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Königliche Paraderolle. Helen Mirren 2006 in Stephen Frears’ „The Queen“.

© Concorde Filmverleih

Ehrenbär der Berlinale für Helen Mirren: Das zweite Gesicht

Klassisch, adelig, furchtlos - Die britische Schauspielerin Helen Mirren wird mit dem Golden Ehrenbären ausgezeichnet.

Sie verspeist die Männer lebend, sagt das Volk über die Herrscherin. Einmal lässt sie sogar einen Liebhaber kochen und appetitlich anrichten. Essen musste ihn dann aber ihr brutaler Ehemann, der den Nebenbuhler zuvor töten ließ.

Als der angewidert zögert, empfiehlt die Rächerin: „Probier’ den Schwanz!“ Sonst haben die russische Zarin Katharina die Große und Georgina Spica, die Ehefrau eines Gangsters und Restaurantbetreibers wenig gemein. Bis auf eins: Sie werden von Helen Mirren verkörpert.

Mirren als in jeder Hinsicht potente Zarin

30 Jahre liegen zwischen Peter Greenaways schwarzer Groteske „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“, in der Helen Mirren als Domina von Gattes Gnaden in Lacklederkleidern leidet, und der jüngsten HBO-Serie „Catherine the Great“. Darin glänzt Helen Mirren als aufgeklärte, machthungrige, in jeder Hinsicht potente Zarin.

Eine der Klugheit, dem Charisma und der Sexyness der Schauspielerin angemessene Rolle, angesichts derer der britische „Guardian“ den Hut zog und anmerkte, dass man die nackte Haut alter Frauen in Film und Fernsehen sonst gewöhnlich nur bei Leichen sehe. István Szábo, der ungarische Regisseur, mit dem sie 2012 die Romanverfilmung „Hinter der Tür“ drehte, glaubt, dass Helen Mirren alles kann, was sie will: „Sie ist ein Mensch ohne Angst.“

Im Privatornat. Helen Mirren als sie selbst.
Im Privatornat. Helen Mirren als sie selbst.

© Foto: Jens Kalaene/dpa

Den Mut und das Können von Dame Helen Mirren ehrt die Berlinale mit einem Goldenen Ehrenbären. Am heutigen Donnerstag wird sie im Berlinale Palast für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. In der Hommage, die die Berlinale ihr widmet, ist auch der Greenaway-Klassiker zu sehen.

Dass sich die Filmreihe bei weit über 100 Filmen, in denen Mirren mitgespielt hat, auf gerade mal fünf Titel beschränkt, soll man wohl symbolisch verstehen. Dann müsste es allerdings ein Werk aus jeder Dekade der 1967 mit „Herostratus“ gestarteten Filmkarriere sein. Stattdessen ist der erst im November im Kino gezeigte, für eine Werkschau zu belanglose Thriller „The Good Liar“ von Bill Condon dabei.

Hinter dem Pokerface der Witwe steckt mehr

An dieser in London und Berlin spielenden Geschichte mit doppeltem Boden, die vom mimischen Duell der Stars Mirren und Ian McKellen lebt, lässt sich dennoch etwas ablesen. Mirrens Gabe nämlich, durch die fein gefältelten Gesichtszüge einer arglosen, sanften Witwe noch zwei andere Gesichter schimmern zu lassen. Eines ist das Pokerface einer Frau, die ihren eigenen Plan mit dem betrügerischen Galan verfolgt. Das andere sind die über zwei Drittel des Films nur sekundenweise sichtbaren Züge einer traumatisierten Rächerin.

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Dass es bei Helen Mirren, die 2019 noch in drei weiteren Kinofilmen zu sehen war, im letzten Lebensdrittel nur so rappelt, hat auch damit zu tun, dass sie sich beizeiten mit dem allzu menschlichen Geschick des Alterns versöhnt hat. So souverän sind in Hollywood womöglich nur die Generationsgenossinnen Meryl Streep und Diane Keaton.

In Großbritannien haben das auch andere, am Theater groß gewordene Schauspielerinnen drauf – Judi Dench, Vanessa Redgrave und Maggie Smith. Oder auch Julie Walters, mit der Helen Mirren 2003 eine Hauptrolle in „Kalender Girls“ spielt. In der Komödie von Nigel Cole macht sich eine Truppe angejahrter Hausfrauen aus Yorkshire für einen Charity-Kalender nackig – Mut zum welken Körper wieder inklusive.

Sorgt euch über die Rolle der Frau im echten Leben

Das Gejammer, dass es für alte Frauen immer noch zu wenig Rollen gibt, ist für Helen Mirren jedoch ein Nebenschauplatz. „Ich habe immer gesagt: Macht euch keine Sorgen über Rollen für Frauen. Macht euch Sorgen über die Rolle der Frau im wahren Leben. Wenn wir endlich sehen, dass Frauen dort die großen Rollen spielen, dann wird es auch im Theater so sein, denn die Kunst spiegelt das Leben.“

Gleichzeitig geißelt Helen Mirren, die Donald Trump einen „Frauen hassenden Dinosaurier“ nennt, gern den Jugendfetisch der amerikanischen Filmindustrie und lässt sich immer mal wieder mit dem Satz zitieren, dass sich in Hollywood kaum was ändere. „Die Filmemacher produzieren immer noch für 18- bis 25-Jährige und für deren Penisse.“

Rothaarig. Helen Mirren und Michael Gambon 1989 in Peter Greenaways "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber".
Rothaarig. Helen Mirren und Michael Gambon 1989 in Peter Greenaways "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber".

© Park Circus/Universal

Eine Bemerkung, die Elisabeth II. niemals über die Lippe käme. Die schlagfertige Schauspielerin, deren Anverwandlung der Queen in Stephen Frears Biopic von 2006 unerreicht ist, legt weniger Wert auf Diskretion als die von ihr verkörperte Herrscherin. Sehr passend, dass die Berlinale das großartige Drama über die Erschütterung der royalen Routine durch den Tod von Prinzessin Diana zur Ehrenbären-Verleihung zeigt.

Nicht nur, weil Helen Mirren dafür einen Oscar gewonnen hat. Nicht nur, weil sie die königliche Selbstgerechtigkeit, Würde und Lakonie so genau trifft. Sondern auch, weil ihre an der Oberfläche kühle und darunter fiebernde Darstellung die Schauspielkunst an sich adelt.

Seitdem kann ihr keiner mehr was

Die Rolle der Königin hat Helen Mirren unantastbar gemacht. Seitdem kann ihr keiner mehr was. In Hollywood hat sie einen ähnlichen Alles-geht-Status wie Ian McKellen, der mit größter Selbstverständlichkeit Charakterrollen und Fantasyfiguren spielt.

Und in Europa, wo sie mit Filmen wie Robert Altmans Gesellschaftssatire „Gosford Park“ und dem NS-Kunstraubdrama „Frau in Gold“ auch auf der Berlinale vertreten war, punktet sie als Rollenmodell des weißhaarigen Hollywoodstars. Und das auch frank und fröhlich bei Celebrity-Anlässen wie der Pariser Fashion Week.

Pokerfaces. Helen Mirren und Ian McKellen 2019 in "The Good Liar" von Bill Condon.
Pokerfaces. Helen Mirren und Ian McKellen 2019 in "The Good Liar" von Bill Condon.

© 2019 Warner Bros. Ent.

Ein Innehalten ist dabei nicht zu erkennen. Folgerichtig für eine Frau, die „ökonomische Unabhängigkeit eine klare Wurzel des Feminismus“ nennt. Da wird sie sich auch im Alter nicht auf die Einkünfte ihres Ehemannes, des Regisseurs Taylor Hackford, verlassen, der mit ihr in Kalifornien, Italien und England lebt.

Zumal die 1945 in London als Elena Lydia Vasilievna Mironova geborene Tochter eines verarmten russischen Adeligen aus bescheidenen Verhältnissen kommt. Die Eltern – sie Arbeiterin, er Taxifahrer – erleben eine „klassenbesessene Gesellschaft“ und „fremdenfeindliche Welt“, wie Helen Mirren in ihren Erinnerungen schreibt.

[Verleihung und Vorführung von "The Queen": 27.2., 21.45 Uhr (Berlinale Palast), weitere Termine der Helen-Mirren-Hommage auf berlinale.de]

Auf Wunsch der Eltern absolviert sie erst eine Lehrerinnen-Ausbildung, bevor sie in die Royal Shakespeare Company aufgenommen wird. Ihre Herkunft ist auch ein Grund dafür, warum sie es 1996 im ersten Anlauf ablehnt, sich adeln zu lassen.

Unter der Tory-Regierung von John Major will die Künstlerin kein Teil des britischen Establishments sein. 2003, als der Königshof ein zweites Mal anfragt, überlegt sie mehrere Wochen und nimmt an – weil ihre Familie sich geehrt fühlt. Irgendwann kriegt das Establishment halt jede mit seinen Preisen. Selbst wenn sie außer Herrscherinnen auch Huren, Agentinnen und Killerinnen spielt.

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