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Generation Hashtag. Regisseurin Inda Buschmann hat ein starkes Ensemble versammelt, das der Geschichte Energie und Dringlichkeit einimpft.

© Jörg Metzner

Ein Klassiker als Creep: Goethes Werther wird in „Forever Yours“ zum Stalker

Das Theater Strahl versetzt die Geschichte um den heißgelaufenen Verehrer in die Generation Hashtag. Und gibt ihr eine abgründige Seite.

Werther, das Opfer. Wird dieser arme Kerl nicht in den Liebeswahnsinn und schließlich in den Suizid getrieben? Von einer liederlichen Lotte, die mit seinen Gefühlen spielt, während sie eigentlich längst anderweitig verlobt ist, die sich versaute Spielchen einfallen lässt – zum Beispiel, ihren Kanarienvogel erst an den eigenen, dann an Werthers Lippen picken zu lassen –, nur, um dem heißgelaufenen Verehrer dann doch die kalte Schulter zu zeigen. Kein Wunder, dass der gefühlsverwirrte Junge zur Pistole greift.

Andererseits gibt es auch eine alternative Lesart von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“. Auf die legt das Theater Strahl jetzt in der Weißen Rose in Schöneberg den Fokus. Und sie fällt etwas abgründiger aus, als das tragische Lied vom Liebeskummerkranken. Aus romantischem Sturm und Drang wird in der Jugend-Produktion „Forever Yours“ ein ziemlich unangenehmes Bedrängen, um nicht zu sagen: Stalking. Werther, der Creep.

Das Stück von Hannah Schopf – immerhin „powered by Johann Wolfgang von Goethe“ – verlegt die Handlung in eine Jetztzeit, in der es nicht mehr reicht, „Klopstock“ zu sagen, und alle wissen, welche Frühlingsgefühle gemeint sind. Die Referenzen sind hier eher Instagram und Facebook. Und Selbstdarstellung hat entsprechend mehr Wert als gefühlige Eloquenz. Hashtag: Love.

Werther kommt als Neuer an die Schule und führt sich nicht unbedingt sympathisch ein: „Ich bin einzigartig, ich bin konkret! Ich bin eine Insel!“. „Bisschen arrogant ist der schon“, stellt durchaus hellsichtig Lotte fest, deren Freund Albert sich gerade auf Schüleraustausch in Paris befindet. Ist wichtig für den Lebenslauf.

Werther, Nachbarin Wilhelmine – die befreundet sind, weil sie beide „bescheuerte Vornamen von unseren Eltern bekommen haben“ – sowie Lotte verleben anfangs eine Jeunesse dorée zwischen Party-Besäufnis und nächtlichem Einbruch ins Freibad.

Am Ende gibt es eine „Selber schuld“-Collage

Allerdings fallen Schatten auf die Unbeschwertheit, als Werther seine Gefühle für Lotte entdeckt. Dass er im Kaufhaus einen teuren Ring für sie klaut, ist erst der Anfang eines mit der Zeit zunehmend übergriffigen Werbens. Auch wenn seine Mutter entrüstet verkündet: „Stalking? Mein Werther? Der ist doch noch ein Kind!“

[nächste Vorstellungen: 25.09. (bereits ausverkauft), weitere im November und Dezember]

Regisseurin Inda Buschmann hat mit Natascha Manthe, Olivia Stutz, Amos Detscher und Justus Verdenhalven ein starkes Ensemble versammelt, das sich zwischendrin auch mit Maroulita de Kol zur Band vereint und der Geschichte von Hannah Schopf Energie und Dringlichkeit einimpft. „Forever Yours“ wirkt nie aufgesetzt heutig, lässt immer mal wieder den Original-Goethe durchscheinen – und schafft vor allem Raum für die Ambivalenzen der mal wahren, mal missdeuteten Gefühle.

Ziemlich eindringlich schließt der Abend mit einer „Selber schuld“-Collage aus Anwürfen, wie sie Stalking-Opfer wohl allzu häufig zu hören bekommen: „Deine Röcke sind aber auch sehr kurz. Warum bist du nicht gleich zur Polizei? Du hättest dich gar nicht mit ihm treffen dürfen. Schlucks einfach runter - es ist auch deine Schuld!“

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