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In einer Zwischenwelt. Die in Berlin lebenden Tänzer Emma Howes und Justin Kennedy vermitteln verschiedene Arten von Trance. Im Gropius Bau werden sie ihre neu konzipierte Science-Fiction-Oper „Unfurl“ aufführen.

© Duda Affonso, Silke Briel (2), Osías Yanov

Ekstase, Körperbilder, NS-Geschichte: Wir präsentieren vier spannende Positionen der 11. Berlin Biennale

Auch dieses Jahr gibt es zur Berline Biennale in der ganzen Stadt Ausstellungen zu sehen. Wir stellen vier Künstler der 11. Ausgabe vor.

Die 11. Berlin Biennale geht in diesem Jahr in einen intensiven Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern aus südamerikanischen Ländern. Nicht nur die Fragilität des Lebens, Ohnmacht und die koloniale Geschichte spielen an den vier Standorten in der Stadt eine Rolle, auch die Intelligenz des Körpers ist ein wiederkehrendes Thema – in Zeiten des sozialen Abstands wichtiger denn je. Noch bis zum 1. November sind die Beiträge der beteiligten Künstlerinnen und Künstler zu sehen. Wir stellen vier Positionen vor.

EMMA HOWES UND JUSTIN KENNEDY

Manche haben Angst davor, andere wissen nicht wie und viele können es sich nur unter Drogen vorstellen. Transzendentale Zustände sind nicht für jeden leicht zu erreichen. Die Performer und Tänzer Emma Howes und Justin Kennedy kommen über ekstatischen Dauertanz und Operngesang an diesen Punkt. Sie haben Trancezustände zu ihrem Spezialgebiet gemacht. Ihr wichtigstes Instrument ist der Körper – und die Gemeinschaft. Sich abzuschotten, ist im Reich der Trance nicht das Ziel.

Im Rahmen der Berlin Biennale zeigen Howes und Kennedy am kommenden Samstag im Gropius Bau ihre Oper „Unfurl“, was so viel heißt wie „Entfaltung“. Sie nennen ihre Arbeit eine luzide Science-Fiction-Oper.

In dem Stück verwandelt sich die Hauptfigur Kaiserin Alberta von einer Pflanze, über die Wurzeln, die Bäume und das Dunkel in eine Art Geist und schließlich in ein kommunizierendes Netzwerk. Lange war nicht klar, wie, wo und unter welchen Bedingungen sich diese spirituelle Bewusstseinserweiterung aufführen ließe. Vieles, was sie zunächst geplant hatten, ist in Pandemiezeiten nicht mehr zu realisieren.

Ursprünglich wollten sie mit einer Weddinger New-Wave-Tanzgruppe Songtexte erarbeiten, die Jugendlichen als Chor in die Oper integrieren, sie planten eine große Aufführung mit Publikum, über mehrere Stunden hinweg.

Es wird zu wilder Musik getanzt

Die Dauer ist ein wichtiger Faktor in den Inszenierungen von Howes und Kennedy. Ihren Aufführungen gehen normalerweise so genannte „Cave Raves“ voraus, vier Stunden lang wird mit den beteiligten Darstellerinnen bei wilder Musik getanzt, um sich in einen trance-ähnlichen, fluiden Zustand zu versetzen.

Aus diesem entwickeln sie dann, mit geschärften Sinnen, Offenheit und Neugier, die Performance – mit Publikum. Im Grünen Salon in der Volksbühne war das in diesem Frühjahr ein Kriminalstück, bei dem die Zuschauer ein und ausgehen konnten, mitmachen oder zusehen. Das Libretto samt dramaturgischem Kompass wurden an die Wände projiziert.

Im Gropius Bau muss das nun unter Coronabedingungen etwas anders aussehen. Ein- und ausgehen während der Vorstellung ist nicht möglich, die Dauer auf eine Stunde beschränkt, erzählen die beiden in Kennedys Wohnatelier in Berlin-Mitte.

Klar, man könne bei ihnen auch abends noch vorbeikommen. Die beiden arbeiten sowieso noch auf Hochtouren an der Inszenierung. Gerade die aktuellen Beschränkungen stacheln ihre Kreativität an. „Wir wären auch auf dem Parkplatz oder auf der Straße aufgetreten“, sagen sie. Performative Street Happenings sind ohnehin ihr Ding.

Das Interesse an der Arbeit jenseits von Theater und White Cube verbindet die beiden, seit fünf Jahren arbeiten sie zusammen, seit über zehn Jahren haben sie ihren Wohnsitz in Berlin. Emma Howes kommt ursprünglich aus Kanada, Justin Kennedy ist auf der karibischen Insel Saint Croix geboren.

Sie haben klassische Tanzausbildungen absolviert, lehnen allerdings alles Hierarchische und Elitäre ab. „Come as you are“ lautet ihr Motto, das gilt auch für das Publikum. Wenn sie vom Tanz erzählen, drehen sie ihre Hände grazil in der Luft, das Kinn reckt sich nach oben. Sie spielen mit den starren Ballettposen, die sie eigentlich nicht mehr wollen. (Gropius Bau, Niederkirchnerstr. 7, Sa 17.10. Anmeldung unter 11.berlinbiennale.de).

Christine Meisner

Erinnerung und Ritual. Christine Meisners Installation „Unschärfe im Möglichen, Episode 1: Einsendungen aus Berlin“.
Erinnerung und Ritual. Christine Meisners Installation „Unschärfe im Möglichen, Episode 1: Einsendungen aus Berlin“.

© Duda Affonso, Silke Briel (2), Osías Yanov

Wie einfach sich Verantwortung sprachlich abgeben lässt, demonstriert mit schöner Regelmäßigkeit die Floskel von der „Machtübernahme durch die Nazis“. Wer übernimmt, fragt für gewöhnlich nicht um Erlaubnis, und je tiefer diese Formulierung ins Bewusstsein sickert, desto stärker verschleiert sie die Rolle des Individuums bei der Nazifizierung eines ganzen Landes.

Nicht bei Christine Meisner. Die Nürnberger Künstlerin, Jahrgang 1970, bringt in ihrer multimedialen Arbeit Ursachen und Wirkungen zusammen. Die Kolonialgeschichte Afrikas ist eines ihrer Themen, der amerikanische Rassismus ein anderes. 2011 reiste sie durch das Mississippi State Delta, das Video „Disquieting Nature“ basiert auf ihren Recherchen und der Frage, was die Sklaverei mit der Entstehung des Blues verbindet.

Für die Berlin Biennale, die viele beteiligte KünstlerInnen nach Lateinamerika blicken lässt, konzentriert sie sich auf die Vergangenheit vor der eigenen Haustür. Ein ganzer Raum im KW Institute for Contemporary Art ist mit Leserbriefen tapeziert, die zwischen 1933 und 1935 an den „Stürmer“ gingen.

1923 in Nürnberg gegründet, sah sich das antisemitische Hetzblatt im „Kampf um die Wahrheit“. Diese wurde ihnen von deutschen Bürgern zuhauf geliefert: in bitteren Vernichtungs- und Demütigungsfantasien wie auch durch die Denunziation der jüdischen Nachbarn.

Fotos, Postkarten, getippte Briefe. Die Zuschriften erzählen von Neid und Vorurteilen im Berlin der Dreißigerjahre. Ein Klima, in dem sich nationalsozialistisches Gedankengut mühelos verbreitete und das den Holocaust erst möglich machte. Mit dem Archivmaterial, aus dem die Künstlerin für ihre Arbeit schöpft, hätten sich leicht mehrere Räume ausstaffieren lassen. Aber auch so zeichnet „Unschärfe im Möglichen“ ein rigoroses Bild der Zeit.

Meisner hat die Adressaten ausgemacht, ihre Berliner Wohnorte sind in der Arbeit markiert. Ist das nun auch eine Form der späten Denunziation oder saubere Rekonstruktion mit historischem Abstand? Die Frage steht bewusst im Raum, um klarzumachen, dass der Rezipient stets Teil der Geschichte wird. Abspalten lässt sich das nicht, und wie beim Postkolonialismus resultiert die Gegenwart immer aus dem Vorangegangenen, das in Meisners Raum unheimliche Präsenz erlangt. „Unschärfe im Möglichen“ schildert dies aus der Sicht der Täter statt wie so häufig aus Opferperspektive, die immer auch eine Form der Vereinnahmung ist. (KW Institute for Contemporary Art).

Osías Yanov

Eine Aktion von Osías Yanov.
Eine Aktion von Osías Yanov.

© Duda Affonso, Silke Briel (2), Osías Yanov

Auch bei Osías Yanov stehen Körper und kollektive Erfahrungen im Zentrum. Was passiert, wenn Haut auf Haut trifft, oder wenn die menschliche Hülle mit Objekten und Technik in Kontakt kommt? Wie kann man gemeinsam erleben, träumen, schlafen?

Yanov, 1980 in Argentinien geboren, gehört in seiner Heimatstadt Buenos Aires zu einer Gruppe von queeren Menschen, die sich ausgehend von den seit Madonna popkulturell verankerten Voguing- und Ballroomtänzen eigene, neue Wege bahnen; losglöst von jeder Zuschreibung.

Yanov analysiert in offiziellen Fotoarchiven seiner Heimat das traditionelle, oft restriktive Körperverständnis und ergänzt und erweitert das Repertoire. Seine skulpturalen und performativen Arbeiten waren in Institutionen und Museen in Argentinien, England und Deutschland ausgestellt.

Seit ein paar Monaten lebt Osías Yanov als Stipendiat des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin. Ist man bei ihm zu Gast, fragt er höflich, ob man auf dem Stuhl oder auf dem Boden Platz nehmen will.

Auch vom Boden aus hat man einen guten Blick auf so manche Skulptur in dem Apartment: sternförmig angeordnete Löffel, eine umgedrehte Herrenunterhose, aus steifem Stoff. Dass ihm der DAAD in Kreuzberg eine geräumige Wohnung zur Verfügung gestellt hat, erwies sich während der Pandemie als Glücksfall.

Bei Yanov kommt häufig Salz zum Einsatz

Denn der Künstler saß in den vergangenen Monaten viel öfter als sonst am Laptop. Die performativen Workshops, die er im Rahmen der Berlin Biennale in diesem Herbst geben wollte, mussten abgesagt werden. Yanov arbeitet in Argentinien mit einer Gruppe von zwölf Leuten zusammen, darunter Künstler, Schauspieler, eine Yogalehrerin, ein Informatiker. Die Körpererkundungen, die sie gemeinsam machen, wollten sie auch mit Berlinern durchführen.

Aber da die Argentinier nicht wie geplant anreisen konnten, bastelten sie mit Yanov eine Webseite, über die sich Interessierte nun zu Gesprächen mit ihnen anmelden können. Sie nennen es „Zuhör-Service“. Was man in der realen Begegnung übereinander gelernt hätte, erfährt man nun hier. Statt Gesprächsnotizen werden intuitive Zeichnungen in Salz angefertigt.

Salz ist eine Substanz, die bei Yanov häufig zum Einsatz kommt; es gilt als traditionelle, heilende Substanz, die emotionale Affekte regulieren kann, schlechte Energien reinigt und Wunden heilt. Häufig fordert Yanov seine Mitstreiter oder Besucher auf, mit dem Finger eine Landschaft in eine dicke Salzschicht zu zeichnen. So ergibt sich Kommunikation ohne Sprache. Und Salz, als wichtiger Rohstoff, erzählt auch ohne dass man konkret darüber spricht, von kolonialen Machtstrukturen.

Ein weiteres Element in Yanovs Arbeit ist der Löffel. Ein Alltagsobjekt und eines der ersten Werkzeuge der menschlichen Kultur, man kann es sich in den Mund stecken, sich füttern, es ablecken. Yanov nutzt den Löffel als Instrument der Re-Sensitivierung und als skulpturales Objekt. Seine Installationen im Weddinger Biennale-Ausstellungsraum und in der Daadgalerie zeugen davon. (ExRotaprint, Gottschedstr. 4, Mi-Mo 11-19 Uhr, Daadgalerie, Oranienstr. 161, Mi-Mo 11-19 Uhr).

Malgorzata Mirga-Tas

„Lost Memory“ von Malgorzata Mirga-Tas und eine Aktion von Osías Yanov.
„Lost Memory“ von Malgorzata Mirga-Tas und eine Aktion von Osías Yanov.

© Duda Affonso, Silke Briel (2), Osías Yanov

Im September war Stefan Szydlowski ziemlich außer sich. Dass die Künstlerin Malgorzata Mirga-Tas an der Berlin Biennale teilnimmt, erzählte der polnische Galerist wortreich und voller Enthusiasmus.

Er vertritt die gebürtige Bergitka-Romni, die in einer Roma-Siedlung in der polnischen Region Spisz lebt und arbeitet. Szydlowski war mit seiner Galerie zu Gast auf der Berliner Kunstmesse „Positions“ und damit am anderen Ende der Hauptstadt. Und doch verband sich sein Stand unmittelbar mit jenem Stockwerk im KW Institute for Contemporary Art, wo Mirga-Tas mehrere gestickte Raumteiler, Paravents, aufgestellt hatte.

Dass man auf der Messe ein ähnliches Objekt, prominent im Raum platziert, kaufen konnte, war sicher ein Grund zur Freude. Mehr aber noch, dass der Galerist eine Künstlerin aus seinem ambitionierten Programm endlich an der richtigen Stelle präsentiert sah.

Denn obwohl Malgorzata Mirga-Tas ein Bildhauerstudium an der Kunstakademie in Krakau absolviert hat, haftet ihrer Arbeit immer wieder das Etikett des Folkloristischen an. Weil sie die Roma-Kultur als Inspirationsquelle nimmt? Weil die Motive ihrer Paravents aus gebrauchten Stoffen in kräftigen Farben gemacht und narrativ sind?

Vor einigen Jahren war der Völkermord an Sinti und Roma im Nationalsozialismus ihr Thema. Skulpturen aus Karton wie „Zalikierdo Drom“ (Die unterbrochene Reise) standen damals im Zentrum ihrer Arbeit. Solche Materialien liebt die Kunst, es klingt nach Konzept und Theorie. Wehe aber, jemand arbeitet figurativ und inklusiv. Das klingt schwer nach Volksbildung und wird gern abschätzig behandelt. Mirga-Tas war das nicht immer egal, aber sie hat weitergemacht. Als Künstlerin, Autorin, aktiv gegen Ausgrenzung und Xenophobie.

Ästhetisch und perfekt gemacht

Das Motto der aktuellen Biennale, „Der Riss beginnt im Innern“, scheint nun wie für sie gemacht: Malgorzata Mirga-Tas, Jahrgang 1978, lebt in mindestens zwei Realitäten: in der westeuropäischen, von der Konzeptkunst beherrschten Avantgarde, und ihrer eigenen, mit vielfacher Diskriminierung konfrontierten Community der Roma, für die sie sich stark macht.

Den Riss nutzt sie konstruktiv als Schlupfloch zwischen den Kulturen, Lebenswelten, Diskursen. Ihre Paravents sind auf den ersten Blick ein trennendes Element. Auf den zweiten ist es ganz einfach, sie zu umrunden und von der anderen Seite anzuschauen. Dazu sind sie auffällig, ästhetisch und perfekt gemacht.

Dass sie den Alltag von Roma-Frauen spiegeln, ist bloß die halbe Wahrheit. Tatsächlich sind die collagierten Oberflächen ebenso feministisches Manifest einer gleich mehrfach marginalisierten Gruppe.

Und ganz ehrlich: Wer von den Besuchern, die die Motive auf den Paravents für zu politisch, naiv oder aktivistisch halten, kennt sich mit der Geschichte der Roma wirklich aus? (KW Institute for Contemporary Art, Augustr. 69, Mi–Mo 11–19 Uhr, Do 11–21 Uhr).

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