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Sofia (Zahia Dehar, zweite von links) zeigt ihrer Kusine Naïma (Mina Farid), wie leicht es ist, auf die Yachten der Reichen zu kommen.

© Wild Bunch

„Ein leichtes Mädchen“ im Kino: Der Trick mit den Mandelaugen

Sexistisch? Feministisch! Rebecca Zlotwowski taxiert in ihrem sommerlichen Coming-of-Age-Film „Ein leichtes Mädchen“ den weiblichen Körper.

Botoxlippen, üppiger Busen, Mandelaugen. Sofia ist das, was man früher eine Sexbombe nannte: Gestalt gewordene Männerfantasie im denkbar knappen Bikini. Genau so wird sie von der Kamera taxiert, mit begierigem Blick auf Sofias Kurven. Aber genauso inszeniert sie sich auch selbst. Bei den Mandelaugen zum Beispiel hilft sie nach, mit unter dem Haar gestrafften Fäden. Hat schon Sophia Loren so gemacht, erklärt sie ihrer Kusine Naïma (Newcomerin Mina Farid) und zeigt ihr den Trick. Wenn du die Männer rumkriegen willst: Iss vor dem Dinner, eine kauende Schönheit taugt nichts. Und am besten, du hältst den Mund.

Sommer, Sonne, Côte d’Azur. Die Luft flimmert, das Licht glitzert auf dem Wasser, im Hafen liegen die Luxusyachten, wir sind in Cannes. Sofia ist 22 und kommt aus Paris zu Besuch, Naïma ist 16 und will mit ihrem schwulen Freund Dodo fürs Theater vorsprechen. Aber im Bann von Sofia, die es auf einen der Yachtbesitzer abgesehen hat, sind die Pläne schnell perdu. Zu verlockend die Aussicht, einmal die Seite zu wechseln, auf einem dieser Boote zu lümmeln und in eben jenem Luxushotel zu speisen, in dem die Mutter als Zimmermädchen arbeitet und auf ein Küchenpraktikum für Naïma hofft.

Sofia wird von Zahia Dehar gespielt, die vor zehn Jahren für einen Skandal sorgte, als Franck Ribéry und die Starfußballer der französischen Nationalmannschaft den Escortservice der damals noch minderjährigen Prostituierten in Anspruch nahmen. Später sagte Dehar, sie habe ihre Kunden über ihr Alter getäuscht. Sie überstand die Schlagzeilen unbeschadet, wurde Model, Muse von Karl Lagerfeld und Designerin von Dessous. In „Ein leichtes Mädchen“ von Rebecca Zlotowski gibt sie nun ihr Kinodebüt.

Viel nackte Haut und ein bisschen Bling

Diese Frau ist eine Zumutung. Sich in Zeiten von Genderdebatten und MeToo als Sexualobjekt ins Bild zu setzen, also nein. Zlotowski ruft obendrein gezielt jenen Teil der Kinogeschichte auf, der das Bonmot von François Truffaut bestätigt, demzufolge Filmemachen bedeutet, hübsche Dinge mit hübschen Frauen zu machen. Besonders deutlich zitiert sie Éric Rohmers „Sammlerin“ von 1967 aus den „Sechs moralischen Erzählungen“, in dem eine junge Schöne (Haydée Politoff) einen Kunstsammler und dessen Freund in einer Mittelmeervilla betört.

In beiden Filmen rasseln die Zikaden, der Sound des Sommers. Und beide beginnen am Strand. Bei Rohmer läuft Politoff am Wasser entlang, die Kamera nimmt ihre Füße in den Blick, die langen Beine, die vollen Lippen, den Torso ohne die Gliedmaßen, die Kniekehlen, das Schlüsselbein. Ein verfremdet begehrender Blick. Bei Zlotowski ist es ein unverfremdeter, unverfrorener Blick auf die fast nackt schwimmende Sofia. „Lots of skin and a bit of bling“, schrieb der „Hollywood Reporter“ zur Premiere in Cannes. Sofia steigt wie Venus aus dem Wasser, verschreckt zwei Jungs, indem sie deren Frauenklischee auf provozierende Weise bedient – und empört auch die Zuschauerin.

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Aber halt, Regisseurin Zlotowski, Jahrgang 1980, die sich schon in Filmen wie „Grand Central“ mit den schillernden Phänomenen der Liebe und der Jugend befasste, irritiert auch gezielt feministische Stereotypen. Warum soll eine Frau nicht ihre prallen Brüste zur Schau tragen und erotische Tauschgeschäfte tätigen, wenn es ihr Spaß macht? Was ist schon ein bisschen Sex gegen einen exquisiten Club, einen Bootsausflug, eine Nacht auf der Yacht des schwerreichen Kunsthändlers Andres (Nuno Lopes) und seines Freundes Philippe (Benoït Magimel)? Wo genau verläuft die Grenze zwischen weiblicher Selbstbestimmung und Prüderie?

„Liebe?“, spottet Sofia. „Ich will Sensationen, Abenteuer.“ Der Film kam auch deshalb zustande, weil Dehar Kontakt zu der Filmemacherin aufnahm. Ihre Initiative: So lernten die beiden sich kennen.

Die Regisseurin schließt Feminismus mit der Klassenfrage kurz

In einer der stärksten Szenen landen die Kusinen bei intellektuellen Freunden von Andres. Kaum dass Sofia ihr Schweigegebot bricht und Marguerite Duras erwähnt, treibt die Gastgeberin sie in die Enge. Welcher Roman ihr der liebste sei? Sofia bleibt zunächst vage und man ertappt sich bei dem Gedanken, dass eine Frau, die so aussieht, nicht belesen sein kann. Aber dann geht sie auf Duras’ „Liebhaber“ und „Der Schmerz“ ein – und man ist beschämt. Ebenso klug spricht sie über den Tod oder die Klassengesellschaft.

Wobei die Ähnlichkeit mit Rohmer schnell endet, denn mit dem unaufhörlichen Parlando von Rohmers Charakteren haben die klaren Sätze Sofias wenig gemein. Zudem schließt auch der Film selbst die Hinterfragung des Feminismus mit der Klassenfrage kurz, wenn er in die Perspektive des Yacht- oder Hotelpersonals wechselt, deren Seitenblicke auf die Mädchen registriert. Sie mögen einen Ausflug in die Welt des Luxus unternehmen, an den Klassenschranken ändert das nichts. Notfalls muss Philippe nachhelfen, dessen Position sich zunehmend als die eines Adlaten und Butlers erweist – die diskrete Hackordnung der Reichen.

„Die Sammlerin“ wurde von einer männlichen Erzählerstimme kommentiert, hier spricht Naïma aus dem Off. Coming-of-Age einer Putzfrauentochter, mit Musik von Debussy und Niagara, einer Vivaldi-Arie und John Coltranes „Naima“-Ballade: Es kann gar nicht genug Filme mit weiblicher Off-Stimme geben.

- In 10 Berliner Kinos. OmU: Babylon Kreuzberg, Cinema Paris, Hackesche Höfe Kino i.d. Kulturbrauerei, Moviemento, Wolf

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