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Einstiegsdroge für junge Sammler:innen: Hauchfeine Faltungen im Raum

Wo Cellulose wie Marmor aussieht: 52 Galerien aus 25 Ländern stellen bei der Paper Positions aus.

Ein gelber Polyeder öffnet den Galeriestand optisch im 90-Grad-Winkel. Die Messearchitektur habe sie zu der Wandmalerei inspiriert, sagt Isabelle Borges. Der in Berlin lebenden Brasilianerin gelingt bei FeldbuschWiesnerRudolph ein Eyecatcher, der das Publikum förmlich in die Paper Positions hineinzieht. 52 Galerien und 143 Künstler:innen aus 25 Ländern stellen im historischen Lichthof der Telekom Hauptstadtrepräsentanz aus.

Der Parcours bietet ein Fest für die Augen. Wie gewohnt steht zeitgenössische Kunst zu erschwinglichen Preisen im Zentrum – und das Medium Papier als „Einstiegsdroge für junge Sammlerinnen und Sammler“, laut Heinrich Carstens, der die Messe mit Kristian Jarmuschek verantwortet. Für die gesetztere Klientel bietet Kunkel Fine Art aus München Emil Nolde im sechsstelligen Euro-Bereich an, und Thole Rotermund aus Hamburg offeriert eine 1933 aquarellierte Landschaft von Lyonel Feininger für 98000 €.

Hannes Kuckei bestätigt, dass die Idee der Messe, Papierarbeiten aus ihrem Nischendasein zu befreien, Früchte trägt: „Für Fiene Scharp hat unser letzter Auftritt einen Aufmerksamkeitsschub bewirkt.“ Die aus antiquarischen Papieren geschnittenen und geschichteten Rasterbilder der 1984 geborenen Berlinerin waren ausverkauft, dazu der erste Platz beim Paper Art Award – das brachten Anschlussausstellungen und Käufer:innen.

In diesem Jahr geht der mit 36000 € dotierte Preis – gestiftet für Ankäufe des 2021 in Mitte eröffneten Papierkunstmuseums Haus des Papiers – an vier Positionen: Hauptpreisträgerin ist die in Dubai lebende iranische Künstlerin Afshan Daneshvar. Sie wird von Orkideh Daroodi aus Teheran vertreten, die sich mit ihrer O Gallery erstmalig in Berlin vorstellt. Den zweiten Platz belegt der Frankfurter Bildhauer Goekhan Erdogan, vertreten von der Galerie Heike Strelow, den dritten Platz teilen sich Lisa Tiemann (Schwarz Contemporary) und Aja von Loeper (Wichtendahl Galerie). Alle stehen sie exemplarisch für die heutige Vielfalt künstlerischer Produktionen – mit, auf und aus Papier.

Goekhan Erdogan hat Tausende Fotokopien seines Passbilds zu einem massiven Block geschichtet, der auf einem gewöhnlichen Plastikeimer als Sockel kreist (4400 €). Ein weißes Blatt reicht Aja von Loeper für reliefartigen Strukturen, die wie aus dem Papier gewachsen scheinen. Als Werkzeug dient der Nürnberger Malerin ein selbstgefertigter Handschmeichler aus Buchenholz, durch den die Cellulose je nach Haltung mal zu Wölbungen aufreißt oder zu planen, an Marmor erinnernde Flächen wird (ab 1200 €).

Eine Schlange vor der Edition von Artjom Chepovetskyy

Den bereits zum vierten Mal verliehenen Paper Positions Award ausschließlich für Künstlerinnen hat die Lettin Maija Kurševa gewonnen, deren beschwingte „Black Lines“ (1200-2300 €) am Stand von Maksla XO aus Riga zu entdecken sind.

Nora Schattauer, Preisträgerin des Vorjahres, wird mit einer Sonderschau im Foyer gewürdigt. Dort standen die Besucher:innen am Eröffnungsabend Schlange, um eine Edition des aus Odessa stammenden, in Frankfurt ansässigen Künstlers Artjom Chepovetskyy zu erwerben. Seine 100 vierfarbigen, abstrakten Siebdrucke werden für 100 Euro angeboten. Der Erlös geht an geflüchtete Menschen aus der Ukraine.

[Paper Positions, Französische Straße 33 a-c; Sa 13 – 20 Uhr, So 12 – 18 Uhr]

Bei aller Experimentierfreudigkeit – wie Peter K. Kochs zwischen Malerei und Skulptur changierende Papierarbeiten – gibt es Entdeckungen ebenso in der traditionellen Zeichnung zu machen. Darunter Raquel Maulwurfs apokalyptische Vulkanlandschaft bei der niederländischen Galerie Livingstone oder Felix Baxmanns farbige Tuschzeichnungen bei Martin Mertens.

Mit dem Leue & Nill Award soll fortan die beste Standpräsentation prämiiert und die Hälfte der Gebühren gesponsert werden. Gewonnen hat ihn die Berliner Galerie FeldbuschWiesnerRudolph mit der Soloschau von Isabelle Borges. Die brasilianische Künstlerin bescherte der Galerie mit ihrem Polyeder nicht nur einen extravaganten Auftritt, sondern zeigt mit ihren collagierten Fotografien, aus denen sie Raum-Faltungen entwickelt, höchst raffinierte Erweiterungen der materiellen Qualitäten von Papier. In die weiße Oberfläche ihrer dreidimensionalen „Boxes“ (1600-4000 €) schichtet die Malerin, die in Rio de Janeiro und Düsseldorf studiert hat, hauchfeine Linien aus farbigen Kartonagen, deren lichtechte Schatten auf der Wand dazu verleiten, die Lichtquelle zu suchen.

Vom Ausstellungscharakter der Messe ließen sich auch andere Teilnehmer:innen zu ungewöhnlichen Präsentationen anregen. So spannt die Galerie Nothelfer einen kessen kunsthistorischen Bogen vom informellen Altmeister K.R.H. Sonderburg zu Zeichnungen der 1984 geborenen Bildhauerin Birte Bosse.

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