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Heterogene Haarpracht: Die britische Gruppe Dry Cleaning.

© Steve Gullick

Dry Cleaning im SO 36: Reanimation mit dem Schellenkranz

Die Londoner Dry Cleaning waren die Newcomer-Band des letzten Jahres. Nun spielte das Quartett ein lange erwartetes Konzert in Berlin. So war es.

Liegt es an der langen pandemischen Pause, dass der subkulturelle Konformitätsdruck sichtlich nachgelassen hat? Früher sprachen Bands ihre Frisuren für ein stimmiges Gesamtbild noch untereinander ab. Nicht so bei Dry Cleaning. Als die britische Indie-Sensation am Montagabend die Bühne des SO36 betritt, gibt sie eine aberwitzig heterogene Erscheinung ab. Gitarrist Tom Dowses raspelkurze Haare werden von Schlagzeuger Nick Buxtons mittellangem Bro–Flow-Schnitt sowie der langen Metalmatte des Bassisten Lewis Maynard kontrastiert. Davor wirkt Sängerin Florence Shaw, mit geflochtenen Zöpfen, dunklem Lippenstift und bizarrem Mimikspiel wie aus einem Horrorfilm entsprungen.

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Aber hier geht es ja um gute Musik. Und die kann so einfach sein. Zackige Drums, melodische Gitarrenlicks, ein treibender Bass. Darüber deklamiert Shaw in einer Dringlichkeit über Rettungsstellen für Weihnachtsbäume und Pilotenbrillenträgerinnen, die Bazookas abfeuern, dass man ihr den suggerierten Tiefgang der dadaistischen Texte beinahe abnimmt. Die Inspiration für die oft kryptischen, assoziativen Wortketten stammt laut ihrer Aussage „aus Sachen, die ich auf meinem Handy geschrieben hatte, aus Tagebüchern, aus Dingen, die ich in der Werbung gesehen habe und lustig fand“.

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Während das herrlich schräge Riff von „Unsmart Lady“ ertönt, drängt sich der Gedanke auf, wie gerne man doch den Findungsprozess dieser gefeierten Band begleitet hätte. Vom Treffen in einer Karaoke-Bar in South London bis zu dem Moment als Shaw an das Mikrofon trat und ihren monotonen Sprechgesang erstmals über die lärmenden, psychedelischen Instrumentals legte.

Wie eine sadistische Ärztin am Bett eines Schwerkranken spuckt sie ihre misanthropischen Alltagsdiagnosen heraus, mustert das Patientenkollektiv im Publikum mit spöttischem bis mitleidigem Blick. Doch nach anfänglicher Euphorie wirkt die minimalistische Post-Punk-Medizin auf Dauer beinahe sedierend. Zumal der eher statische Auftritt der Band und das unterkühlt ironische Gestikulieren der Sängerin über weite Strecken in ein beruhigendes Blau getaucht sind.

Dann aber gibt Medizinfrau Shaw beim mitreißenden „Magic of Meghan“, nochmal alles am Schellenkranz. Der brachial verzerrte Bass lässt die Körper durchzucken wie ein Defibrillator. Das Schlagzeugspiel wird mit seinem stoischen Motorik-Beat zur Herzdruckmassage. Die Gitarre fiept triumphal auf wie der EKG-Monitor nach einer erfolgreichen Reanimation. Dry Cleaning walzen die Zugabe „Conversation“ zu einer vor sich hin mäandernden Klangtherapie aus. Totenstille tritt an diesem Abend nicht mehr ein. Operation gelungen. Patient bebt.

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