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Oper für alle. Szene aus der „Carmen“-Version der Musiktheatergruppe „Glanz und Krawall“. Ganz links an der Gitarre sitzt Dennis Depta.

© Hannah Münninghoff

Einblick in Berlins freie Theaterszene: Das Opfer der Freiheit

Die freie Theaterszene in Berlin ist laut und lebendig. Doch wie arbeitet es sich auf diesen unsicheren Bühnen? Drei Akteure berichten.

Sonntag an der Friedrichstraße. Durch den Vordereingang der Distel neben dem Admiralspalast lugt Jasmin Hawlicek in die Kälte des Mittags. „Entschuldige, wir mussten die Szene noch zu Ende proben“, sagt die 22-Jährige. Sie arbeitet gerade an dem satirischen Theaterstück „Trumpenstein“. Seit einem halben Jahr ist sie nun selbstständig, sucht sich Jobs in der freien Theater- und Opernszene.

Wie Jasmin arbeiten vielen Menschen in Deutschland. Eine genaue Zahl ist schwer zu ermitteln. Manche arbeiten neben ihrer Festanstellung auch frei. Andere leben von Engagement zu Engagement, halten sich zwischendurch mit Minijobs über Wasser. Wie die Künstler changiert auch die Szene selbst zwischen den Extremen, zwischen Experimentierfreudigkeit und dem Ringen um Wahrnehmung. Zwischen ausgefallenen Spielorten und immer weniger Entfaltungsmöglichkeiten. Zwischen Leidenschaft und Aufopferung. Und immer ist da die Frage, wo das Geld herkommen soll.

Wenn das Haus nicht voll ist, wird Mietezahlen schwierig

„Wenn das Haus voll ist, bekommen wir anteilig Geld“, sagt Jasmin. Sie hat viele Berufsbezeichnungen, arbeitet als Schauspielerin, Autorin, Regieassistentin. In der freien Szene ist das oft so. Sie hat sich sogar zwei Visitenkarten erstellen lassen, um sich je nach Situation passend präsentieren zu können.

Ist das Haus nicht voll, dann wird auch das Mietezahlen schwierig. Derzeit sucht die gebürtige Sächsin eine Festanstellung als Regieassistentin. Doch nicht, um die freie Szene zu verlassen. „Ich würde immer auch meine eigenen Projekte nebenher verwirklichen wollen, die Anstellung als Weiterbildung nutzen.“ Studiert hat sie zunächst Germanistik, später Physik. Beides hat sie abgebrochen. Wichtiger war die Improgruppe, die sie während des Studiums gegründet hat.

In der freien Szene wächst die Zukunft des Theaters

Kulissenwechsel. Eine lange Bar. Hocker aus Heizungsrohren. Kein Bühnenbild. „Wer kann sich schon Oper leisten?“, fragt Dennis Depta, 29 Jahre. Er ist Dramaturg bei „Glanz und Krawall“, einem freien Berliner Musiktheaterkollektiv. Die Stücke, an denen er arbeitet, laufen nicht an den großen Häusern. Sie werden in Wasserspeichern gezeigt, in Krankenhäusern oder eben hier, in der Bar „Schwarze Pumpe“ in Berlin-Mitte.

An Orten also, die ohne gemütliche Sessel auskommen müssen. Die ein Publikum ansprechen, das Kunst gerade unter diesen Umständen erleben will. Aber, konstatiert Dennis Depta, „wir werden nicht von Berlin leben können“. Staatliche Förderung sei hier schwer zu bekommen. Weil die Stadt ein hart umkämpftes Pflaster ist. Eine Metropole, in die viele wollen, die aber nicht alle tragen kann.

Der studierte Germanist ist sich sicher: „Die freie Szene ist ein Ort, an dem die Zukunft des Theaters wachsen kann.“ Doch was wächst, das will gegossen werden. Und die Kanne ist nicht sehr groß. „Laut Senat sind Musiktheaterproduktionen viel zu teuer“, sagt Dennis Depta. „8000 Euro zu bekommen, sowas ist schon möglich. Aber eine große Produktion kostet einfach viel mehr.“

Reiz und Fluch zugleich

Eine Alternative ist das Crowdfunding. Es gibt Internetseiten, auf denen Interessierte regelmäßig Geld spenden können, um ein Projekt oder ein Kollektiv zu unterstützen. Doch dafür muss man sich erstmal einen Ruf erarbeitet haben. Und was, wenn dann ein Stück floppt?

Diese Angst ist auch Swantje Nokel vertraut. Die 21-jährige kennt beide Seiten. Sie arbeitet als Inspizientin und Regieassistentin an festen Häusern wie auch in der freien Szene. Vor allem für Festivals. „Ich mag diesen Wechsel. Bei Festivals tun die Leute für einen Sommer so, als wären sie alte Bekannte, obwohl sie sich gerade erst getroffen haben. Aber auch die unheimliche Professionalität der festen Häuser hat ihren Reiz.“

An großen Häusern können zudem Stücke auch mal floppen, ohne dass jemand in finanzielle Nöte käme. Die freie Szene dagegen kann Menschen ruinieren. Zu spät gezahlte Honorare – oder gar keine –, ausbleibende Besucher, ausbleibendes Geld. Stattdessen viel Aufopferung. Frei arbeiten, so scheint es, kann nur derjenige, der in Kauf nimmt, in jeder Sekunde alles machen zu müssen: schauspielern, assistieren, soufflieren, Requisiten bauen. Das ist der Reiz – und auch der Fluch.

Die freie Szene will bessere Förderung und mehr Aufmerksamkeit

„Ich mag diese Narrenfreiheit“, sagt Swantje Nokel. „Wenn man frei arbeitet, muss man nicht dem Leitbild eines Hauses entsprechen.“ Und auch kein Pflichtprogramm abspielen. Denn das Publikum erwartet von der freien Szene, von der Aufopferung vor allem eines: neuartige Erlebnisse.

Doch was erwartet die freie Szene von der Gesellschaft? Die Antwort mag ernüchternd klingen, doch sie liegt allzu nahe: Geld. Jasmin Hawlicek, Dennis Depta, Swantje Nokel, alle drei hoffen sie zukünftig auf mehr Förderung. Oder wenigstens auf einen unkomplizierteren Weg zur Förderung. Wieso etwa ist es mit solchen Hürden verbunden, durch die Künstlersozialkasse versichert zu sein? Eine regelmäßige Tätigkeit muss dafür nachgewiesen werden. Gerade zu Beginn der Laufbahn aber brauchen Künstler jede Entlastung, die sie bekommen können. Gerade dann, wenn sie noch keine regelmäßigen Einkünfte nachweisen können.

Neben einer monetären Absicherung wünschen sich alle drei außerdem: Aufmerksamkeit. Die Möglichkeit, öffentliche Wahrnehmung auf ihre Projekte zu lenken. Und Neugier von einer Gesellschaft, die sich offen genug zeigt, weniger ausgetretene Wege zu gehen. Manche träumen auch von Staatstheatern, die ihre Türen öffnen und eine Zusammenarbeit, eine gegenseitige Befruchtung, zulassen. In allen Gesprächen mit den Akteuren aber ist sie stets spürbar: die Leidenschaft für ihren Beruf.

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