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Eckart Muthesius und der Palast "Manik Bagh": Maßarbeit für den Maharadjah

Die Renaissance der "indischen Möbel" von Eckart Muthesius

1989 erlebten einige der legendären Möbel von Eckart Muthesius (1904-1989), die er von 1930 bis 1933 für den Maradjah von Indore, Yeshwant Raho Holkar II., durch die Vereingten Werkstätten eine Wiederauflage. Aus diesem Anlass besuchte der Tagesspiegel im Februar 1989 den Architekten und Designer in seinem Studio im Keller des legendären Hotel Bogota in der Schlüterstraße 45, wo nicht nur junge Architekten für ihn arbeiteten und im Vorraum im Stile eines Partykellers ein Flügel stand, an dem eine junge Pianistin üben durfte. Er selbst residierte im letzten Raum in einem Büro mit einem u-förmigen Sideboard, auf dem zweispurig eine Modelleisenbahn fuhr. Denn Eckart Muthesius war auch ein großer Eisenbahnfreund, eine Leidenschaft, die ihn mit dem jungen Fürsten verband, für den er auch einen Salonwagen entwarf.

Das Musée des Arts Décoratifs in Paris widmet die Ausstellung "Moderne Maharajah" diesem Mäzen der dreißiger Jahre und auch seinem Architekten Eckart Muthesius. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir noch einmal den Text, der am 12. März 1989 in unserer Beilage "Wohnen" damals erschienen ist.

Er schaut einen an, mit mildem Licht in den Augen. Sein Blick strahlt Ruhe aus, und trotz seines Volumens wirkt er nicht plump, sondern elegant. Man kann sich wohlfühlen, wenn man mit ihm in Berührung kommt. Der "Rote Sessel" von Eckart Muthesius ist ein besonderes Sitzmöbel, mit zwei eingebauten Milchglaslampen in der Kopfstütze, damit man ohne akrobatische Verrenkungen in Ruhe lesen kann. In die Armlehne des Sessels ist ein Aschenbecher mit Schieber - wie heute im Flugzeug - eingelassen.

Der Sessel war Blickfang der Bibliothek Seiner Majestät Yeshwant Rao Holkar Bahadur, des Maharadjahs von lndore, im Palast "Manik Bagh" (Rubingarten), 600 Kilometer nordwestlich von Bombay. Seine Renaissance erlebte der Sessel in Neuauflage nach 58 Jahren auf der Kölner Möbelmesse. „Auf den bin ich stolz, er ist einfach toll", sagt mir Eckhart Muthesius in seinem Berliner Studio. Wie kam der „Rote Sessel" nach Indien?

Für den jungen Architekten war es ein Traum wie in einem Märchenbuch. Die Begegnung mit dem jungen, eleganten und gebildeten Maharadscha auf einer Gartenparty in Oxford 1930 war der Anfang einer phantastischen Geschichte, die aber wirklich stattgefunden hat. Da wird ein junger deutscher Architekt, der schon beste Referenzen vorzuweisen hat, in Deutschland und England studiert und gearbeitet hat, von dem gleichaltrigen Maharadscha, einem modern denkenden, aufgeschlossenen Fürsten, gebeten, die Pläne eines französischen Architekten für einen Palast zu begutachten.

 Ein Herz gefasst

„Mir gefiel der Plan des Franzosen nicht. das war mir viel zu schwülstig. Und als junger Mensch hatte ich nichts zu verlieren. Wir saßen drei Stunden im Schlafzimmer auf dem Boden und studierten die Pläne. Ich fasste mir dann ein Herz und sagte dem Maharadjah, daß diese Architektur für Indien nicht passend sei. Sie passe weder zum Klima noch läge die Küche richtig, deren Gerüche nicht durch das Haus ziehen sollten", erinnert sich Muthesius heute. Und noch heute ist ihm die Freude anzumerken, wenn er stolz berichtet: „Dem Maharadjah gefiel das auch alles nicht. Er fühlte sich durch mich bestätigt. Ich sollte ihm einen neuen, modernen Palast mit europäischem Interieur entwerfen. Schon hatte ich meinen Auftrag in der Tasche.“

Muthesius und der Maharadjah gehörten einer Generation an, liebten die Kunst und den Jazz, schätzten das Bauhaus und die Eleganz des Art Déco, verabscheuten die Pracht überladener Paläste.

„Ich fuhr sofort zurück nach Berlin, suchte die Schüler meines Vaters zusammen, und wir entwarfen innerhalb von drei Wochen Möbel und Grundriss, das ganze Interieur."

 42 Flugstunden bis Indien

1930 reiste der junge Architekt in 42 Flugstunden in sechs Tagen nach Indien, über Budapest, Kairo, Bagdad, Basra, Karatschi, und schließlich 24 Stunden mit einem Salonwagen des Maharadjahs nach Indore, 600 Kilometer nordwestlich von Bombay. Drei Wochen hielt er sich dort auf. „Allein die Reise dorthin war ein Abenteuer für sich in jener Zeit, ein ungeheures Erlebnis. Und das Fliegen war noch viel angenehmer als heute." Wenn man Muthesius erzählen hört, spürt man seine Reiselust.

„Ich war sehr stolz darauf, alle Arbeiten für den Palast - außer Mauerwerk und Putz -· in Berlin vergeben zu haben, was angesichts der hiesigen Arbeitslosigkeit wichtig war." Die Aufträge für Möbel, Lampen, Stahltüren und -fenster mit Rauchglasscheiben gegen die indische Sonne, auch die Klimaanlage, die erste in Indien überhaupt, wurden in Berlin unter Muthesius Aufsicht ausgeführt: Sogar den Marmorfußboden habe ich hier fertigen lassen, denn mir war die Art der Verlegung sehr wichtig, in Berlin konnte ich das nach meinen Vorstellungen fertigen lassen."

Hier entstanden auch die Möbel, die nun wieder aufgelegt worden sind, der „Rote Sessel" (1931) für die Bibliothek mit ihren verglasten Bücherschränken, „Sally", der mit Leder gepolsterte Eßzimmerstuhl, auf dessen drei Beinen Kristallspiegel angebracht sind, die ihn scheinbar schweben lassen, und der Teewagen Tiwary" (1932). Auf einem verchromten Stahlgestell auf Rollen ruhen zwei Ebenen aus geschliffenem Kristallglas, die obere· für Teekannen, die untere für die Tassen, damit es beim Einschenken kein Durcheinander gibt", erklärt Muthesius die Funktion.

 Drei Schiffsladungen

Bevor alles in drei Schiffsladungen nach Indien geschafft wurde, stellte er die Inneneinrichtung in einer eigens zu diesem Zweck gemieteten Wohnung in der Budapester Straße aus. Rund 4000 Besucher sollen damals die „indischen Möbel" gesehen haben.

Der Palast selber war U-förmig angelegt, fast alle Trakte durch gedeckte Veranden vor starkem Sonnenlicht geschützt, die Inneneinrichtung war insgesamt großzügig bemessen. Unter diesem Dach gab es unter anderem einen Speisesaal mit einem von unten illuminierten Tisch, einen Konzertsaal, Bäder aus farbigem Glas, Räume für die Verwaltung und natürlich die Privatgemächer, ein Gesamtkunstwerk mit Möbeln, Teppichen und Bildern der europäischen Moderne. Neben Entwürfen von Muthesius bestellte er Möbel von Eileen Gray, Le Corbusier und anderen.

 Bequem und elegant

Nicht umsonst gilt der Palast heute, obwohl seines schmucken Interieurs längst beraubt, als eines der Art-Déco-Gesamtkunstwerke, einer Idee, der sich Muthesius noch heute verpflichtet fühlt. "Ich würde alles genauso machen wie damals." Komfort, Eleganz und Einfachheit sollen seine Entwürfe ausstrahlen. "Ein Möbel muss 100 Prozent seinen Zweck erfüllen, bequem und elegant sein und in den Farben schick", lautet sein Credo. Die Gegensätze dürften nicht so krass sein. Der „Rote Sessel" sei dazu kein Widerspruch, in den in Pastelltönen gehaltenen Räumen des Palastes wirkten einfarbige Möbel als Blickfang.

Mit einer Wiederauflage der Möbel nach über 50 Jahren hatte Eckart Muthesius nicht mehr gerechnet. Erst die Sotheby's-Auktion 1980 in Monaco, auf der das Originalinventar des Palastes zu Höchstpreisen verkauft wurde - das Zimmer des Ersten Sekretärs ist im Berliner Kunstgewerbemuseum zu besichtigen - rief die "indischen Möbel" wieder in Erinnerung und einen deutschen Hersteller auf den Plan.

 "Rollender Palast"

Aber mit dem Palast, der 1934 fertiggestellt wurde und heute noch einzigartig in der indischen Architektur ist, war Muthesius' Tätigkeit für den Maharadjah noch nicht zu Ende. Ein reizvoller Auftrag war für den eingefleischten Eisenbahnfan der Salonwagen, der "rollender Palast" genannt wurde, ein Meisterwerk an Funktionalität und Komfort.

Bis auf das Fahrgestell wurde alles von Muthesius entworfen, eine Spezialfederung eingebaut, so daß der Tee nicht aus der Tasse schwappen konnte. Schiebetüren aus Glas, multifunktionale Möbel, mal als Bett, mal als Sofa, erlaubten eine optimale Ausnutzung des Raumes. „Da die Inder etwas kleiner sind, habe ich alle Möbel auch etwa zehn bis fünfzehn Prozent verkleinert.“ Maßarbeit für den Maharadjaah. Die großen Schiebefenster mit zweierlei Scheiben gegen die Sonne waren auch neu für Indien. „Man sollte doch etwas von der herrlichen indischen Landschaft sehen", schwärmte Muthesius. Selbstverständlich war auch dieser Salonwagen klimatisiert.

Für die mondänen Jagdgesellschaften entwickelte er zudem eine praktische Karawane, bestehend aus vier Lkws, deren Wände man verbreitern und deren Dächer man ausfahren konnte, um den Innenraum zu vergrößern. In Kreuzform aufgestellt, ergaben die vier hinteren Ladeluken der Lkws eine Plattform für ein Zelt, von dem aus man in alle vier Räume, darunter auch ein Badezimmer, gelangen konnte. Fast selbstverständlich, daß in diesem Zelt Stahlrohrmöbel den Schatten suchenden Besucher empfingen. Auch auf der Jagd gab sich der Maharadjah ganz progressiv.

 Nur Plan geblieben

Das Hausboot für Kaschmir und das prächtige, aber recht schlichte Wochenendhaus mit Bibliothek und Galerie sind zu seinem Leidwesen nur Plan geblieben, wurden nie verwirklicht. Von dem Haus am Wasser existiert immerhin ein Modell. Inzwischen vom Maharadjah zum Chef der Stadtbau- und Sanierungsbehörde ernannt, zudem beratender Architekt des Staates Indore, war Muthesius als Deutscher zu Beginn des Zweiten Weltkrieges den Engländern im Wege. Trotz einiger Interventionen des Maharadjahs musste er als „feindlicher Ausländer" Indien verlassen. Seitdem hat er ·auch keine Möbel mehr entworfen.

Muthesius hatte sich wieder auf seine Ausbildung als Architekt besonnen und ist bis heute Bausachverständiger, der auch ein Architekturbüro mit jungen Mitarbeitern unterhält. Ist er nun, der auch vorzüglich fotografiert. eher der Möbeldesigner oder der Architekt? Während wir in seinen unzähligen Kisten mit interessanten Fotos blättern, fragt er einen seiner Mitarbeiter: „Was meinst Du, soll ich nicht wieder einmal Möbel entwerfen? Ich hätte wieder Lust dazu!“ Dss sein Konzept Erfolg hat, auch über die Zelten wechselnden Geschmacks hinaus, hat die Wiederauflage seiner Möbel bewiesen.

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