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Plattensammlung. Eliassons „A View Becomes a Window“.

© Rolf Brockschmidt

Ein Foliant mit Seiten aus Glas: Dieses Kunstbuch von Ólafur Elíasson verbindet Schönheit mit Selbstreflexion

„A View Becomes a Window“ wiegt 55 Kilo, ist 75 Zentimeter hoch und seine Seiten bestehen aus Glas. Sie dienen als Projektionsfläche für eigene Gefühle.

Euripides blickt etwas skeptisch auf dieses Objekt im Niobidensaal des Neuen Museums, während Sophokles und Aischylos darüber hinwegzuschauen scheinen. Hier, in der „Bibliothek der Antike“, mit den wertvollen Papyri des Ägyptischen Museums und der Papyrussammlung, macht Ólafur Elíassons Kunstbuch „A View Becomes a Window“ Station. Anlass für die Tournee dieses Kunstwerkes durch verschiedene Museen und Bibliotheken Europas und der USA ist der 25. Geburtstag von Ivorypress, dem Kunstbuchverlag aus Madrid, den Elena Ochoa Foster 1996 Jahren gegründet hatte.

Das Buch im Format eines klassischen Folianten, 75 Zentimeter hoch und 58 Zentimeter breit, ruht auf einem Metallgestell. Zugeschlagen deutet der schwarze Ledereinband mit dem geprägten Titel nicht auf das hin, was Euripides so erstaunt. Schlägt man das Buch auf – ausnahmsweise tut dies beim Pressetermin die Direktorin des Verlags Valerie Maasburg – sieht man keine bedruckten Seiten, sondern monochrome Glasplatten mit eingeschnittenen Kreisen oder Ellipsen in den Farben des Regenbogens. Gebunden mit Klavierband. Das ganze Werk wiegt 55 Kilogramm.

[„A View Becomes a Window“, bis 16. Januar 2022, Neues Museum, Bodestraße]

Betrachtet man die Seiten, die aus dem roten Spektrum ins Gelbe und Grüne wechseln, entstehen stets neue Reflexionen. Die Farben überlagern und mischen sich, das Buch gewinnt an Tiefe, weil die Ausschnitte an verschiedenen Stellen Schnittmengen haben und so mit fortschreitendem Blättern einen Wirbel entstehen lassen. Die einzelnen Seiten sind von unterschiedlicher Qualität und Lichtdurchlässigkeit.

Der Betrachter schaut immer tiefer in das Werk – und sieht sich selbst: „Ein Buch hat die Möglichkeit - nicht immer - dass man das Gefühl hat, es hört einem jemand zu. (…) Ein Buch ist im Wesen ein Spiegel, in den man sich selbst platzieren kann. Die Leerstellen in meinem Buch existieren für dich, um sie mit deinen Visionen, Vorstellungen, Gefühlen und Ideen zu füllen", hat Elíasson einmal zu seinem Werk geschrieben, das er bereits 2012/13 in seinem Berliner Atelier konzipierte. Es zwingt den Betrachter, sich einzubringen. „Du - der Leser - wirst von dem Buch gelesen“, schreibt der Künstler.

Elena Ochoa Foster hatte Elíasson gebeten, ein Kunstbuch für sie zu gestalten, die Idee hatte sie in Gesprächen entwickelt. Die Seiten wurden von Kunsthandwerkern der Glashütte Lamberts in Waldsassen mundgeblasen. Es ist die einzige Manufaktur weltweit, die solche Platten herstellen kann. Dabei wurden die Grenzen des Materials getestet. Es gab viel Bruch, doch am Ende entstand eine Edition von neun Exemplaren. Farblich fügt sich das Kunstwerk in die kräftige Farbgestaltung des Niobidensaales ein, der noch den Urzustand des Museums von 1850 verkörpert. Könnte Euripides aus seiner Marmorhaut, würde er nach einiger Zeit vielleicht weniger skeptisch dreinschauen.

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