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Hütchenspieler. Neil Young am Mittwochabend in der Waldbühne.

© Davids/Christina Kratsch

Ein Konzert, zwei Generationen: Vater und Sohn bei Neil Young

Der Vater will ein Zitat von Neil Young auf dem Grab, der Sohn musste sich erst einhören. Ein Familiengespräch in der Waldbühne.

Vater: Sohn, ich habe Gänsehaut. Das erste Mal, dass ich von diesem Ort gehört habe, war, als die Fans der Rolling Stones 1965 die Waldbühne zerlegt haben. Also in der Zeit als Neil Young anfing, Musik zu machen. Aber erst durch Woodstock bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Und nun, mehr als 50 Jahre später, sitzen wir hier zusammen.

Sohn: Woodstock war fast zwei Jahrzehnte, bevor ich geboren wurde. Ehrlich gesagt empfand ich die Musik von Neil Young früher immer als gestrig. Altherrenrock. Das gehört zum Generationenkonflikt wohl dazu. Und ganz unschuldig bist du daran nicht. Immerhin musste ich mit Neil-Young-Texten Vokabeln pauken. Zu meinem 16. Geburtstag hast du mir dann die Kurt-Cobain-Tagebücher geschenkt. Der Nirvana-Sänger hat in seinem Abschiedsbrief aus „My My, Hey Hey“ zitiert: „It’s better to burn out than to fade away.“ Damals dachte ich: So uncool kann Neil Young dann doch nicht sein.

Wie macht er das nur immer wieder? Schon bei seinem letzten Besuch in Berlin vor drei Jahren rissen nach einem trüben Tag die Wolken auf. Und so ist es auch an diesem Mittwoch. Neil Young betritt in der gleißenden Abendsonne die Waldbühne am Olympiapark. Vielleicht ist das der Grund, dass er sichtlich gut gelaunt und im unvermeidbaren Outfit, weites kariertes Flanellhemd und Hut, das Publikum begrüßt. Doch als würde er seinen Ruf als alter Grantler aus der Provinz gegenüber den Großstädtern wiederherstellen wollen, stimmt er die ersten Akkorde von „Country Home“ an.

Peter Soltau, 66, mit seinem Sohn, dem Tagesspiegel-Autor Hannes Soltau, 32, in der Waldbühne.
Peter Soltau, 66, mit seinem Sohn, dem Tagesspiegel-Autor Hannes Soltau, 32, in der Waldbühne.

© Hannes Soltau

Vater: Das passt, dass er mit diesem Lied beginnt. Ich habe mit ihm schon immer die Verbundenheit mit dem Landleben geteilt. Dafür liebten wir ihn in unser Kommune auf dem Dorf, in der ich damals lebte. Er war alles für uns: Hippie, Farmer, Poet, Rocker, Politaktivist und was wir uns damals nicht zugestanden hätten: auch ein hochemotionaler Romantiker.

Sohn: Ich sehe durchaus die Parallelen. Nicht nur wegen der stoischen Unbelehrbarkeit, die ihr beide ausstrahlt. Auch diese seltsame Vorliebe für übergroße, karierte Flanellhemden.

Vater: Den Trick habe ich tatsächlich von ihm gelernt. So lässt sich die Plauze gut verstecken.

Endloses Gefrickel

53 Jahre ist Neil Young im Musikgeschäft. Seit letztes Soloalbum „The Visitor“ ist bereits sein 37. Werk. Doch ruhiger wird sein Leben nicht. Erst im November vergangenen Jahres heiratete er die Schauspielerin Daryl Hannah, die während des Konzertes in Berlin am Bühnenrand steht. Kurz nach der Hochzeit vernichtete ein Waldbrand sein Anwesen in Kalifornien. Vor wenigen Tagen starb sein Manager Elliot Roberts, der ihn als enger Freund seit über 50 Jahren begleitet hatte. Doch weder Trauer, noch Wut sind an diesem Abend bei ihm zu spüren. Alles konzentriert sich auf die Musik.

Vater: Schau dir mal diese spielerische Entrücktheit an. Als würden die im Proberaum jammen. Die sind ganz bei sich. Und Neil springt da rum wie ein Rumpelstilzchen. Wo findet man denn heute noch grundständigen Rock mit solch einem energischen Rhythmus. Als ob eine Dampflok über die Bühne rollt. Und diese Gitarrensoli. Was für eine Spielfreude. Das hat nichts mit den auf drei Minuten komprimierte Radiosingles von heute zu tun. Und das alles unprätentiös dargeboten und ohne Klamauk.

Sohn: Du bist jetzt seit 50 Jahren Fan und stehst auf dieses endlose Gefrickel. Doch statt Rockmusiker bist du erst Ziegenhirte geworden, dann Jugendarbeiter. Hat dir immer die Luftgitarre gereicht?

Vater: Ach was. Ich kann doch jedes Solo mitsingen. Und die Tonlagen von Neil Youngs Gesang hätte ich ohnehin nie erreicht.

Als hätte Young uns belauscht, stimmt er seine großen Hits aus den 1970ern hintereinander weg an. „Helpless“, „Old Man“ und „Heart of Gold“. Tatsächlich ist er erstaunlich sicher in den Höhen seiner unverkennbaren Stimme, die noch immer eine tiefe Sehnsucht transportiert. Großartig wie vor einem halben Jahrhundert.

Vater: Hör mal: „Old man, look at my life. I’m a lot like you were.“ Das ist das „Father and Son“ von Neil Young. Sag mal Hannes, seit wann rauchst du eigentlich?

Sohn: Papa, das ist ein Rockkonzert. Als Neil und du in meinem Alter waren, da hast du 50 Zigaretten am Tag geraucht.

Vater: Und das war dumm. Ich frage mich ohnehin, wie Young seine Karriere überlebt hat. In den 70ern lief ihm auf der Bühne der Kokainrotz aus der Nase. Vor wenigen Jahren ist ihm eine Arterie geplatzt. Er wäre fast verblutet. Und jetzt hüpft er wie ein junges Reh über die Bühne.

Statt seiner legendären Backing Band Crazy Horse hat er erneut die deutliche jüngeren Musiker von Promise Of The Real an seiner Seite. Darunter auch Lukas Nelson, Sohn der US-amerikanischen Folk-Legende Willie Nelson. Fast scheint es, als hätte der 73-jährige Young sein Umfeld einer Verjüngungskur unterzogen. Doch als er einmal kurz den Hut abnimmt, damit sein Assistent ihm die Mundharmonika umhängen kann, ist deutlich erkennbar, dass auch die Größten alt werden: Ein ausgedünnter, ergrauter Haarkranz kommt zum Vorschein, sein schmaler gewordenes Gesicht erinnert an Youngs frühe Jahre.

Vater: Ich war mal in Österreich wandern. Auf einer Almhütte lief Musik von Neil Young. Es stellte sich raus, dass der Wirt in der Nebensaison sein Tourfahrer war. Er beschrieb ihn als zweitgrößten „Grantler“, den er je gefahren habe. Young habe im Doppelstockbus stets oben gesessen, permanent an Texten geschrieben. Er redete wenig, schrie aber immer wieder Befehle zur Fahrweise nach unten. Noch wortkarger sei nur Bob Dylan gewesen.

„Hey hey. My my (Into the Black)“ ertönt. Auch die letzten Skeptiker in den fast ausverkauften Rängen springen von ihren Bänken auf. Kinder und Rentnerinnen, Altrocker und Anzugträger. Vereint im Chor der Zwanzigtausend. Die oberen Ränge leeren sich, alles drängt in Richtung Bühne. Zum Leid der Ordner.

Gitarre als Krückstock

Vater: Schau dir mal diesen Beamten da vorne an. Selbst der flippt aus, wenn der Meister spielt.

Sohn: Ist das das Geheimnis von Neil Young. Dass er sie alle anspricht? Vom Postboten bis zur Professorin?

Vater: Vor drei Jahren trat er live noch deutlich politischer auf. Wetterte unentwegt gegen Großkonzerne wie Monsanto. Damals mit seiner Freedom-of- Speech-Tour hat er sich gegen den Irakkrieg von Bush gewandt. Und dadurch viele in seiner Fangemeinde verprellt. Das rechne ich ihm bis heute hoch an. Doch so wichtig seine Botschaften auch sein mögen – und das sage ich jetzt als Altlinker: Manchmal will man auf Konzerte auch einfach nur das Leben feiern.

Die Euphorie trägt bis zum letzten Song vor der Zugabe „Rockin’ In The Free World“, der sich in schier endlosen Kaskaden von rauem Gitarrenlärm und immer wiederkehrenden Refrains ins Rund ergießt. Bis Young die Saiten seiner Gitarre abreißt, den Hals des Instruments demonstrativ als Krückstock benutzt. Als wolle er sagen: Macht euch nur lustig. Doch so schnell werdet ihr mich nicht los. Schluss ist erst, wenn Neil Schluss macht.

Vater: Wie alt ist er? 73 Jahre? Wie der älteste Mitbewohner aus meiner ehemaligen Landkommune. Du weißt ja, dass ich mir wünsche, dass eine Zeile seiner alten Band Crosby, Stills, Nash and Young auf meinen Grabstein steht. Das musst du dir merken: „Find the cost of freedom, buried in the ground. Mother earth will swallow you, lay your body down.“

Sohn: Moment mal, Papa. Du bist immer noch sechs Jahre jünger als er. Und schau dir diese Energie an. So will ich dich auch mit 73 erleben. Neil Young hat vor ein paar Jahren im Intro zu „A Letter Home“ seinen verstorbenen Eltern einige Zeilen gewidmet: „Irgendwann komme ich zu euch. Aber nicht so bald, denn ich habe hier noch so viel zu tun“. Einigen wir uns darauf? Du bleibst mir noch ein bisschen erhalten und Neil uns.

Lange nachdem der letzte Akkord verklungen ist, stimmen dutzende Fans a capella seine Hymnen an. Behutsam schieben die Ordner sie genau Ausgang. Noch hunderte Meter weiter sind die Stimmen in der Nacht zu vernehmen. „Keep on rockin’ in the free world! Keep on rockin’ in the free world!“ Und keiner zweifelt an diesem Mittwochabend daran: Neil Young wird weitermachen. Wird wiederkommen. So wie wir.

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