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Greta Thunberg am 6. September inmitten einer Demonstration vor dem UN-Hauptquartier in New York.

© Reuters/Shannon Stapleton

Ein Jahr Kampf für Klimaschutz: Greta im Wettstreit der Apokalypsen

Seit genau einem Jahr schaut die Welt auf die Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg. Der Greta-Effekt ist weniger durch sie entstanden, als dass er sie gefunden hat.

Von Caroline Fetscher

Vor einem Jahr hockte die schwedische Schülerin allein mit ihrem Schulstreik-Poster „für das Klima“ auf einer Treppenstufe vor dem schwedischen Parlament, das Bild einer einsamen, kleinen, bezopften Rebellin. Ein Jahr später scheint Thunberg verwandelt in eine Jeanne d’Arc der Kinder und Jugendlichen in aller Welt, derart bedrängt von verehrenden Massen, dass sie beschirmt werden muss. 1,3 Millionen Leute haben allein ihren Facebook-Account abonniert. Wo sie auftaucht bilden sich Menschentrauben.

Hätte jemand so einen Plot für ein Drehbuch geschrieben, wäre die Story als utopische Fantasie eingestuft oder gänzlich als Kitschgeschichte über eine kindliche Madonna abgetan worden. Greta ist kein musikalisches Wunderkind, kein minderjähriges Schachgenie, kein Tennis-As, kein Talibanopfer wie Malala Yousafzai, die vor der Uno über Bildung für Mädchen sprach. Greta fällt in keine der Kategorien, die Kindern und Jugendlichen bisher zu globalem Ruhm verholfen haben. Vielmehr erscheint sie als die in eine Person gegossene Sorge einer jungen Generation angesichts der Rücksichtslosigkeit – oder besser Voraussichtslosigkeit – der älteren Generation.

Das ist historisch neu. Neu auch, weil internationale Umweltorganisationen wie der World Wide Fund for Nature oder Greenpeace, wenn, dann nur phasenweise, durch Individuen als Ikonen aus den eigenen Reihen oder durch Prominente repräsentiert sind, und ihre Stärke vor allem darin suchen, dass der Name der Organisation als Aussage, Appell und Qualitätssiegel funktioniert, nicht der Name einer Person.

Zu ihrer aktuellen symbolischen Position ist Greta Thunberg auch und gerade durch die geradlinige Kindhaftigkeit gelangt, mit der sie beansprucht, zu sagen, was ist und was sein sollte, ohne große rhetorische Kunst oder flammende, enthemmte Reden, wie sie zur Zeit im britischen Parlament zu hören sind. Ihre sphinxhafte Klarheit, ihre Beharrlichkeit und Distanziertheit soll die Teenagerin einer seelischen Disposition aus dem autistischen Diagnosespektrum verdanken. Die eindringliche, und doch fast flache Art, in der sie spricht signalisiert: Es geht um Fakten, nicht um Emotionen. Ich spreche nur aus, was alle wissen oder wissen sollten, und wonach sie sich trotzdem nicht richten – so ruft das Kind, das sieht, dass der Kaiser nicht etwa neue Kleider anhat, sondern gar keine.

Kein Wunder, dass bei so viel Charisma die Kritiker alert werden

„Es“ spricht aus ihr, so wird suggeriert. Daher ersetzt das Phänomen „Greta“ quasi das Institutionelle einer Organisation, es steht für unverfälschte Wahrheit und Wissenschaft, pure Fakten, klare Erkenntnis ohne diplomatische Wendungen oder politische Rücksichtnahme. Ohne Kalkül, ohne den typischen Narzissmus berühmt gewordener Zeitgenossen. Den Finten und Doppelstandards der politischen Funktionseliten setzt „Greta“ ihre nahezu mythisch wirkende Kassandra-Rede entgegen: „Ich will, dass ihr in Panik geratet.“ Und das sagt sie ohne Panik in der Stimme, wie ein märchenhaftes Trollwesen aus einer der Fantasy-Serien, die die Jüngeren gern konsumieren. Diesem eigenartigen Spagat zwischen kindlicher Märchenfigur mit Zöpfen und weisem Sprachrohr der wissenschaftlichen Community der Klimaforscher entspringt die ansteckende Faszination für Great Little Greta.

Kein Wunder, dass bei so viel überwältigendem Charisma die Kritiker alert werden, sei es aus Kreisen der Industrie, der Status-quo-verhafteten Politik oder der schlicht Missgünstigen. Skepsis galt, vor allem in Schweden, von Beginn an den Eltern, deren eher mittelmäßige Karrieren den Verdacht nährten, sie würden sich der Tochter als Marketingtool bedienen. Beinahe warten konnte man auf den eben erfolgten Einspruch des dänischen Politikwissenschaftlers und Öko-Apokalypse-Kritikers Björn Lomborg von der Universität Kopenhagen.

Klimawarner wollten „alles Geld auf einen Haufen werfen, um die Welt zu retten“ vergröbert Lomberg die Aussagen der großen Mehrheit aller Forschenden. Der Klimawandel, warnt er, werde „bis zum Jahr 2100 etwa 2 bis 4 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft kosten“, während es viele andere Probleme gebe, „die dann ungelöst bleiben!“ Außerdem müsse eher den armen Bevölkerungen geholfen werden, ihre Hütten zu verlassen, anstatt Schwellenländern den Verzicht auf fossile Energien vorzuschreiben. Und vor allem müssten Milliarden Euro in grüne Technologien gesteckt werden, anstatt in derzeit gängige Klimaschutzpolitik.

In beiden letzten Punkten widerspricht Lomborg keineswegs der festen Allianz aus Experten und demonstrierenden Jugendlichen. Sie ergänzen deren Forderung nach CO2-Reduktion, stehen aber nicht gegen diese. Die Fragen werden immer drängender werden, ob Ressourcen – Regenwälder, Flüsse, Sauerstoff – nationale oder transnationale Güter sind. Erst mit einer teils postnationalisierten, globalen Umweltpolitik werden sie sozial und technisch zu lösen sein.

Ohne Schock hat sich in modernen Industriestaaten selten etwas geändert

Sicher, der klimapolitische „Kinderkreuzzug“ für den Greta Thunberg zum medialen Sinnbild geworden ist, nutzt oft Starkvokabeln, er will Gesellschaften, die Gefahr laufen die Möglichkeit zum Wandel zu verschlafen wie mit Schocktherapie aufrütteln und zum Handeln bewegen. Anders allerdings hat sich in modernen Industriestaaten selten etwas grundlegend geändert. Deren fragmentierte, digitalisierte Öffentlichkeiten sprechen hypersensibel und temporär an auf Hypes. Rasch verrauschen wegweisende Informationen im kontinuierlichen Wellenschlag der Hysterien – solange Botinnen und Boten nicht zumindest partiell die Dynamik der neuen Öffentlichkeiten aufgreifen, deren Strukturen nutzen und kompakten Klartext bieten, der tiefergehendes Erkenntnisinteresse wecken kann.

Dass es bei dem Erkenntnisinteresse auch und vor allem um existentielle und globale Interessen derer geht, die heute jung sind, die mit den Interessen der heute Älteren kollidieren und konkurrieren, liegt auf der Hand. Die Katastrophen-Rhetorik war übrigens in den Anfangsjahren von den Grünen oder Greenpeace kein Stück anders. „Der Wald stirbt“, „die Flüsse sterben“, „das Ozonloch droht“ – als Händler der Apokalypse waren die frühen ökologischen Warner unterwegs.

Von der anderen Seite wurde mit ökonomischer Apokalyptik gedroht, und es hieß: „Wenn der Katalysator Pflicht wird, ist die Autoindustrie am Ende, der Industriestandort Deutschland ruiniert.“ Oder: „Die Rauchgasentschwefelung der Kraftwerke kostet immense Summen, das zerstört den Energiesektor.“ Oder: „Fluorchlorkohlenwasserstoffe lassen sich nicht ersetzen, das wird die Ozonschicht schon verkraften.“ Fast jedes Mal waren es die Aktivisten, unterstützt von der Wissenschaft, die diese ideologisierten Apokalypse-Wettstreits gewonnen haben. Bis heute.

Greta Thunberg als Solitär in der Landschaft der kapitalismuskritischen Ökologie ist zwar eine große, neue Ausnahme. Ziele und Kampagnen ihrer Mitstreiter knüpfen jedoch an Jahrzehnte der Erfahrungen an, die im neoliberalen Tumult vorübergehend verloren schienen. Jetzt sind sie wieder da. Der Greta-Effekt ist weniger durch Greta entstanden, als dass er sie gebraucht, gesucht und gefunden hat.

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