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Kultur: Ein Michelangelo der Pop-Art

Ziemlich genau in der Mitte der sechziger Jahre brach die Pop-Art in die damalige Kunstszene ein wie ein gewaltiges Donnerwetter.Allerdings war ihr ein vernehmliches Donnergrollen am Horizont vorausgegangen.

Ziemlich genau in der Mitte der sechziger Jahre brach die Pop-Art in die damalige Kunstszene ein wie ein gewaltiges Donnerwetter.Allerdings war ihr ein vernehmliches Donnergrollen am Horizont vorausgegangen.Aus England, Frankreich und vor allem den USA hatte man in Kunstzeitschriften und Feuilletonartikeln von avantgardistischen Kunstversuchen gelesen, die nicht mehr (oder: nicht mehr allein) von den vorherrschenden Abstrakten als von einer Art Spät-Dadaismus ausging.Die einen sahen darin eine Neubelebung der "modernen Kunst", die anderen ihren endgültigen Untergang.

Was die erste Reaktion betrifft, so werde ich nie Friedrich Ahlers-Hestermann vergessen.Er tippte mir bei einer Vorbesichtigung der ersten umfassenden Pop-Art-Ausstellung in der Akademie der Künste im November 1964 auf die Schulter.Der alte Herr kam noch aus der Schule von Matisse und vom Jugendstil.Aber jetzt zeigte er mit Wohlbehagen auf die Bilderwand und sagte: "Wenn das so weitergeht, kann ich auch bald wieder mitmachen."

Ich habe diese Einstellung eines Frühmodernen nicht vergessen, weil sie zeigte, daß die Pop-Art nicht nur wie bisher fast alle neuen Kunststile als Feinde des Vergangenen oder Gegenwärtigen ins Feld zog.Sie trat eher als eine Art von Liberalisierung der verhärteten Fronten zwischen "Abstrakt" und "Gegenständlich" ein.Ahlers-Hestermann, selbst ein liberaler Künstler, war damals immerhin der gewählte Direktor der Akademie-Sektion Bildende Kunst.Die Ausstellung selbst hatte, wie man später erkannte, ihre Lücken.So waren von Claes Oldenburg nur zwei Arbeiten zu sehen, ein "Geistertelephon" (aus Schaumstoff) und eine Plastik namens "Gewaltig gute Laune", von der ich nur noch den Titel erinnere, der für mich über der gesamten Ausstellung hätte stehen können.

Der Schwede aus Amerika war es jedenfalls, der dafür sorgte, daß die Pop-Art eine Kunst der guten Laune wurde und - zumindest in einem wichtigen Teil ihrer Entwicklung - auch blieb.Als Sohn des schwedischen Generalkonsuls von Chicago war er zwar in Stockholm geboren, aber in den Vereinigten Staaten heimisch geworden.Nach einem Studium an der Yale Universität und einer Tätigkeit als Journalist besuchte er in Chicago noch die Kunstschule, um sich anschließend, das heißt 1956, ins brodelnde Kunstleben New Yorks zu stürzen.Dort traf er auf gleichaltrige und gleichgestimmte Künstlerfreunde.So begründete er mit Alan Kaprow, George Segal und Jim Dine das Happening, das alsbald in aller Welt aufgegriffen wurde.Er selbst wandte sich jedoch einer anderen Seite der Pop-Art zu, dem Gegenstand, dem Objekt.

Die Wiederentdeckung des Gegenstands dürfte nicht nur nach Meinung der Kunsttheoretiker von damals der Hauptbeitrag der Pop-Art zur Kunst der Moderne gewesen sein.Viele entnahmen wie Andy Warhol den Gegenstand aus der merkantilen Welt der Reklame.Anders Claes Oldenburg.Er begann seine Objekt-Kunst, wie sie mitunter genannt wurde, mit täuschend ähnlichen Nachbildungen eßbarer Dinge in Kunststoff.Sein "Laden", den er mit Freunden in New York aufmachte, gleicht mit all den Hamburgern, Eisbechern und Tortenstücken einer Imbißstube und wurde oft mit einer solchen verwechselt.

Der nächste Schritt führte ihn zu einer Verfremdung des Objekts, die dem Betrachter den Gegenstand auf gleichsam humoristisch verzerrte Weise vor Augen führen sollte.Er schuf weiche Objekte, darunter Schreibmaschinen, Telefone, Abwaschbecken, Staubsauger - und was immer es sonst an Haushaltsgegenständen gibt - aus Vinyl oder Leinwand und stopfte es mit Kapok aus.Als aus diesen Objekt-Karikaturen andersartige Verzerrungen wuchsen, welche die Objekte in gigantische Formate vergrößerten, prägte der französische Kritiker Pierre Restany für Oldenburg die ebenfalls überdimensionierte Bezeichnung eines Michelangelo der Pop-Art.Ein Beispiel dafür befindet sich seit 1997 in Berlin selbst, am Checkpoint Charlie.Dort hat vor dem Philip-Johnson-Neubau der gemeinsam mit seiner Ehefrau Coosje van Bruggen entwickelte "Houseball" seinen Platz gefunden hat: mit einem Durchmesser von zehn Metern.

Alles was Oldenburg in der Kunst gestaltet hat, schien weiterhin mit einem gewissen jugendlichen Übermut angepackt.Es ist dieser Übermut, der ihn populär machte."Ich bin", hat Oldenburg gesagt, "für eine Kunst, die ihre Form direkt dem Leben verdankt, die sich windet, ausdehnt und anhäuft und spuckt und tropft und schwer ist und grob und ungehobelt und süß und blödsinnig wie das Leben selbst." Diesem Bekenntnis eines Michelangelo der Moderne ist nichts hinzuzufügen.Vielleicht eines: Im Gegensatz zu vielen Pop-Artisten hat sich Oldenburg nie als Egozentriker hervorgetan.Er ist stets hinter seinem Werk als Person zurückgetreten.Aber ohne ihn wäre die Kunst der vergangenen drei Jahrzehnte weit langweiliger und stereotyper verlaufen.

HEINZ OHFF

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