zum Hauptinhalt
Die Ausbreitung von Pest im Mittelalter (hier am Set von "Black Death") ist Dreh- und Angelpunkt des Buches.

© Jens Wolf dpa/lah/lni

„Dunkles Gold“ von Mirjam Pressler: Jüdische Schätze

Von 1349 bis in die Gegenwart: Mirjam Presslers Roman „Dunkles Gold“ über zwei 15-jährige Mädchen und einen Fund, der ihre Geschichten verbindet.

Es war ein aufsehenerregender archäologischer Fund, der da 1998 in Erfurt bei Grabungsarbeiten für eine Wohnanlage gemacht wurde. Tatsächlich konnte man in diesem Fall von einen nicht nur historisch wertvollen Schatz sprechen, handelte es sich doch um mehr als 3000 Silbermünzen, die zwischen 1328 und 1345 geprägt worden waren, 700 Schmuckstücke aus Gold und Silber, vierzehn Silberbarren, zahlreiche silberne Schalen und Gefäße und nicht zuletzt um einen goldenen Hochzeitsring mit der Aufschrift „Masel Tow“, was auf Hebräisch „Viel Glück“ bedeutet.

Besonders der Hochzeitsring deutete darauf hin, dass es sich bei dem Fund um jüdische Besitztümer gehandelt haben muss, so wie es folgerichtig in Mirjam Presslers Roman „Dunkles Gold“ zur Sprache kommt: „Und woher wisst ihr, dass der Schatz genau 1349 versteckt wurde und nicht früher oder später?“ – „Das lässt sich von der Datierung der gefundenen Münzen und von der Herstellungsart der Schmuckstücke ableiten, und außerdem davon, dass 1349 das sogenannte Pestpogrom gegen die Erfurter Juden stattgefunden hat.“

In einer unruhigen Welt auf sich allein gestellt

Pressler hat diesen Ausgrabungsfund und die Ausbreitung der Pest in Europa, die zwischen 1346 und 1353 circa 25 Millionen Menschen das Leben kostete, zum Dreh- und Angelpunkt ihres letzten Romans gemacht. Der trägt den bezeichnenden Titel „Dunkles Gold“ und konnte von der gefeierten Kinder- und Jugendbuchautorin und Übersetzerin noch vor ihrem Tod Anfang dieses Jahres beendet werden. „Dunkles Gold“ ist das kongeniale Vermächtnis einer Autorin, die sich im Verlauf ihrer schriftstellerischen Karriere zunehmend mit ihrer eigenen jüdischen Identität, mit der Schoah und jüdischen Themen überhaupt auseinandergesetzt hat. Geboren 1940 in Darmstadt als uneheliches Kind einer Mutter jüdischen Glaubens, wuchs Pressler bei Pflegeeltern auf, die ihr kurz nach dem Krieg sagten, sie sei „jüdisch“. Es brauchte Jahrzehnte, bis Pressler sich jüdischer Stoffe annahm, erst die Arbeit an Anne Franks Tagebüchern wies ihr diesen Weg.

In „Dunkles Gold“ erzählt Pressler im kapitelweisen Wechsel die Geschichten zweier 15-jähriger Mädchen, die sie über die sieben Jahrhunderte geschickt miteinander verbindet. Die von Rachel, die 1349 aus Angst vor eben jenen Pestprogromen sich von ihrem Erfurter Zuhause auf den Weg nach Polen macht, zusammen mit ihrem Vater und ihrem Bruder Joshua. Und die von Laura, die im Erfurt der Gegenwart lebt und es sich in den Kopf gesetzt hat, eine Graphic Novel über den Erfurter Schatzfund zu zeichnen und zu schreiben: über Kalman von Wiehe, einen jüdischen Banker, der vor der Flucht seinen Besitz im Keller versteckte, sowie seine Kinder Rachel und Joshua, die anders als ihr Vater mutmaßlich fiktive Figuren sind.

Dabei erinnert der gewissermaßen von dem Autorinnenduo Pressler/Laura verfasste Mittelalter-Strang an einen Roadroman: Nächte auf Bauernhöfen bei christlichen Freunden oder in Herbergen mit zwielichtigen Gestalten. Oder draußen vor einer Felswand, was tragisch ausgeht: Der Vater wird ausgeraubt und umgebracht – und die beiden Waisen sind in einer von der Pest bedrohten und sowieso unruhigen Welt auf sich allein gestellt.

Mirjam Pressler: Dunkles Gold. Roman. Beltz & Goldberg, Weinheim 2019.
Mirjam Pressler: Dunkles Gold. Roman. Beltz & Goldberg, Weinheim 2019.

© Cover: Promo

Antisemitismus jetzt und vor 700 Jahren

Dieser Strang trägt authentische Züge, da gelingt Pressler nicht nur die Einfühlung in das Seelenleben Rachels, sondern überhaupt das gesamte Setting. Die Laura-Passagen dagegen sind bisweilen arg bemüht auf Vollständigkeit aus: vom jüdischen Kontingentsflüchtling aus Russland, Alexej, den Laura wegen ihrer Graphic Novel anspricht, um mehr über jüdisches Leben zu erfahren (und in den sie sich verliebt), über dessen Großmutter, die den Holocaust überlebt hat und sich ihrer eigenen Flucht vor den Nazis erinnert (und deren Eltern wie seinerzeit Kalman von Wiehe ihre Besitztümer versteckt haben, vergeblich), bis hin zu den Diskussionen, die Laura in der Schule über Israel hat, über die schwierigen Unterscheidungen im Nahostkonflikt. „Hier in den Medien hört es sich immer an“, sagt Alexejs Vater, „als wären alle Israelis mit der Politik Netanjahus einverstanden, aber das stimmt nicht, nicht alle sind politisch rechts oder orthodoxe Fanatiker.“

Mancher Dialog klingt ungelenk, arg didaktisch, nur auf einen inhaltlichen Transport aus. Das federt Pressler jedoch glücklicherweise immer wieder ab, indem sie ihre Ich-Erzählerinnen mit sich und der Pubertät, mit ihren Ängsten und Sehnsüchten sich beschäftigen lässt; zwei Ich-Erzählerinnen übrigens, wie sie typisch sind für das Werk von Mirjam Pressler, die ja selbst ihre leiblichen Eltern nie kennengelernt hat. Rachels Mutter ist im Kindbett gestorben, ihre Erinnerung an sie ist blass. Und Laura wiederum ist vaterlos aufgewachsen, häufig hat sich die Großmutter um sie gekümmert, zu der sie eine enge Beziehung hatte.

Letztendlich liest sich „Dunkles Gold“ bruchlos schlankweg. Der Roman erzählt davon, dass sich die Menschheit in 700 Jahren wenig zum Guten verändert hat, der Antisemitismus des 21. Jahrhundert dem des 14. sehr ähnelt. Man muss das als Mahnung verstehen – obwohl Pressler zwei hoffnungsfroh stimmende glückliche Enden bereithält.

Mirjam Pressler: Dunkles Gold. Roman. Beltz & Goldberg, Weinheim 2019. 333 Seiten, 17,95 €. Ab 14 Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false