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Wenn Fazil Say durch seine Heimat tourt, sucht er in den Dörfern nach Spuren einer türkischen Musiktradition.

© Foto: Aslı Girgin

Einst verkannt, heute ein Weltstar: Fazil Say will dem Westen türkische Musik nahebringen

Fazil Say studierte in Berlin. Heute ist der Pianist ein Vermittler zwischen der westlichen Klassik und der türkischen Musik. Ein Porträt.

Vor genau 30 Jahren ist Fazil Say zum ersten Mal in Berlin aufgetreten: Während sich draußen auf den Straßen Ost und West in den Armen liegen, setzt er sich ans Klavier und präsentiert zusammen mit Götz Bernau, dem Konzertmeister der Berliner Symphoniker, einen ganzen Abend lang Werke türkischer Komponisten.

Da ist er noch an der Düsseldorfer Musikhochschule eingeschrieben, ein 19-jähriges Talent aus Ankara, aufgewachsen in einem intellektuellen, säkular geprägten Umfeld. Ein Jahr später zieht er in die wiedervereinigte Stadt, macht seinen Abschluss – und gerät in eine Existenzkrise. Mit einem Lehrauftrag an der Universität der Künste hält er sich finanziell über Wasser, ergattert mühsam einige Engagements und beschließt 1995, es so zu machen wie in Leonard Cohens berühmter Songzeile: First we take Manhattan, then we take Berlin.

„Ich habe ein Flugticket gekauft, meine Noten und Bücher zusammengepackt, zu einer Speditionsfirma gebracht – und weg war ich“, erzählt er rückblickend. Aber es hat geklappt: Kurz nach seiner Ankunft in den USA gewinnt Fazil Say einen Wettbewerb, wird in das „Young Concert Artists“-Programm aufgenommen, tourt, macht sich einen Namen.

Für Mozart entscheidet er sich und spielt ihn so frisch und vital, dass die Kritiker begeistert sind. Er überspringt die für Klassikalben magische Grenze von 100 000 verkauften Exemplaren, seine Karriere hebt auch international ab. 2003 betritt Say erstmals wieder Berliner Boden, für einen Solo-Klavierabend.

Groll gegen die Stadt, die sein Potenzial nicht erkannte, hat er nie gehegt, beteuert er heute. Das Schicksal wollte es eben anders. Einmal pro Saison schaut Fazil Say in Berlin vorbei, am heutigen Freitag gestaltet er zusammen mit dem Dirigenten Jordan de Souza und dem Orchester der Komischen Oper einen Konzertabend.

Das Erfinden gehört für Say zum Musik-Machen

Wobei er nicht allein als Tastenvirtuose zu erleben ist, mit Maurice Ravels raffiniertem Klavierkonzert, sondern auch als Komponist. Seit frühester Jugend gehört das Musik-Erfinden für Fazil Say ganz selbstverständlich zum Musik-Machen dazu. Er ist ein begeisterter Jazzer, aber schreibt seine Gedanken eben auch gerne auf, in eine kleine grüne Kladde mit Notenlinien.

Klappt er sie auf, sieht man kurze Passagen oder melodische Wendungen, mit elegantem Schwung notiert. Und deren Funktion nur er entschlüsseln kann. Im 80er-Bereich bewegt er sich bereits bei den Opuszahlen, viele Orchester bestellen sinfonische Werke, befreundete Künstler wünschen sich Solokonzerte für ihre Instrumente. „Und natürlich sind da auch noch die Aufträge, die ich mir selber gebe.“

Fazil Say hat nämlich eine Mission: Er will türkische Musik im Westen bekanntmachen und westliche in der Türkei. Der Aufwand, hat er festgestellt, ist in beide Richtungen erheblich: Denn es ist nicht damit getan, ein Mal im hintersten Anatolien Beethoven zu spielen, um die Leute für den Wiener Klassiker zu begeistern. Zehn bis 15 Konzerte pro Saison gibt er in Anatolien, bei 120 Auftritten jährlich ein Statement.

[Am Freitag tritt Fazil Say in der Komischen Oper auf. Im 28. Januar 2020 gastiert er mit der Academy of St Martin in the Fields im Konzerthaus.]

In den Dörfern forscht er dann nach traditionellen Weisen, die er für seine Kompositionen nutzen kann. Nicht als exotisches Zitat, sondern als Gedankengrundlage. Sein Vorbild ist der ungarische Komponist Béla Bartók, der so lange den Südosten Europas musikethnologisch erforschte, bis ihm die mündlich überlieferten Tänze und Lieder zur Muttersprache wurden, aus dem er seinen „avantgardistischen Folklorismus“ entwickelte.

Westliche Musiksprachen mit türkischen Rhythmen

Heutig klingt auch Fazil Says Musik, aber auf eine sehr sinnliche Weise. Mit der Zeit hat er ein perfektes Gespür dafür entwickelt, wie sich moderne westliche Musiksprachen mit türkischen Rhythmen und Skalen so verbinden lassen, dass beim Hörer das Kopfkino losgeht.

Im Konzert für Neyflöte, das in der Komischen Oper erklingt, besteht die Herausforderung darin, ein Instrument, das nicht temperiert gestimmt ist, bei dem eine Oktave also nicht 12 Töne umfasst, wie in der europäischen Tradition, sondern 24, so mit den klassischen Orchesterinstrumenten zusammenzubringen, dass beide Welten davon profitieren.

Von Anfang an stand Fazil Say in Opposition zur AKP-Regierung, wurde für einen islamkritischen Re-Tweet sogar wegen „religiöser Volksverhetzung“ zu zehn Monate Haft auf Bewährung verurteilt - und 2016 freigesprochen. "Im Januar kam Präsident Erdogan dann mit seinem Kabinett zu einem Klavierabend von mir in Ankara und hat sich hinterher auch nicht feindlich gezeigt im Gespräch", erzählt er Und sagt auf die Frage, ob er glaube, Erdogan gehe es um friedliche Koexistenz: "Ja, so habe ich das empfunden. Der Konzertbesuch hat sich auf Erdogans Image natürlich auch positiv ausgewirkt, weil er damit gezeigt hat, dass er bereit ist, auch die andere Seite der Türkei zu respektieren, also die säkulare. Man kann nicht nur der Regierungschef von 50 Prozent des Landes sein, man muss der Regierungschef von 100 Prozent der Türken sein. Das hat er jetzt verstanden."

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