asteroidenvergleich doch.

Haben wir denn die moralische Verpflichtung, andere Arten zu schützen?

Eine andere Spezies zu eliminieren stellt meines Erachtens ein schweres moralisches Verbrechen dar. Ja, wir sind verpflichtet, zumindest zu versuchen, die anderen Arten zu schützen. Außerdem können wir auch nicht einfach wie jetzt weitermachen, ohne dass das schwerste Auswirkungen auf die Menschheit hätte.

Stecken die Menschen nicht in einem Dilemma, weil sie die erste und einzige Spezies sind, die über sich selbst richten kann?

Die Frage übersteigt mein Gehaltsniveau. Als Journalistin sehe ich es als meine Aufgabe an, auf die Probleme hinzuweisen. Wie wir aus dem Dilemma herauskommen, weiß ich nicht. Aber es ist schon erschreckend zu sehen, dass wir keine ernsthaften Anstrengungen unternehmen.

Donald Trump hat den Bericht des Weltklimarats einfach ignoriert.

Er weiß wahrscheinlich nicht mal, was der Weltklimarat macht. Man kann nicht oft genug sagen, wie schrecklich die Umweltpolitik dieser US-Regierung ist. Lobbyisten der Kohleindustrie sitzen an der Spitze der US-Umweltschutzbehörde EPA. Alle Entscheidungen, Gesetze und Regulierungen werden direkt von der Energie- und der Chemieindustrie diktiert. Die USA sind ein Paradebeispiel für ein Land, das gerade nicht die notwendigen dramatischen Schritte einleitet, um den Klimawandel zu stoppen.

„Ich mache mir Sorgen um die Zukunft meiner Kinder“

Für ihr Buch "Das sechste Sterben" erhielt die Reporterin Elizabeth Kolbert den Pulitzer-Preis
Für ihr Buch "Das sechste Sterben" erhielt die Reporterin Elizabeth Kolbert den Pulitzer-Preis

© picture alliance / dpa / Pulitzer Board

Was sind die größten Versäumnisse der Trump-Administration?

Die USA kamen unter Obama zu den Verhandlungen nach Paris mit zwei großen Versprechen: Der Clean Powerplant Act sollte die Emissionen existierender Kraftwerke reduzieren, das andere Paket beinhaltete Regeln, um den Emissionsausstoß von Autos zu verringern. Beide wurden im Gesetzgebungsprozess aufgehalten, unter Obama noch verabschiedet, aber am Ende nicht durchgesetzt. Und die Trump-Regierung hat ganz offiziell damit angefangen, diese Art von Regulierungen wieder abzuschaffen.

Welche konkreten Auswirkungen hat der von Trump verkündete Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen?

Wären die USA dringeblieben, lebten wir dann jetzt in einer anderen Welt? Wahrscheinlich nicht in einer radikal anderen. Und die USA dienen anderen Ländern als Entschuldigung, ihre Verpflichtungen ebenfalls nicht einzuhalten. Die drei Jahre seit Paris waren weltweit eine einzige Enttäuschung. Eine wirkliche Verbesserung der Lage lässt sich nur erreichen, wenn die USA und China mitmachen.

Könnte ein demokratischer US-Präsident, so Trump 2020 verlieren sollte, bewirken, dass die USA sich wieder am globalen Klimaschutz beteiligt?

Die öffentliche Meinung in den USA ändert sich gerade, weil die Amerikaner die Folgen des Klimawandels direkt vor ihrer Haustür erleben. Wir hatten dieses Jahr mehrere desaströse Hurrikans, es gab die katastrophalen Waldbrände in Kalifornien. Jeder kann und muss die Folgen des Klimawandels und der extremen Wetterphänomene zur Kenntnis nehmen.

Wie lässt sich Trumps Strategie entgegenwirken, Klimaschutz als wirtschaftsfeindlichen Jobkiller zu brandmarken?

Die Gegenargumente liegen auf der Hand: Die Folgen des Klimawandels sind extrem teuer. Nach einer Studie des US-Kongresses könnten die jährlich verursachten Schäden durch den Klimawandel bis Mitte dieses Jahrhunderts hunderte Milliarden Dollar betragen. Zweitens bietet der Klimaschutz riesige wirtschaftliche Potenziale, etwa bei der Erzeugung sauberer Energie. Irgendjemand wird sie heben, und die Welt wird dabei nicht zwangsläufig auf die USA warten.

Warum ist es so schwer für Pflanzen und Tiere, sich dem Klimawandel anzupassen?

Die meisten Arten können nur in einem ziemlich engen Klimakorridor leben. Das gilt vor allem für die Tropen mit ihrer Artenvielfalt. Verändert sich das Klima, haben die Tiere drei Alternativen: sich anpassen, woanders hingehen oder aussterben. Weil Städte, Straßen und riesige Landwirtschaftsflächen den Weg blockieren, lässt sich schwer ausweichen.

Wird das massenhafte Artensterben auch durch die Globalisierung beschleunigt?

Es gibt auf diese Frage keine eindeutigen Antworten. Aber auch die Globalisierung greift massiv in die Evolution ein, weil Lebewesen plötzlich als blinde Passagiere in Frachtschiffen oder im Touristengepäck in neue Lebensräume geraten, mit häufig katastrophalen Konsequenzen für die Umwelt und die Nahrungskette. Ganz verhindern lässt sich das kaum, aber wir könnten wachsamer sein. Allein das Ballastwasser, das große Frachtschiffe in einem Ozean aufnehmen und tausende Kilometer entfernt wieder ablassen, kann dort das komplette Ökosystem auf den Kopf stellen.

Der Klimawandel führt zu steigenden Temperaturen, aber auch zu einer Übersäuerung der Meere. Was ist daran so gefährlich?

Manche Wissenschaftler sagen, dass die Übersäuerung der Weltmeere die Menschheit am Ende umbringen wird. Sie ist so gefährlich, weil wir sie als Landlebewesen nicht wahrnehmen. Dabei ist es Basiswissen aus dem Chemieanfängerkurs: Erhöht man den CO2-Gehalt in der Luft, steigt er auch im Wasser an, zwischen beiden muss es immer ein Gleichgewicht geben. CO2, aufgelöst in Wasser, führt zu einer Übersäuerung der Meere. Es gibt nur wenige Lebewesen, die damit dauerhaft zurechtkommen (siehe auch S. 21). Die Konsequenzen kann man schon jetzt beim weltweiten Korallensterben beobachten. Wie gespenstisch die Gewässer in Zukunft weltweit aussehen könnten, lässt sich in einem weitgehend leblosen Meeresabschnitt im Golf von Neapel nachvollziehen, wo aufgrund einer Laune der Natur seit Jahrhunderten CO2 aus unterirdischen Quellen ins Wasser sprudelt.

Sind Sie besorgt, dass es für wirksame Bekämpfung des Klimawandels zu spät ist?

Absolut, ich mache mir Sorgen um die Zukunft meiner Kinder. Was meine Angst noch verstärkt: Viele der von Klimaforschern antizipierten Phänomene treten früher ein als bisher angenommen. Aber es geht immer noch schlimmer. Wir haben kein Recht zu sagen, es sei zu spät, um die Zerstörung der Erde durch den Menschen aufzuhalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false