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Sektlaune. Willi Kollo mit seinem Sohn René in den 60er Jahren.

© imago/United Archives

Eine Biographie für Willi Kollo: Dolly und der Leierkastenmann

Er war ein Unterhaltungstalent, spielte ebenso in der Weimarer Republik Musik wie bei den Nazis. Die ambivalente Lebensgeschichte von Willi Kollo.

„Steht vor dir auch mancher Kunde, Vordermann um Vordermann, / einmal kommt die große Stunde – und dann bist du selber dran!“ Diese Verse entstanden nicht etwa im April des Jahres 2020, sondern 1939. Und statt um Corona ging es um die Einführung der Kleiderkarten. Zwei Jahre zuvor hatte Willi Kollo für eines der ersten Fernsehspiele „Nachts ging das Telefon“ ähnlich aktuell wirkende Zeilen geschrieben: „Ich möcht’ nach New York nicht und nicht nach Paris, ich weiß ganz was andres, das find ich so süß. / Und das ist dein Zimmer und darin wohnst du. Und dort bleib ich immer, dort käm ich zur Ruh.“

Willi Kollo war ein Gebrauchspoet. Ein Mann, der jederzeit zu jedem erdenklichen Thema eingängige Texte dichten kann. Und sie auch noch vertonen. Um sie dann singend am Klavier vorzutragen. Vor allem aber war er der Sohn des großen Walter Kollo, des Vizekönigs der Berliner Operette, der das Genre zusammen mit Paul Lincke um die Jahrhundertwende zu höchster Blüte geführt hatte. „Possen mit Musik“ waren der Soundtrack des Wirtschaftsbooms in der explosiv wachsenden preußischen Metropole.

Walter Kollo, den kannte jeder, ob am feinen Ku’damm oder in Zilles Miljöh. Sich gegen so einen Übervater zu behaupten, wenn man ebenfalls im Unterhaltungsbusiness arbeiten will, ist kein Pappenstiel. Weshalb sich der Filius zunächst das Pseudonym Edgar Allan (nach dem amerikanischen Schriftsteller Poe) zulegte, bevor er es wagte, unter eigenem Namen zu publizieren. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Auch Willis eigener Sohn wurde zu einer internationalen Berühmtheit: René Kollo startete als Schlagersänger und entwickelte sich dann zu einem der bedeutendsten Wagner-Tenöre seiner Generation.

Für den mittleren Vertreter der Dynastie blieb nur eine lebenslange Sandwich- Existenz, eingeklemmt zwischen den beiden berühmteren Kollos. Dabei war Willi, geboren 1904, kein schwarzes Schaf, sondern mit vielen Talenten gesegnet. In seiner über 50 Jahre währenden Karriere reüssierte er als Liedtexter und Operetten-Librettist, als Komponist, Sänger, Regisseur, Kabarettist und Drehbuchautor, versuchte sich als Theater- und Filmproduzent, war Intendant seiner eigenen Bühne und gründete schließlich auch noch einen Verlag.

Er hat alles gemacht, nur eben nichts so richtig bis zu Ende. Denn ausdauernd war Willi Kollo nicht. Ihm fehlte der Biss, um auf einem Gebiet wirklich dauerhaft Großes zu leisten. War es mangelnde Disziplin, war es der nur mittelmäßig ausgeprägte Ehrgeiz? Scheute er letztlich immer davor zurück, die volle Verantwortung für sein Tun zu übernehmen?

Der Theaterwissenschaftler Wolfgang Jansen fällt in seiner detailreichen Biografie kein Urteil über Willi Kollos wankelmütigen Charakter und er verurteilt ihn auch nicht wegen seines Mitläufertums nach 1933. Jansen stellt die Lebensgeschichte sachlich dar, begleitet den Allrounder beobachtend durch die bewegten Zeitläufte, umreißt mit beeindruckender Fachkenntnis den kulturgeschichtlichen Kontext, streut biografische Exkurse zu wichtigen Kollegen Kollos ein und bietet am Ende eines jeden Kapitels Dokumentensammlungen an, zur vertiefenden Lektüre.

Und dennoch wurde sein Manuskript von den Erben wütend bekämpft, musste sich der Autor erst vor Gericht das Recht zur Publikation seiner Forschungsergebnisse erklagen. „Dem Verhalten der Kollos liegt ein branchentypisches ökonomisches Kalkül zugrunde“, schreibt Jansen. „Lieber verzichtet man auf jede Biografie als widerstandslos zuzusehen, wie ein Buch erscheint, das nicht der Verwertungsmaximierung dient.“ Das also die Werke des Porträtierten vollmundig anpreist, damit sie wieder im Radio oder auf der Bühne gespielt werden – und damit Tantiemen bringen.

Drei Dutzend wirklich gute Schlager sind Willi Kollo zu verdanken, „Lieber Leierkastenmann“ ist der bekannteste von ihnen, ein echter Evergreen, der jene vermeintlich gute alte Zeit besingt, die Willi Kollo stets im Herzen trug: Die Dekadenzjahre des Kaiserreichs kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs, als Berlin eine Metropole des enthemmten Amüsemangs war.

Aber Willi Kollo hat auch witzige Dada-Verse für moderne Zwanziger- Jahre-Modetänze geschrieben wie „Jetzt geht’s der Dolly gut, die sitzt in Hollywood“ oder Salon- Tangos mit gefühlsechtem Südamerika- Flair. Freche politische Texte fürs linksintellektuelle Kabarett stammen aus seiner Feder und großartige Schnulzen wie „Zwei in einer großen Stadt, die ein gold’ner Traum verzaubert hat“. 1922, als 18-Jähriger, wurden seine ersten Lieder gedruckt, darunter „Ätsch, Mama!“, für seinen Vater lieferte er die Texte zu Hits wie „Warte, warte nur ein Weilchen“, „Was eine Frau im Frühling träumt“ oder „Das ist der Frühling von Berlin“. Claire Waldoff, Richard Tauber, Hans Albers und Max Hansen interpretierten seine Couplets, er knüpft Kontakte zu den großen Revue-Tempeln, zum Rundfunk, zur jungen Filmindustrie, zum gerade erst entstehenden Fernsehen. Stets startet es vielversprechend, doch immer wieder muss sein Biograf vermerken: „Dann brach seine Tätigkeit dort plötzlich ab.“

Als sentimentaler Konservativer und bekennender Oswald-Spengler-Verehrer kann er sich während der NS-Diktatur unterhalb des ideologischen Radars bewegen, liefert Harmloses, poliert fürs „Theater des Volkes“ Walter Kollos Operetten-Dauerbrenner „Wie einst im Mai“ auf. Das Entnazifizierungsverfahren übersteht er glimpflich, wird 1947 als „entlastet“ eingestuft. In Hamburg, wohin er mit seiner Familie 1945 geflüchtet ist, beteiligt er sich erfolgreich am Wiederaufbau der Kulturszene.

1954 zieht es ihn zurück nach Berlin. Hier lebt er zwischen der alten Möbeln der väterlichen Grunewald-Wohnung – und in den Erinnerungen an goldene Vorkriegstage. Künstlerisch Fuß zu fassen aber vermag Willi Kollo in der geteilten Stadt nicht mehr. 1987, ein Jahr vor seinem Tod, kann er immerhin einen letzten großen Auftritt genießen: Das Ost-Berliner Metropoltheater lädt ihn ein, an der Inszenierung „Abends bei Kollos“ mitzuwirken, er komponiert dafür sein letztes Lied. Darin geht es, natürlich, um Berlin – allerdings nur den für DDR-Bürger zugänglichen Teil: „Der will raus nach Sanssouci, den zieht’s an die Spree, einer schwärmt fürs Pergamon und der für’n Müggelsee. Unter’n Linden sowieso, das ist alter Brauch, und zum Alex wollen sie selbstverständlich auch.“ Frederik Hanssen

Wolfgang Jansen: Willi Kollo. Autor und Komponist für Operette, Revue, Kabarett, Film und Fernsehen. Waxmann Verlag Münster, 393 Seiten, 39,90 Euro

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