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Felix Axel Preißler als Siegfried 1

©  Konrad Fersterer

Ein Theaterstück über Siegfried Wagner: Die Rache der Gold-Schnigalla

Mit Feridun Zaimoglus Stück über Siegfried Wagner veranstalten die Bayreuther Festspiele erstmals Sprechtheater - der Überraschungscoup der diesjährigen Saison.

Das Horoskop weist ihn aus als Zwillingsnatur. Der einzige Sohn Richard Wagners war sogar, wie sein Biograph Peter P. Pachl herausfand, astrologisch betrachtet ein „doppelter Zwilling“, denn auch sein Aszendent stand in diesem Zeichen. Zugleich Frohnatur und Melancholiker, schüchtern und eitel, wuchs Siegfried Wagner heran zu seinem eigenen romantischen Doppelgänger. Ein Hochbegabter, der unermüdlich arbeitete und doch nie richtig zum Zuge kam. Ein Weltflüchtling, der zum Mitläufer wurde, meist politisch rechtsaußen, zuweilen liberal. Siegfried Wagner holte, gegen den Widerstand seiner Sippe, Toscanini nach Bayreuth. Er zeichnete, dichtete, komponierte, dirigierte und führte Regie. Er liebte edle Schnitte, teure Stoffe und hübsche junge Männer. Aber ebenso innig liebte er seine vier Kinder und geradezu abgöttisch das „Gold-Schnigalla“, wie er Gattin Winifred zu nennen pflegte.

Das doppelte Siegfriedchen

Ihre Stimme ist das Erste, was in der jüngsten Bayreuther Uraufführung zu hören ist. Sie spricht groteske Sätze, dummes Zeug, herauskopiert aus dem Kontext des legendären Syberberg-Interviews von 1975. Dazu irrt ein doppeltes Siegfriedchen durch die Villa Wahnfried, am hellichten Tag: zwei Nachtgespenster, gehüllt in Bettlaken, sie nicken freundlich dem Konterfei von Schopenhauer zu und probieren den Flügel aus im Erker. Danach wandeln sie durch den Garten und treten, leibhaftig, aus dem Videofilm heraus auf die Theaterbühne des historischen „Reichshof“-Kinos. Sie erinnert immer noch entfernt an den Wahnfried-Salon: im Grundriss, den Stuckresten, den Hussen über den Stühlen. Freilich total abgeranzt und zugemüllt, wie in einem Albtraum, der Boden bedeckt vom buchstäblich braunen Sumpf. Es ist dies eine der vielen ironischen Pointen, die Regisseur Philipp Preuss sich erlaubt hat: dass ausgerechnet der elegante Beau Siegfried Wagner, der auf allen überlieferten Fotografien stets ausschaut wie aus dem Ei gepellt, als Schmuddelkind im Matsch vor sich selbst Verstecken spielt.

„Siegfried. Ein Monolog“ heißt dieses neue Theaterstück von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, in Auftrag gegeben von den Bayreuther Festspielen, vorgestellt im Rahmen der Reihe „Diskurs Bayreuth“: ein dramatisches Selbstgespräch, zusammengesetzt aus Originalzitaten, Briefstellen, Anekdoten, Lied- und Operntexten, freilich so kompakt und anspielungsreich, dass man sich schon sehr gut auskennen muss in der Familiengeschichte der Wagners, um alle feuerwerksprasselnden Witzigkeiten der Dialoge mitzukriegen. Beide Siegfriede sind begnadete Komödianten, einander ebenbürtig zugleich als Tragöden, sie werfen einander mit Pathos gestotterte Buchstaben zu, singen und streiten, prügeln und küssen sich, sagen Gedichte auf, mit verteilten Rollen und/oder unisono, etwa das „Vom dicken fetten Pfannekuchen“ – nach der gleichnamigen Märchen-Kantate, die 1914 in der Hamburger Musikhalle zur Uraufführung kam. Sie trägt, wie fast alle Werke Siegfried Wagners, autobiografische Züge, und zu jedem „Kantapper“-Ruf hallt nun ein trauriges Echo nach, das sich fortpflanzt hinter der Bühne.

In seinem Leben gab es keinen Mangel an dominanter Weiblichkeit

Siegfried I, gespielt von Felix Axel Preißler, kommt zuerst als Schwanenritter, sofort kenntlich nach dem berühmten Foto des neunjährigen Siegfried. Siegfried II alias Felix Römer trägt ein Blümchenkleid sowie die Perücke der Mutter von Norman Bates aus Hitchcocks Psycho nebst dazu passendem Gesichtsausdruck. Darunter: nackte Beine an schneeweißen Doppelripp-Schlüpfern, die freilich nicht allzu lange schneeweiß bleiben. Beide spielen wahlweise auch Cosima oder Winifred oder die später gerichtsnotorisch gewordene Lieblingsschwester Isolde – schließlich gab es in Siegfried Wagners Leben nie Mangel an dominanter Weiblichkeit.

So deprimierend das sein mag: Man amüsiert sich prächtig in diesem Gruselkabinett aus zwischenmenschlichem Versagen. Was einerseits an der hohen Kunst von Römer und Preißler liegt, andererseits an dem Umstand, dass Zaimoglu seinem Titelheld nicht mit dem Zeigefinger hinterher gestochert hat, sondern ihn als eine gebrochene Figur zeigt, mit großer Empathie. Parallel dazu hinterfragte der „Diskurs Bayreuth“ in einem Symposium den Wagnerschen Ursprung des Regietheaters und beleuchtete musikalisch, in vier Konzerten, Wagners Aufbruch in die Moderne. Von der Musik Siegfried Wagners erklang dabei freilich, wie auch im Theaterstück, kein einziger Ton. Mag sein, das gehörte zum Konzept. Bedauerlich ist es aber schon und auch, dass nur vier Vorstellungen des Stücks angesetzt waren. Bevor es sich unter den Festspielgästen herumsprechen konnte, dass man das unbedingt gesehen haben muss, war es schon wieder weg.

Eleonore Büning

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