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Klaus Maria Brandauer.

© Christof Mattes

"Egmont" im Konzerthaus Berlin: Von der Alltäglichkeit des Krieges

Schrecken und Leiden im Flüsterton: Das Konzerthausorchester bringt zusammen mit Klaus Maria Brandauer ein modernes Egmont-Epos auf die Bühne.

„Die Trommel gerühret“, singt Clärchen in Goethes „Egmont“ zu Beethovens Klängen und wünscht sich „ein Wämslein und Hosen und Hut“. Jan Müller-Wieland lässt dies Claudia Barainsky in höchsten Spitzentönen einer weitestgespannten Linienführung singen. Das humanistische Pathos des niederländischen Freiheitshelden, der nach Goethe „nicht knickert“, wenn es „um den ganzen freien Wert des Lebens“ geht, ist dem in München lehrenden Komponisten und Dirigenten suspekt geworden. Im vorigen Herbst wurde sein monumentales Werk „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ uraufgeführt, zum Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Nun stemmt das Konzerthaus Berlin das Opus für Chor, Orchester, Sopran- und Orgelsolo sowie einen Sprecher zur 25. Feier der Einheit.

„Wofür lohnt es sich zu leben – und am Ende gar zu sterben?“, wird als zentrale Frage mit vom Komponisten zusammengestellten Texten von Goethe, Ingeborg Bachmann, Georg Trakl, Karl Kraus verhandelt. Eine Antwort scheint schnell klar: Der Krieg ist kein taugliches Mittel für ein gelungenes Leben in Freiheit. Aber was ist Krieg? Und so beginnt das Konzerthausorchester, akzentuiert von den Aufschreien des Philharmonischen Chors Berlin, mit einer dissonanten Klangattacke. Klaus Maria Brandauer beschwört flüsternd, schreiend, händeringend, in seinen Text hineinkriechend Schrecken und Leiden des Krieges. Der Schauspieler hat die Gabe, seine poetischen Vorgaben aufs Alltägliche herunterzubrechen, sie als Aufforderung und Frage so ins Publikum zu werfen, dass sich jeder angesprochen fühlen muss. „Man muss etwas tun. Wer tut etwas? Du?“ Für Erheiterung sorgt seine „Unterrichtsstunde 1914 beim Lehrer Zehetbauer“: „Setzen“ befiehlt Brandauer dem Chor, der das Lied „Ehret den Fremdenverkehr“ zum Zweck der sauberen Aussprache aller Vokale einüben darf.

Brandauer zieht alle Register

Dem Chor wird höchste Wandlungsfähigkeit abverlangt, in extremen Stimmlagen, Rufen, Glissandi, Sprechgesang. Minutiös reagiert das riesig mit grellem Blech und hartem Schlagwerk besetzte Orchester auf jede akribische Geste des Komponisten. Doch am berührendsten sind vielleicht Barainskys „Arien“, in expressiven Girlanden über sanft gehaltenen Orgeltönen. Fast wie bei Wolfgang Borcherts „Knochenxylophon“ klappert es unheimlich-schattenhaft im „Marsch der ungeborenen Enkel“: „Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt. Das Unerhörte ist alltäglich geworden.“ Und doch überzeugt uns Brandauer: wenn wir ganz „zu Grund“ gegangen sind, dann „liegt Böhmen doch am Meer“. Wir können und müssen die Realität selbst gestalten.

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