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Abflugbereit. Blick in die Wunderkammer in Thomas Olbrichts Me Collectors Room in Mitte.

© Berlin Photo/Daisy Loewl

Eine Diva - unnahbar und desinteressiert: Darum verlassen Kunstsammler wie Stoschek oder Haubrok Berlin

Keine Wertschätzung, kein Wille: Private Sammler sind enttäuscht über die Kulturpolitik der Hauptstadt. Und die merkt nicht, wie arm und unsexy sie wirkt.

Das hat gesessen und war wohl so geplant. Ein Auftritt in der Sonntagsausgabe der „Welt“ vor zwei Wochen: „Julia Stoschek schließt ihr Ausstellungshaus an der Leipziger Straße“, hieß es dort. Dass der Text im Kunstmarkt-Ressort statt im Feuilleton stand, fiel bei dem Alarm, den die Nachricht auslöste, schon nicht mehr auf.

Für die Schlacht, die in Berlin momentan um die Gründe tobt, weshalb immer mehr private Sammler der Stadt den Rücken kehren oder es androhen – tatsächlich war Stoscheks Aufschrei mehr eine letzte Warnung als ein fester Plan –, spielt es keine Rolle. Doch es ist ein Symptom. Denn auf dem Kunstmarkt wird der Wert der Kunst verhandelt.

Ausstellungen kosten und machen nicht reicher

Es geht nicht allein, aber auch um Geld. Sammler, wenn sie es denn ernst meinen und keine "art flippers" sind, die mit Kauf und Verkauf angesagter Künstlerinnen einen schnellen Gewinn machen wollen, entziehen die von ihnen erworbenen Werke dem Markt. Wer sie anschließend einem Museum übergibt oder selbst unter seriösen Bedingungen ausstellt, schafft kulturelle Mehrwerte – die oft noch Kosten verursachen, statt die Sammler immer reicher zu machen, wie viele glauben.

Stoschek ist ein Exempel dafür: Wer, bitte schön, kauft sonst wie wahnsinnig Medienkunst, die bei den meisten Händlern wie Blei in den Regalen liegt? Museen wie das MoMA in New York und vielleicht noch Ingvild Goetz, die 1973 als Galeristin nach München kam und 40 Jahre später einen Teil ihrer Sammlung dem Freistaat Bayern schenkte – und einen weiteren Teil als Dauerleihgabe überließ.

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Für ihre kulturelle Arbeit bekam Goetz 2013 den Bayerischen Verdienstorden. Nach dem Preis „München leuchtet“ und einer Ehrenmitgliedschaft in der bayerischen Kunstakademie. Das stelle man sich einmal für Berlin vor. Es fällt einem nichts ein, keine Auszeichnung für das Engagement privater Sammler. Sicher will auch nicht jeder einen Orden, aber doch Zuspruch, Anerkennung, Aufmerksamkeit.

Julia Stoschek bekommt sie nun. Überwältigend sei, so erzählt sie, „die Masse an Briefen, Mails und Anrufen“, seit ihre Überlegungen in der Öffentlichkeit sind. Verständlich, zu ihren Vernissagen kommen bis zu 5000 Gäste.

Eine Nische sind mediale Arbeiten nämlich bloß, wenn es ums Sammeln geht, abschreckend die aufwändige Präsentation akustischer Installationen und ihre teure Technik. Das Interesse an dieser Ausdrucksform, die es erst seit den 1960er-Jahren gibt, ist dagegen groß und in der Sammlung vertretene Künstler wie der 1985 geborene Neïl Beloufa sind unwesentlich älter als viele Besucher der Julia Stoschek Collection.

Kunstsammlerin Julia Stoschek.
Kunstsammlerin Julia Stoschek.

© picture alliance / dpa

Der angedrohte Weggang hat es bis in die „Tagesthemen“ geschafft. Dort sprach Stoschek über Berlins „politisches Klima“, in dem das „öffentliche Engagement von Privatpersonen“ offenbar nicht zähle. Nun rudert sie zurück. „Sie werden von mir kein Berlin-Bashing hören“, sagt sie nun, dafür seien ihr „die vielen herzlichen Begegnungen hier zu kostbar“. Ausnahme: „Die kulturpolitischen Verantwortungsträger scheinen durch ihre nicht vorhandene Zuständigkeit auch ihre Verantwortung abzugeben.“

Wer das bezweifelt, muss den Fernsehbeitrag bloß weiter anschauen. Gleich nach Stoschek äußert sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Es sei, erklärt Grütters, wie in einer „guten Partnerschaft oder Ehe – entweder sie hält, oder sie geht auch manchmal wieder auseinander“.

Ein entlarvender Vergleich. Gute Partnerschaften oder Ehen setzen nämlich voraus, dass einmal Liebe, wenigstens aber Zuneigung zwischen beiden herrschte. Davon kann keiner der in Berlin ansässigen oder schon abtrünnigen Sammler berichten – jedenfalls nicht mit Blick auf seine aktuellen kulturpolitischen Partner.

Kunstsammler Axel Haubrok.
Kunstsammler Axel Haubrok.

© picture alliance / dpa

Weder Julia Stoschek noch Axel Haubrok, der seit zwei Jahren nicht mehr in seinen eigenen Räumen in Lichtenberg öffentliche Ausstellungen, für die er keinen Eintritt nahm, veranstalten darf. Auch nicht Egidio Marzona, mit dessen „Archiv der Avantgarden“ sich nun die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden schmücken, die überdies die Sammlung von Erika Hoffmann bekommen haben: Jener Sammlerin, die seit zwei Jahrzehnten in Berlin lebt und immer noch samstags Neugierige einlädt, in ihren Privaträumen zeitgenössische Kunst anzuschauen.

Kritik an der Stadt oder genauer: den Staatlichen Museen zu Berlin, wo jene 1200 Werke etwa von Bruce Nauman, Gerhard Richter oder Isa Genzken veritable Lücken in der Kunst nach 1945 hätten schließen können, äußert Hoffmann keine. Da ist sie ähnlich diskret wie Thomas Olbricht, der seine private Sammlung nach zehn Jahren gerade aus dem eigens dafür errichteten Gebäude in der Auguststraße abzieht, um künftig mit dem Folkwang Museum in Essen zu kollaborieren.

Ein „gewisser Zufall“ sei sein Weggang exakt in einer Zeit, in der sich gleich mehrere Sammler von Berlin düpiert fühlten. „Ich habe wohl mein Lebensalter vergessen“, meint Olbricht launig auf die Frage, weshalb er 2010 ein großes Projekt wie den Me Collectors Room eröffnet hat, der alles andere als den Eindruck einer temporären Bleibe macht.

Kunstsammler Thomas Olbricht.
Kunstsammler Thomas Olbricht.

© dpa

Der Sammler, jetzt Anfang 70, beharrt darauf: Sein Rückzug ins Ruhrgebiet sei eine rein persönliche Entscheidung. Immerhin lässt er sich entlocken, dass Berlins Kulturpolitiker „schon ein bisschen mehr Interesse“ für sein Engagement hätten zeigen können. „Da fehlt das Verständnis.“ Er meint wohl Kultursenator Klaus Lederer, dessen Herz für die freie Kulturszene schlägt, der aber in Sammlern und Kunstmarkt offenbar ein kapitalistisches Grundübel sieht.

Als er nach Berlin kam, erzählt Olbricht, hat er sich bei Klaus Wowereit vorgestellt. Der habe gesagt, er freue sich über jeden, der hier Kunst zeige. „Wir hatten einen sehr qualifizierten Dialog mit dem damaligen Kulturstaatssekretär Tim Renner, der uns bei der Objektsuche hilfreiche Ratschläge gab“, sagt Julia Stoschek.

Und Marzona, nach 15 zähen Jahren erfolgloser Verhandlungen mit seinen 76 Jahren der Unversöhnlichste, erinnert sich weit lieber an den früheren Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, und seinen Generaldirektor Peter-Klaus Schuster als an die Auseinandersetzungen der Gegenwart.

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Berlin, sagt er, hätte all das haben können, was die Website des Dresdner Museums nun „eine der umfangreichsten Sammlungen von Kunstwerken, Objekten und Dokumenten der künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts“ nennt. In Dresden wird gerade das historische Blockhaus saniert, um die Schenkung unterzubringen, vor allem aber für „Forschung und Lektüre“ zugänglich zu machen.

Der Nationalgalerie dagegen habe der Wille gefehlt. Geld, Räume, wissenschaftliche Mitarbeiter – Udo Kittelmann als Direktor habe nichts davon bereitstellen wollen, sagt Marzona. Deshalb sei das Archiv mit seinen 1,5 Millionen Objekten 2017 abgewandert.

Haubrok kritisiert die Nationalgalerie für ihren Umgang mit Leihgaben

Inzwischen beackert die Nationalgalerie ganz andere Baustellen. Axel Haubrok, der weiter auf eine kulturelle Reanimation der Lichtenberger „Fahrbereitschaft“ hofft, kritisiert das Museum jetzt für den Umgang mit 13 Leihgaben aus Haubroks Sammlung. „Durchgängig raumgreifende Werke von Christoph Büchel, Martin Creed, Paola Pivi, Gregor Schneider, Andreas Slominski oder Florian Slotawa“, erklärt Gabriele Knapstein, die den Hamburger Bahnhof als Teil der Nationalgalerie seit 2016 leitet.

Den Vorwurf, dass nicht alle Leihgaben wie vereinbart im letzten Jahrzehnt mindestens einmal öffentlich gezeigt wurden, weist sie gar nicht zurück. Sondern macht auf den ebenso aufwändigen wie teuren Aufbau jener vier Arbeiten hin, „die bislang noch nicht gezeigt wurden“, deren Präsentation jedoch vor Corona für 2020 geplant gewesen sei. Darunter auch das Werk „Howl“ von Tom Burr, eine Gruppe begehbarer Metallkäfige des amerikanischen Konzeptkünstlers.

Haubrok wirft der Nationalgalerie vor, sie habe das Werk falsch gelagert. Es sei korrodiert, verbogen, letztlich zerstört. Knapstein wehrt sich mittels jener Protokolle, die 2010 bei der Übergabe angefertigt wurden. Darin sei vermerkt, dass das Werk „partiell sehr starke Korrosionsschäden, dazu Deformationen einzelner Rundstäbe und Verschmutzungen“ aufwies.

„Von Seiten der Nationalgalerie wurde zunächst veranlasst, dass das Werk auf Europaletten gelagert wird, damit die Korrosion der bis dahin direkt auf dem Erdreich stehenden Metallprofile deutlich verzögert voranschreitet. Ein Gespräch darüber, wie weiter mit der Skulptur zu verfahren sei, wurde von Seiten der Restauratoren angeraten“, so die Direktorin.

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Zehn Jahre ist das her – und alles beim Status quo. Ein Jahrzehnt, in dem nichts verhandelt, restauriert oder gar zurückgegeben wurde, weil die Arbeit so nicht ausstellbar ist. Stillstand statt Kommunikation. Gibt es eine bessere Zustandsbeschreibung für die Situation? Beharren auf institutioneller Seite, Resignation auf der anderen. Jüngstes Opfer ist die Sammlung von Christian Flick im Hamburger Bahnhof als Konsequenz aus dem Verlust der Rieckhallen hinter dem Hamburger Bahnhof (Tsp vom 7. 5. 2020). Der Abriss der Hallen Ende 2021: Eine Verkettung unglücklicher Umstände, wie es offiziell heißt. Oder ein weiteres Signal für dringende Reformen, denen sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Dach der Nationalgalerie ebenso wenig entziehen kann wie Berlins Kulturpolitik.

Julia Stoschek, die erst 2021 zeitgleich mit dem Abgang der Flick Collection endgültig entscheiden wird, setzt noch auf Dialog. Es gäbe „eine Gesprächsebene mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller“. Kultursenator Lederer habe sie zu einem Besuch der Sammlung eingeladen. Ob sie dann Klartext spricht?

Über Geld möchte die sehr vermögende Erbin eigentlich nicht reden. Doch sie gibt zu, was man sich beim Eintrittsgeld von fünf Euro denken kann: „Der Eintritt erwirtschaftet nicht mal die laufenden Kosten. Das war mir von Anfang an bewusst. Ich glaube an die Kunst – sie ist durchaus systemrelevant. In Berlin gibt es keine vergleichbare Institution, die sich mit Medienkunst auseinandersetzt.“

Berlin hat schon jetzt bloß noch Rudimente der Sammlung Marzona und bald keine Sammlung Hoffmann, Olbricht, Flick und vielleicht auch keine Sammlung Haubrok mehr. „Wir sind mit offenen Armen auf diese Stadt zugegangen“, sagt Egidio Marzona. Doch Berlin verhält sich wie eine Diva: unnahbar und desinteressiert. Dass sie dabei arm und unsexy aussieht scheint ihr als letzte aufzugehen.

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