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Der Große Saal der Elbphilharmonie.

© Christian Charisius/dpa

Elbphilharmonie Hamburg: So nah, so klar, so kompliziert

An der Akustik der Elbphilharmonie gibt es immer wieder Kritik. Dabei birgt sie große Chancen.

Die Aufregung war groß, als sich Startenor Jonas Kaufmann nach einem Konzert mit dem Sinfonieorchester Basel Anfang des Jahres über die Akustik der Elbphilharmonie beschwerte. Bei Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ gab es Zwischenrufe enttäuschter Zuhörer, die hinter dem Orchester saßen, weil sie den Sänger nicht hörten. Nach vielen Erfolgsmeldungen geriet der zu 99 Prozent ausgelastete Konzertsaal plötzlich in die Kritik. Und in der Tat hat die Akustik ihre Tücken. Denn die Geräusche aus dem Publikum sind hier ebenso klar wahrnehmbar wie die Musik auf der Bühne.

Der im Vergleich zu anderen Konzertsälen kurze Nachhall des Saals beschönigt nichts. Hier eine gute Balance zu finden ist heikel. Für den Freiburger Rahmentrommler Murat Coşkun, der im Sommer 2017 gemeinsam mit Giora Feidmann, Avi Avital und einem Kammerorchester in der Elbphilharmonie spielte, hat der Saal noch einen anderen Nachteil: „Der Klang und auch die Architektur wirken auf mich eher kühl. Es entsteht eine große Distanz zum Publikum, weil der Saal so hoch gebaut ist und wir viele Zuhörer gar nicht sehen.“

Das Freiburger Barockorchester dagegen zeigt sich rundum zufrieden mit dortigen Aufführung von Rameaus „Hippolyte et Aricie“ unter Simon Rattle: „Für uns war das der perfekte Ort für die einzige konzertante Aufführung der Oper“, sagt FBO-Intendant Hans-Georg Kaiser. Und Elbphilharmonie-Generalintendant Christoph Lieben-Seutter wundert sich über die seiner Meinung nach schlecht recherchierten Berichte: „Das ist vielleicht auch ein Zeichen unserer Zeit, dass man mit Sensationsmeldungen wesentlich besser durchdringt und sich nicht jeder mit Details befassen will.“

Liederabende finden nicht mehr im Großen Saal statt

Von der Akustik des Saals ist er nach über zwei Jahren Hörerfahrung nach wie vor begeistert: „Ich bin positiv überrascht, gerade was Barockmusik und Klassik angeht. Besonders kleine Ensembles können unglaublich intensiv wirken. Natürlich muss man mit bestimmten Eigenschaften des Saals sorgsam umgehen, aber dafür hat er so viele Stärken, dass ich ihn nie tauschen wollen würde“, sagt Lieben-Seutter, der zuvor das Konzerthaus Wien leitete. Was der Saal sensationell zum Klingen bringe, sei die Musik der letzten hundert Jahre – beginnend bei Mahler über Schostakowitsch bis Bartók und hin zur zeitgenössischen Musik.

Für spätromantisches Repertoire mit Gesang empfiehlt er in Hamburg die traditionsreiche Laeiszhalle – das habe er vor dem erwähnten Konzert auch dem Sinfonieorchester Basel und Jonas Kaufmann so weitergegeben. Liederabende finden inzwischen nicht mehr im Großen Saal der Elbphilharmonie statt. Da hat es im Haus mit seinen 380 Konzerten im Großen Saal pro Jahr durchaus einen Lernprozess gegeben. Auch die Vermietung des Saals wird strikter gehandhabt als zu Beginn.

Der Intendant will Klasse und Masse verbinden

Dass in die Elbphilharmonie viele Konzertbesucher kommen, die vor allem den Saal sehen und nicht unbedingt die Musik hören wollen, ist gelegentlich ein Problem. Die Zahl der touristisch verkauften Karten an Reisegruppen liegt aber mit fünf Prozent unter dem Durchschnitt. „Wir haben den Auftrag, Klasse und Masse zu verbinden. Wir möchten die besten Künstler mit ausgefeilten Programmen präsentieren und gleichzeitig in der Breite zugänglich sein und dem Einsteiger viel bieten“, Lieben-Seutter. Das sei ein Spagat, der nicht immer leicht zu lösen sei. „Es gibt sicher einige Klassikliebhaber, die lieber unter sich bleiben. Wir freuen uns gemeinsam mit vielen Künstlern darüber, wenn zwischen den Satzpausen spontan applaudiert wird. Daran erkennen wir – wir haben neues Publikum.“

Die Zahl der Konzertbesucher wurde in Hamburg auf 1,2 Millionen pro Jahr (Elbphilharmonie und Laeiszhalle) verdreifacht. Zwanzig Musikvermittler kümmern sich um rund tausend Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche im Jahr. Für die selbst veranstalteten Konzerte, die rund ein Drittel des Gesamtangebots ausmachen, verschickt man unter der Überschrift „Hier hört man wirklich alles“ einige Benimmregeln per E-Mail.

Jede Klangfarbenveränderung ist sofort zu hören

Abschrecken möchte er damit niemanden, sagt der Intendant. Die Öffnung des Hauses ist ihm zentrales Anliegen: „Normalerweise ist die klassische Musik nur für einen sehr begrenzten Teil einer Stadtbevölkerung interessant. Die Aufmerksamkeit für die Elbphilharmonie ist um ein Vielfaches größer. So beschäftigen sich also viele Menschen mit diesem Haus, die keine Konzertspezialisten sind. Das ist eine Riesenchance mit ein paar Problemen, aber keine Hypothek.“

Beim Konzert der Wiener Philharmoniker unter Andris Nelsons in der Elbphilharmonie fasziniert der extrem leise Streicherbeginn bei Ludwig van Beethovens Tripelkonzert: Jede dynamische Nuance, jede Klangfarbenveränderung ist auf dem Platz seitlich der Bühne sofort zu hören. Das kann auch verstören, wenn die Solistin Albena Danailova auf der E-Saite ihrer Violine einen zu scharfen Klang entwickelt, sich Solocellist Tamás Varga gelegentlich in der Intonation vertut oder Pianist Rudolf Buchbinder mit zu starkem Pedaleinsatz Strukturen verunklart.

Eine enttäuschende Interpretation, deren Mängel der Saal schonungslos offenlegt. Was aber die gleiche Akustik mit der fünften Symphonie von Beethoven nach der Pause macht, ist sensationell. Hier kann sich der ganze Reichtum dieses Weltklasseorchesters entfalten. Die speziellen Wiener Hörner schmettern mit Eleganz, die Pauke wird zum Melodieinstrument. Andris Nelsons genießt die Flexibilität des Orchesters und arbeitet mit feinem Pinsel. Alles spricht, nichts knallt! Und man hört Dinge, die man bei diesem vielgespielten Werk noch nie gehört hat, wie eine gleißende Piccoloflöte, die dem mächtigen Finale eine existenzielle Note verleiht. Die Musik wird zum Rausch, der die Sinne nicht benebelt, sondern schärft.

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