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Ästhet. Efraim Habermann sitzt abends gerne im Café des Literaturhauses in der Fasanenstraße.

© Thilo Rückeis

Ein Fotograf sieht Berlin: Die Heimat meiner Augen

Als Kind floh Efraim Habermann vor den Nazis. Später fotografierte er Berlin. Zum 80. wird er mit Ausstellungen gewürdigt.

Gelebt hat er nie von der Fotografie, zumindest nicht ausschließlich. Für sie, das schon. Aber von ihr, nein. Da hätte er zu viele Kompromisse machen müssen. Sich zu sehr anbiedern. Womöglich noch tagesaktuelle Ereignisse fotografieren oder was sonst von der Presse gekauft wird. Undenkbar für einen wie ihn. Was er mache, könne man weder lernen noch bestellen, ist Efraim Habermann überzeugt. „Mir geht es um die Kunst des Sehens.“

Und um die des Aussehens. Das ist gleich klar, als der zierliche Herr die Tür zu seiner Wohnung im Parterre eines Hinterhauses nahe des Fasanenplatzes öffnet. Habermann, der am Mittwoch 80 Jahre alt wird, ist eine ausgesprochen elegante Erscheinung. Zur Begrüßung reicht er nur den Zeigefinger. Er entschuldigt sich für das kleine Pflaster an der Hand, schon dieser eigentlich nicht weiter erwähnenswerte Makel geniert ihn. Es gebe nun mal drei Säulen der Kultur, sagt er, „Humanismus, Ethik und Ästhetik“. Und als Mensch, der sich selber schätze, hänge er jeder einzelnen davon an.

Dass Habermann nur von einer kleinen Rente plus einer monatlichen Zahlung lebt, die Verfolgten des Nazi-Regimes zusteht, sieht man auch seiner Wohnung nicht an. Sie ist klein, aber ausgesprochen schön in Weiß und Grün eingerichtet. Habermann lebt seit 40 Jahren hier. Neben seinen Fotos hängen auch Gemälde von ihm an der Wand. Die Landschaftsaquarelle hat er in Israel gemalt. Da hat Habermann ab 1939 seine Kindheit und Jugend verbracht. Weil sein Vater im „Palästina-Amt“ für ausreisewillige Juden in Charlottenburg arbeitete, schafften es die Eltern 1939 gerade noch, mit ihrem sechs Jahre alten Sohn von Triest nach Tel Aviv überzusetzen.

Über diese Zeit und auch über seine Gründe, 1957 in seine Heimatstadt zurückzukehren, redet der alleinstehende Efraim Habermann nicht gern. „Viel zu tragisch“, winkt er ab. Seine Großeltern und viele Verwandte wurden umgebracht. Wie er danach in Berlin wieder heimisch werden konnte? „Ich habe nie alle Deutschen für Nazis gehalten.“ Seine Herzheimat ist allerdings Israel, wo er beim Militär als technischer Zeichner arbeitete. Berlin nennt er dagegen seine visuelle Heimat, die ihm optisch neben Venedig am meisten vertraute Stadt. Er zündet sich eine weitere Dunhill an, lacht und schließt das Thema kurzerhand so ab: „Zu Hause bin ich da, wo ich zu Fuß hingehen kann, ohne müde zu werden, also von hier bis zum Ku’damm.“

Diese Strecke ist sein Revier, das er zweimal täglich und immer tiptop gekleidet abschreitet. Jetzt, viertel vor sieben, wird es höchste Zeit, ins Café des Literaturhauses aufzubrechen, wo Efraim Habermann jeden Abend Stammgast ist. Er zieht den hellen Trenchcoat über, steckt sein rotes Mobiltelefon ein und begrüßt draußen auf der Straße gleich eine Nachbarin. „Wie war ihr Urlaub? Hat die Katze überlebt?“ Sieh an, lakonisch kann er auch sein. An der Ecke Lietzenburger Straße stört er sich an einer Flasche, die auf dem Bürgersteig herumkugelt. Unmöglicher Anblick für einen Ästheten! Das Altglas wird aufgesammelt und zum Mülleimer gebracht. „Humanität fängt bei der Bananenschale an, die man aus dem Weg räumt, damit niemand drauf ausrutscht“, doziert er.

Dann ist das Literaturhaus erreicht, das Café betreten, in dessen Foyer ein Foto von ihm hängt und am Tresen sein aktueller Bildband ausliegt. Er nimmt seinen üblichen Platz ein. „Tut mir leid, dass ich heute zu spät bin“, sagt Habermann zur Kellnerin. Sie duzt ihn, bringt den üblichen Kaffee und gibt ihm liebevoll Milch und Zucker hinein. Habermann mag schöne Frauen und hat sie in jüngeren Jahren nicht nur fotografisch verehrt.

Mit dem Fotografieren fängt der Autodidakt, der sein Geld bis zum Ruhestand als technischer Zeichner in der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen verdient, erst mit Mitte 30 an. Vorher fehlt ihm das Geld für eine Kamera, und eigentlich will er ja Maler werden. 1968 verkauft er sein erstes Foto für 25 Mark: die Matthäus-Kirche auf dem Kulturforum, gespiegelt in der Glasfront der Neuen Nationalgalerie. Am 11. November erscheint das Motiv im Tagesspiegel, auf der damaligen Fotoseite „Weltspiegel“. Der Redakteur Bela von Abonye habe ihn entdeckt, sagt Habermann. „Der hat gesagt: ,Endlich kommt mal einer, der keine Fotos von Enten bringt!’“ Auf diesen Abdruck folgten viele weitere, bald auch in den anderen Tageszeitungen der Stadt, bis Anfang der neunziger Jahre.

In der Tat weist die strenge, in grobkörniges Schwarz-Weiß gefasste Bildsprache des Efraim Habermann keine Tierfotos auf. Selbst Menschen kommen – neben der Serie „Frau im Bild“, die von Habermann angesprochene Museumsbesucherinnen vor Alten Meistern zeigt – einigermaßen selten vor. Er sei kein Porträtfotograf, sagt er. „Wenn ich Menschen fotografiere, dann nur in einer stillen Pose, nicht in Bewegung, ich setze sie vor eine Struktur oder ein Gemälde.“

Seine städtischen Stillleben sind keine Dokumentation, kein Versuch, die Wirklichkeit abzubilden. Er bezeichnet sie lieber als „Meditation“. Ein Licht-und-Schattenspiel mit dem Thema Venedig oder Berlin, abseits der üblichen architektonischen Symbole wie dem Brandenburger Tor fotografiert. „Ich sehe einfach das Grafische in den Objekten“, sagt er. Deswegen beschränkt er sich auf das puristische und zugleich dramatische Schwarz-Weiß. Ob er noch immer mit der Kamera durch die Stadt streift? Wenig, schüttelt Efraim Habermann den Kopf. „Man muss loslassen können“, sagt er, lächelt und zündet sich vor dem Café eine Zigarette an.

Ausstellungen: Galerie Carlos Hulsch, Kurfürstendamm 206-208, Eröffnung: Do 27.6., 19 Uhr, bis 16.8.; Kommunale Galerie Berlin, Hohenzollerndamm 176, Eröffnung: So 7.7., 12 Uhr, bis 29.9.

Buch: Efraim Habermann: Berliner Stillleben. Fotografien 1975 - 2000, Lehmstedt Verlag, 136 S., 24,90 €

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