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Kultur: Ein Dichter, ein Werk, eine Ehrung

Wilhelm Genazino erhält den Büchner-Preis 2004

Von Gregor Dotzauer

„Das Glück am Glück“, notiert er in seinem „Tagebuch der Verborgenheit“, „ist seine Aufschiebbarkeit.“ Das ist schon sehr kokett, zumal Wilhelm Genazino mit seinen 61 Jahren gut und gerne noch einmal ein halbes Leben auf breitere Anerkennung hätte warten können. Spätestens seit dem Kunstpreis Berlin im letzten Jahre ist damit nämlich Schluss. Dass er mit dem diesjährigen Georg-Büchner-Preis der Akademie für Sprache und Dichtung am 23. Oktober die angesehenste deutsche, mit 40000 Euro dotierte Literaturauszeichnung erhält, wird ihn nicht ernsthaft traurig stimmen. Aber was sind für einen melancholischen Schalk wie den Heidelberger Genazino schon die Kategorien von Spiel und Ernst? Und was darf man von jemandem erwarten, der mal Redakteur der Satirezeitschrift „pardon“ war?

„Unglück imponiert nur den Unglücklichen“, lautet ein weiterer Satz des Tagebuchs, das den gerade erschienenen „Text+Kritik“-Band zu Genazino eröffnet. Und so versucht er sich in dem guten Dutzend umfangreicher Prosabände, die er neben kleineren Publikationen, Hörspielen und Rezensionen seit 1965 veröffentlicht hat, an einer Verzauberung auch des katastrophischsten Alltags: „Die Wirklichkeit braucht Animation, sonst bricht sie zusammen.“ So hat Genazino – als Spaziergänger in der Tradition von Franz Hessel oder Robert Walser – vor allem der Dingwelt seit jeher seine poetische Aufmerksamkeit geschenkt.

Als Romancier machte er 1977 zunächst mit „Abschaffel“, dem Auftakt zu einer Trilogie aus dem Angestelltenleben, von sich reden. Mit „Der Fleck, die Jacke, die Zimmer, der Schmerz“ (1989) komponierte er mehr und mehr kleinere Stücke zu Prosasuiten, einer Form, die er auch in „Leise singende Frauen“ (1992) beibehielt. Zuletzt veröffentlichte er die schriftstellerische Bildungsgeschichte „Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman“.

Intellektuell ist Genazino zutiefst frankfurterisch geprägt: vom Denken Benjamins und Adornos. Vom Gemüt her aber ist der gebürtige Mannheimer ein echter Kurpfälzer: von jener Bedächtigkeit, die ein echter Augenblicksangler braucht.

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