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Ewiger Sommer. Wie würden heute „die vier Jahreszeiten“ klingen?

© Bernd Wüstneck/picture alliance/dpa

Elbphilharmonie aktualisiert Vivaldi: Die vier Jahreszeiten klingen in Zukunft anders

Das NDR Elbphilharmonie Orchester und Chefdirigent Alan Gilbert lassen anhand historischer Wetterdaten Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ überschreiben.

Die Idee ist brutal. Das NDR Elbphilharmonie Orchester und sein Chefdirigent Alan Gilbert wollen Vivaldi aktualisieren. Auf der Basis historischer Wetterdaten wird ein Algorithmus die Partitur der „Vier Jahreszeiten“ überschreiben. Am 16. November soll in Hamburgs Konzerthaus am Hafen „For Seasons“ erklingen. Das ist der neue Titel. Für den Bestand der Jahreszeiten.

Man kann es sich ausmalen: heißer und länger der Sommer, kürzer und wärmer Vivaldis Winter, Frühjahr und Herbst nur noch in kurzen Übergängen. Und wenn der Klimawandel die Musik voll erfasst – was wird dann aus Schuberts „Winterreise“, Schumanns Frühlingssinfonie? All die Weihnachtslieder – geschmolzen.

Es trifft natürlich nicht nur die tradierten Kompositionen, die rituelle Kraft besitzen und Stabilität suggerieren. Damit ist es vorbei. Shakespeares „Sturm“, der aus der Karibik weht, wächst sich zu einer fürchterlichen Hurricane-Saison aus, und in den Südstaaten der USA wird keine Katze mehr auf dem Blechdach liegen, weil es dort viel zu heiß ist.

Es ist leicht, über die Aktion der Hamburger Musiker Witze und Wortspielchen zu machen. Es gibt auch kaum ein Stück, das so abgenudelt wäre wie die 1725 entstandenen „Quattro Stagioni“ des Venezianers.

Aber die Elbphilharmoniker berühren mit dem Klimawandel-Vivaldi das Grundsätzliche: Denn auch die vier Violinenkonzerte des Zyklus beruhen auf Wetter- und Klimaerfahrungen von Generationen und Jahrhunderten. Wäre damals schon das Klima ein anderes gewesen, dann würden die „Jahreszeiten“ auch schon immer anders geklungen haben.

Kunst entsteht nicht im luftleeren Raum. Naturgewalten haben sich in Mythen und Literatur eingeschrieben von Anfang an, sie können in den meisten Kulturen als Ausgangspunkt der menschlichen Musikalität und Kreativität gesehen werden. Erst die Industrialisierung und allgemeine Rationalisierung hat die Natur angegriffen und zurückgedrängt – im fatalen Irrtum, sie sei beherrschbar.

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