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Elisabeth Leonskaja

©  Marco Borggreve

Elisabeth Leonskaja: Meisterin der Masken

Was macht eine Pianistin zur Grande Dame? Elisabeth Leonskaja gibt bei ihrem Konzert im Kammermusiksaal einige Hinweise.

Das sagt sich so schnell und unverbindlich dahin: Grande Dame. Doch was genau verbirgt sich dahinter, was ist es, dass Elisabeth Leonskaja ganz klar zu einer ebensolchen macht? Ihr Schubert, Sonate B-Dur D 575, schnurrt ab wie ein Uhrwerk, doch haftet ihm nichts Mechanisches an. Vielmehr ist er gesättigt mit Leben – und Trost. Selten dürfte man den großen Weltmelancholiker so heiter, so den Sinnen und dem Dasein zugewandt gehört haben wie an diesem Abend im Kammermusiksaal. Selbst die schaurig tiefen Figuren der Linken im finalen Allegro giusto scheint Schubert, so wie sie Leonskaja spielt, mit einem Lächeln auf den Lippen geschrieben zu haben.

Dann Brahms, die sieben Fantasien op. 116. Ein Spätwerk, mit dem er 1892 – nach 13 Jahren Pause – noch einmal für Klavier solo komponiert hat. Musikalische Skizzen, die „Capriccio Presto energico“ heißen oder „Intermezzo Andante con grazia ed intimissimo sentimento“. Namen, als ginge es darum, einen Setzbaukasten der Affektenlehre zu entwerfen. Leonskaja – darin war sie schon immer sehr gut – schenkt jedem Stück eigenen Charakter und Ausdruck, so als würde sie Vorhänge beiseiteziehen. Eine Meisterin der Masken. Die dritte Fantasie: pure, gehärtete Leidenschaft. In der vierten tropfen die Töne in der Rechten, während die Linke mit schütteren Akkorden begleitet: gedehnte Zeit. Die fünfte ist skelettiert, als wär’s eine Frühform von Minimal Music. Die siebte, Capriccio Allegro agitato, könnte unter Leonskajas Händen genauso gut „furioso“ betitelt sein. Ein Auftritt, ähnlich magisch wie der von Radu Lupu in der Woche davor – und doch radikal anders.

In Tschaikowskys Grande Sonate op. 37 streben ihre Arme dramatisch auseinander in die hohen und tiefen Lagen. Elefantös könnte man das nennen, würde es nicht vollkommen falsche Assoziationen von Plumpheit wecken – Elefanten können ja auch sehr grazil sein. Zwei lange Zäsuren im Andante, als hätte sich die Musik ins Ausweglose verrannt, bevor sie dann doch neue Bahnen, neue Hoffnung findet: Das erinnert wiederum sehr an Schubert. Die quicken Läufe im Finalsatz würden andere Pianisten vielleicht zur virtuosen Mätzchenshow missbrauchen. Nicht Elisabeth Leonskaja. Große Geste: ja. Aber immer durchdacht, immer verankert in klaren Rhythmus- und Phrasierungsvorstellungen, nie pathetisch, nie zu viel. Ein Spiel, das nicht schwitzt, um es mit Nietzsche zu sagen. Und das ist doch schon mal ein ziemlich guter Hinweis auf das, was eine Grande Dame ausmacht. Udo Badelt

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