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Industrietheater. Das Kraftwerk liegt im Zentrum der Stadt. Früher wurde hier Strom für die Bahn erzeugt.

© picture alliance / Sebastian Kah

Eine neue Bühne für die Staatsoperette: Dresden kann auch anders

Das ehemalige Kraftwerk Mitte ist zum Kulturzentrum geworden. Auch die Staatsoperette residiert jetzt hier.

Die Stadt macht es einem zurzeit wirklich nicht einfach. Dresden igelt sich ein in seiner Selbstverliebtheit und seinem Konservatismus, wirkt veränderungsscheu, nicht erst seit der jüngsten Debatte um das Flüchtlingsmonument auf dem Neumarkt, um den herum Frauenkirche und nachgebaute Barockhäuslein heilige heile Welt spielen. Umso wichtiger scheint es, dass von den städtischen Kulturinstitutionen ein Ruf der Weltoffenheit ausgeht, weit über den Elbetrog hinaus. Und das tut er: zwar nur leise, aber immerhin synchron. Prekäre Pöbler passen nicht zur Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025.

Seit Ende des Jahres im Kraftwerk Mitte – kaum einen Kilometer vom Stadtzentrum direkt neben der Bahntrasse nach Berlin gelegen – bisher an den Rand gedrängte Bühnen in ihren Neubau eingezogen sind, keimt so etwas wie Hoffnung auf: Das ehemalige Elektrizitätswerk hat mit seiner Mixtur aus behutsam erhaltener Industriearchitektur und ironischen Anleihen an den Plüschgeschmack der Residenzstädter die Herzen im Sturm erobert. Neben der Staatsoperette Dresden, einem der beiden einzigen städtisch getragenen Operettentheater in Deutschland, feiert foyergleich das Theater Junge Generation in gleich drei Sälen seine Premieren. Nebenan haben Musikhochschule und Konservatorium Proberäume bezogen, am Wochenende steigen in der einstigen Trafohalle über Dresden hinaus bekannte Diskopartys. Die Heinrich- Böll-Stiftung hat ein Institut für politische Bildung errichtet, und nahebei informiert das Energiemuseum über die Geschichte des Komplexes.

Aus dem Fabrikareal wurde ein generationsübergreifender Treffpunkt

Diese Begegnung unterschiedlicher Generationen und Publikumsschichten auf engstem Raum hat in kürzester Zeit eine eigene Atmosphäre entstehen lassen. Weitere Anlieger und Investoren werden noch gesucht; man buhlt mit günstigen Mieten um die Ansiedlung von Künstlern und Kreativen. Dieser Aufbruchsgedanke hat die lähmende Dresdner Piefigkeit vertrieben, die im alten provisorischen Stammhaus der Staatsoperette draußen in der Einsamkeit elbnaher Vorortromantik auf die Spitze getrieben worden war. Das im Theaterbau erfahrene und von den Bühnen in Erfurt, Düsseldorf oder Würzburg geschulte Hamburger Architekturbüro pfp machte aus der backsteinernen Industriebrache von 1920 mit ihren denkmalgeschützten Maschinenhallen und Turbinenhäusern behutsam ein pulsierendes Kulturzentrum. Über dem historischen Fabrikareal entstand eine markante Schnürbodensilhouette, unterhalb derer sich Bühnentechnik auf dem neuesten Stand verbirgt.

Blick in den Saal der Staatsoperette im Dresdner "Kraftwerk Mitte"
Blick in den Saal der Staatsoperette im Dresdner "Kraftwerk Mitte"

© picture alliance / Sebastian Kah

Im Innenraum setzte Architekt Jörg Friedrich auf die Wirkung karger weißer Wände, aus denen teils noch alte Haken ragen. Nicht einmal Prospektständer sind zugelassen; ein für schwache Augen gewöhnungsbedürftiges Leitsystem greift die rostige Industriestahlfassade auf. Das sogenannte Kranfoyer bildet das Zentrum des Industrietheaters, auf dem sich Zuschauer von Staatsoperette und Jugendtheater begegnen. Der Kran selbst verweist, wie die große Uhr oder der Schraubenschlüsselkasten, ganz selbstverständlich auf die Historie des Gebäudes. Die 700 Plätze im schwarz-rot gehaltenen, steil ansteigenden Saal des neuen Operettentheaters sind chronisch ausverkauft. Entsprechend selbstbewusst setzt das neue Abkürzungslogo „SO!“ ein Zeichen.

Dabei war der Umbau alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Seit 2001 wurde er thematisiert, erst Proteste stoppten Schließungspläne. Anmietung, Sanierung des Altbaus oder Fusion mit dem Staatsschauspiel – all das stand auf dem Optionszettel. Erst zehn Jahre später beschloss der Stadtrat den Ausbau des ehemaligen Bahnstromkraftwerks, der nun pünktlich zum Abschluss kam. Die dafür erforderlichen 100 Millionen Euro wurden zu 13 Prozent von den Theatermitarbeitern finanziert, die seit 2009 auf acht Prozent ihres Gehalts verzichtet hatten. Als ebenso wunderbar gilt, dass der Bau im Kostenrahmen blieb, was man von seinem großen Zwilling am Dresdner Altmarkt, dem Kulturpalast nicht sagen kann. Die Hauptspielstätte der städtischen Philharmoniker soll eigentlich Ende April eröffnet werden. Verzögerungen und Baukostenexplosionen versorgen hier die Stadt aktuell mit großer Unbill.

Grandios gelungen ist die Produktion von Bernsteins Musical "Wonderful Town"

Zwischen dem „Märchen vom Zaren Saltan“, der „Fledermaus“ und „Catch me if you can“ hält Intendant Wolfgang Schaller am Mix aus Spieloper, Musical und Operette fest. Doch nach einer faden „Orpheus“-Premiere musste es erst eine Ausgrabung richten: Leonard Bernsteins großartig komponierte Musical-Comedy „Wonderful Town“ mit den zwei hinreißenden Hauptdarstellerinnen Sarah Schütz und Olivia Delauré macht Barrie Koskys Komischer Oper Konkurrenz. Denn auch hier mühen sich keine akademischen Sänger ab: Sie können fabelhaft tanzen, ganz gut singen, staunenswert schauspielern und gut dabei aussehen. Von Matthias Davids temporeich erzählt, ersteht der New Yorker Alltag der 30er sehr plastisch. Und das spritzige Hausorchester unter dem repertoirefesten Kapellmeister Peter Christian Feigel ist in der ausgeklügelten Akustik des neuen Saals kaum wiederzuerkennen!

Mit jungem, frechem Unterhaltungstheater auf solch hohem Niveau könnte das neue alte Haus der wenige hundert Meter entfernten Semperoper dramaturgisch locker Paroli bieten und den Altersdurchschnitt des staunenden Publikums deutlich senken. „SO!“ macht es einem das kulturpralle Kraftwerk doch irgendwie leichter, Dresden zu mögen. Der Eurocity fährt übrigens alle zwei Stunden an die Elbe – direkt vorbei an Dresdens neuem kulturellen Zentrum.

„Wonderful World“ wieder am 4./5./6. März, www.staatsoperette-dresden.de

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