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Als @dieprofessorin betreibt Judith Ackermann seit August 2020 Wissenschaftskommunikation auf TikTok. Ackermann, Jahrgang 1982, ist Forschungsprofessorin für Digitale und vernetzte Medien in der Sozialen Arbeit an der FH Potsdam.

© Fabian Stürtz

Eine missverstandene App?: „Tiktok hat sehr viel mit Theater zu tun“

In Deutschland hat Tiktok noch einen sehr schlechten Ruf. Doch Theater und Politik könnten von der App profitieren, sagt Medienforscherin Judith Ackermann.

Frau Ackermann, Tiktok ist eine Plattform, auf der User Filme posten können, maximale Länge: eine Minute. Was hat das mit Theater zu tun?
Sehr viel. Die Plattform ist von allen sozialen Plattformen am meisten auf Momente von Fiktion und Darstellung konzentriert. Es geht nicht nur darum, Momente aus seinem Leben zu teilen, sondern man wird dezidiert dazu aufgefordert, zu bestimmten Themen darstellerisch aktiv zu werden. Viele junge Menschen engagieren sich besonders mit Tanzvideos, wofür dann Choreografien einstudiert werden. Die haben ein verbindendes Moment – den identischen Ton. Aber die Choreografie ist jedes Mal anders. Wie am Theater, wo auch jede Aufführung anders ist, weil immer wieder andere beteiligt sind.

Und außerdem?
Die App lädt auch dazu ein, miteinander in eine Wechselwirkung zu treten. Wie die Feedbackschleife am Theater, wo alle Akteur:innen sich gegenseitig beeinflussen. Bei TikTok kann man kleine Elemente ausschneiden und die in einem neuen Video weitererzählen. Dadurch entsteht etwas Größeres in einem Prozess, an dem ganz viele beteiligt sind. Es ist offen für alle und bleibt trotzdem so etwas wie ein gemeinschaftliches Produkt.

Sie sagen: Theater kann von Tiktok lernen. Inwiefern?
Eines der zentralen Themen ist für mich: Wie bekomme ich neue Publika in die Häuser? Allein zu sagen: „Ich gehe jetzt ins Theater“ erfordert schon sehr viele Wissensbestände, die nicht alle haben. Dabei haben viele Dinge, die wir in den sozialen Medien alltäglich erleben, viel mit Theater und Performance zu tun, auch wenn es nicht so benannt wird.

Diese Brücke zu schlagen, ist für beide Seiten sehr wichtig, denke ich. Dass die Häuser einerseits sehen: Ich kann den Begriff von „Aufführung“ erweitern und dadurch für viel mehr Personen attraktiv werden. Und dass die, die sonst nicht ins Theater gehen, sehen: Das ist ja ohnehin so ähnlich wie das, was ich sonst mache.

Machen wir es konkret: Wie könnte ein Theater TikTok nutzen, um es in den Spielplan zu integrieren?
TikTok arbeitet mit Challenges. Man sagt: Mach doch mal was zu dem einen oder anderen Thema. Wenn ich also schon weiß, dass ich etwas Bestimmtes in den Spielplan nehmen will, könnte man eine Challenge starten, auf die dann Leute reagieren können. Und das Theater könnte diese Reaktionen in ihre Aufführungen integrieren. Oder ich könnte Videos zum Probenprozess machen und die Leute einladen, darauf zu reagieren.

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TikTok hat ein millionenschweres Förderprogramm gestartet, um Kulturinstitutionen in der Krise zu unterstützen. Ist das mehr als eine Marketingmaßnahme?
Es ist natürlich eine groß angelegte Marketingaktion. Das Geld kommt, soweit ich weiß, aus einem EU-Fonds, der dafür genutzt wird, dass TikTok einige Projekte auswählt. Die Institutionen sind noch verhalten, ob sie sich darauf bewerben sollen. Aber es kann ein Generator für neue Projekte sein. Es geht nicht darum, dass das gesamte Projekt auf TikTok stattfindet, sondern um einzelne Elemente, die auf TikTok entstanden sind.

Gibt es aus Ihrer Sicht bei der chinesischen Datenkrake TikTok mehr Grund für Vorbehalte als bei anderen?
Ob amerikanische Firmen meine Daten auswerten oder chinesische Firmen: Für mich funktionieren sie schon sehr ähnlich. Bei allen Plattformen muss man genau schauen, was in den Datenschutzerklärungen steht. TikTok ist im Moment die einzige Plattform, die aktiv eigene Inhalte unterstützt – natürlich auch, weil sie das öffentliche Bild verändern möchten. Aber gerade wenn man mit seinen Inhalten stattfinden und junge Menschen erreichen möchte, kann man an der Plattform nicht komplett vorbeigehen.

Auch die Politik hat TikTok für den Wahlkampf entdeckt.
Wegen der Bundestagswahl poppen da gerade sehr viele Accounts auf. Was ich interessant finde: Es sind die Reaktionsvideos, die eigentlich von Nutzen sind. Die Plattform lädt ja auch dazu ein, selbst zu kommentieren. Und das kann schon dazu führen, dass sich mehr Menschen mit politischen Inhalten auseinandersetzen, als sie es vielleicht sonst tun würden.

Gibt es ein Beispiel dafür, wo das gut funktioniert hat?
Was gut funktioniert, sind humoristische Videos. Je mehr Kommentare ein Video hat, je länger die Leute sich das anschauen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Algorithmus es einem persönlich zuspielt. Das haben einige Parteien schnell perfektioniert, weil sie wissen, dass polarisierende Elemente die Aufmerksamkeit erhöhen. Aber andere Parteien fangen an, diese Prinzipien auch für sich zu nutzen, um mit anderen Inhalten ähnliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Das funktioniert tatsächlich. Es gibt viele Parodien von Parteien auf andere Parteien.

Befeuert das Kürzestformat nicht den Populismus?
Oft sind das nicht Ein-Minuten-Statements. Der Ton ist oft relativ abstrakt, etwas Humoristisches, das noch nicht so ganz verknüpft ist mit den Inhalten. Ein virales Video eines FDP-Politikers zeigt unter der Überschrift „Immer wenn ein AfD-Antrag reinkommt“ einen „Ah oui“-Sound, zu dem er dann ein Blatt Papier zerknüddelt und in den Papierkorb wirft. Dabei geht es nicht um konkrete Inhalte, sondern um das Verhältnis unterschiedlicher Parteien. Das greift zum einen die AfD auf, als eine Partei, die polarisierende Inhalte kann – und ist gleichzeitig eine Abgrenzung auf humoristischer Ebene, ohne aber konkrete Inhalte zu teilen.

Was TikTok also im Wahlkampf bestenfalls leisten kann: Humorvolle Distanznahme?
Humorvolle Distanznahme, die trotzdem einen Zugang ermöglicht und ein Erstinteresse für Politik generieren kann, ja.

Lena Schneider

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