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Bitte nachspielen. Detlev Glanerts „Oceane“ läuft am Freitag vorerst das letzte Mal an der Deutschen Oper.

© Bernd Uhlig

Einmal ist keinmal: Die Musiktheaterszene leidet an Uraufführungitis

Jeder will den Ruhm einheimsen und Neues schaffen. Viele gelungene Stücke verschwinden so in der Versenkung. Ein Plädoyer fürs Nachspielen und Wiederaufnehmen.

Fünf große Uraufführungen haben die drei Häuser in den letzten Monaten präsentiert. Die Deutsche Oper hat dabei das längste Streichholz gezogen – mit dem kürzesten Stück. Nur Eindreiviertelstunden dauert Detlev Glanerts „Oceane“, aber die Neuvertonung der alten Geschichte von der Meerjungfrau, die bei den Menschen nicht glücklich wird, ist die überzeugendste der Novitäten. Weil Glanert ökonomisch und auf den Punkt genau komponiert, weil er ziemlich unerschrocken traditionelle Mittel der Erzählung verwendet und beweist, dass man damit mehr als nur Kitsch produzieren kann. Und weil sich Regisseur Robert Carsen in grau-weißen Strandbildern angenehm zurückhält, der Musik so wenig Aufmerksamkeit wie möglich raubt.

Am heutigen Freitag ist „Oceane“ nun letztmals zu sehen – vorerst. Vielleicht wird die Inszenierung in einer der nächsten Spielzeiten wieder aufgenommen, konkret kann die Deutsche Oper dazu noch nichts sagen. Auch vom Interesse anderer Bühnen an dem Stück ist noch nichts bekannt. Bekannt ist nur, dass die Planungs- und Vorlaufzeiten im Musiktheaterbetrieb sehr lang sein können. Gerade deshalb soll an dieser Stelle die Aufforderung stehen: Bitte nachspielen!

Werke verschwinden sofort wieder ins Archiv

Denn so ehrenhaft und nötig es ist, Opern in Auftrag zu geben: Die Musiktheaterszene leidet an Uraufführungitis. Jeder will den Ruhm einheimsen, Neues in die Welt gesetzt zu haben. Aber das bleiben nur Nebelkerzen, wenn die Werke danach sofort wieder im Archiv verschwinden. Sie ein zweites, drittes, fünftes Mal zu zeigen, in neuen Deutungen, das wollen die wenigsten.

Dabei könnte man mit René Pollesch sagen: Es beginnt erst bei drei. Erst dann ist es eine Serie, tritt ein Stück den Weg ins Repertoire an. Dass man sich mit Nachspielen nicht schmücken könne, ist ein Missverständnis, das zu kuriosen Situationen führt. Jörg Widmanns Oper „Babylon“ wurde 2012 in München uraufgeführt. Für Berlin hat er sie an manchen Stellen umgearbeitet, die Staatsoper annoncierte das Ergebnis darum als „Premiere, Uraufführung“. Bloß nicht zugeben, dass wir die Zweiten sind? Dafür muss man sich nicht schämen.

Runter vom Ross der stolzen Uraufführer

Dass es mal ganz anders war, ist noch gar nicht so lange her. „Tosca“, uraufgeführt im Januar 1900 in Rom, wurde schon im Februar in Turin gezeigt, im März in Mailand, es folgten rasch Verona, Genua, Bologna. Strauss’ „Rosenkavalier“ war bei der Uraufführung im Januar 1911 in Dresden ein so spektakulärer Erfolg, dass sie bis Jahresende auf 40 Bühnen im In- und Ausland nachgespielt wurde. 1945 hörte das auf, wurde Verlässliches wie „Carmen“, „Die Zauberflöte“ und, ja, auch „Tosca“ zum Maß aller Dinge. Nur sehr wenig Neues konnte sich seither im Repertoire verankern: György Ligetis „Le Grand Macabre“, „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann, Stücke von Hans Werner Henze und Aribert Reimann. Eine magere Ausbeute aus 70 Jahren Musiktheatergeschichte. Also: Runter vom Ross der stolzen Uraufführer! Nachspieler und Wiederaufnehmer sind die wahren Helden unseres heutigen Musiktheaters!

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