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Barock’n’Roll: Die goldverzierte Kalesche von August dem Starken sieht aus wie aus einem Film von Walt Disney.

© Arcibiskupství olomoucké

Dresden feiert "1719 Reloaded": Retourkutsche zum Zwinger

Deutsches Versailles: Dresden feiert die Fürstenhochzeit von 1719 mit viel Pomp und Ausflügen in die virtuelle Realität.

Barocke Feste, da denkt man zuerst natürlich an Ludwig XIV. und seine sonnenkönighafte Unterhaltungskultur in Versailles. Außerdem vielleicht noch an die Reichsten unter den italienischen Adligen, die für familiäre Großereignisse auch schon mal hölzerne Opernhäuser errichten ließen. Das prächtigste aller Mega-Events des 18. Jahrhunderts aber fand in Dresden statt. Als August der Starke 1719 seinen einzigen Sohn mit einer Habsburg-Prinzessin verheiraten kann, wird an der Elbe ganze 28 Tage lang gefeiert. Mit Lustbarkeiten aller Art von großen Bällen bis zum Hahnenkampf. Höhepunkt war eine Folge von Festen, die von den sieben damals bekannten Planeten des Sonnensystems inspiriert waren. Bei der Saturn-Party ließ man beispielsweise 1400 Bergleute aus dem Erzgebirge in traditionellen Trachten aufmarschieren.

Das sah nicht nur beeindruckend aus, sondern machte auch gleich augenfällig, wo das Herrscherhaus der Wettiner seine Geldquellen hatte. Neben dem Hüttenwesen trugen auch die hoch spezialisierten Kunsthandwerker zum Wohlstand bei, die sächsischen Spitzenklöppler und Seidenspinner, deren Waren auf der Leipziger Messe heißt begehrt waren.

Sein Reichtum wiederum machte August den Starken zu einem attraktiven Verhandlungspartner, wenn es um strategisch geschlossene Ehen auf höchster europäischer Ebene ging. Als Gemahl von Maria Josepha, der Tochter Karls VII., war der Wettiner-Spross Friedrich August eigentlich automatisch Anwärter auf den österreichischen Kaiserthron – den ihm dann aber 1745 doch noch Maria Theresia wegschnappen sollte.

Mehrere Originalgewänder von August dem Starken sind noch erhalten

Davon freilich ahnte in Sachsen vor genau 300 Jahren keiner etwas, darum war die Feierlaune ungetrübt. Der König hatte für die Hochzeit eine Reihe von neuen Paraderäumen nach französischem Vorbild einrichten lassen, die mächtig Eindruck machten. Und ab Ende September auch wieder die Besucher von heute blenden sollen. Denn nach zehn Jahren aufwändigster Rekonstruktion ist die Zimmerflucht im 2. Stock des 1945 völlig ausgebrannten Westflügels endlich für das Publikum zugänglich, ein weiteres Highlight im Museumskomplex der einstigen Herrscherresidenz.

Teile der erlesenen spätbarocken Einrichtung hatten den Krieg dank rechtzeitiger Auslagerung überstanden. Und auch mehrere Originalgewänder, die August der Starke 1719 trug, sind erhalten, was besonders bei den Kollegen in Versailles Neidgefühle weckt, weil es von Ludwig XIV. kein einziges Kleidungsstück mehr gibt. Nachgebaut wurde auch das imperiale Paradebett des Brautpaars, während die beiden „Toilette-Koffer“ der österreichischen Kaisertochter noch im Original erhalten sind.

„1719 reloaded“ nennt das Dresdner Stadtmarketing das touristische Eventprogramm anlässlich des 300. Jubiläums der Fürstenhochzeit. Am 25. August beispielsweise wird die Wasserparade nachempfunden, mit der das frisch vermählte Paar einst die letzte Etappe seiner Reise von Pirna nach Dresden zurückgelegt hatte. Nachbauten der Prunkgondeln sollen eine außergewöhnliche Atmosphäre schaffen, einschließlich Barockspektakel im Schloss Pillnitz und Willkommenszeremonie an den Elbterrassen.

Jawort im Marmorsaal des Residenzschlosses

Am 8. Oktober darf sich dank einer Sondergenehmigung der Museumsleitung dann ein glückliches Paar das Jawort im Marmorsaal des Residenzschlosses geben, Bewerbungen werden noch bis zum 30. Juni angenommen. Und ebenfalls ab Oktober lockt das Boulevardtheater Dresden mit dem Musical „Barock me, Gräfin Cosel“, in dem einmal mehr die Yellowpress-Story der Mätresse erzählt wird, der August der Starke das Taschenbergpalais bauen ließ, in dem heute ein Kempinski-Hotel den Geldadel beherbergt.

Ziemlich skurril wirkt die Idee des „Time Ride Dresden“ zum Thema „1719 reloaded“: Die Firma, die sich gegenüber des Zwingers im Taschenbergpalais eingemietet hat, bietet eine Reise ins barocke Dresden an. Dazu werden die Besucher in Kutschen-Attrappen verfrachtet und mit Virtual-Reality-Brillen ausgestattet. Die Animationen sind gut gemacht, vom Interieur des Gefährts bis zum matschigen Untergrund der ungepflasterten Straßen wirkt alles historisch korrekt. Wer nicht nur geradeaus schaut, sondern seinen Kopf samt Brillenhaube auch wendet, kann in diesen computeranimierten Kunstwelten mannigfaltige Details aus dem Alltagsleben des 18. Jahrhunderts entdecken. Dass der Boden der unechten Kutsche dazu noch in unregelmäßiges Ruckeln versetzt wird, sorgt für ein fast authentisches Fahrgefühl.

Die Rokoko-Fantasie lädt zu abendlichen Lustbarkeiten ein

Über die Kopfhörer lauscht man den Gesprächen der Passanten, ein Sprecher raunt Wissenswertes zur Wegstrecke, die von der Wilsdruffer Vorstadt bis zum Zwinger führt. Den hatte August der Starke sich bereits ab 1709 von seinem Architekten Matthäus Pöppelmann errichten lassen, als repräsentatives Festareal mit Orangerie, Bogengalerie, Nymphenbad und Gärten. In dieser Rokoko-Fantasie wird der Zeitreisende Zeuge abendlicher Lustbarkeiten. Und kann anschließend zum Original hinübereilen, wo ihn eine weitere virtuelle Erfahrung erwartet. Mitten im Zentrum der Parkanlage steht ein Riesen-Iglu, die „Filmkuppel Zwinger Experience“, die das „Reiterballett der vier Elemente“ von 1719 in einer 270-Grad-Projektion auferstehen lässt.

Angenehm altmodisch mutet dagegen die Sonderausstellung im Verkehrsmuseum Dresden an, wo ab dem 30. August gezeigt wird, wie die 1000 Gäste der Fürstenhochzeit nach Dresden reisten: von der Prinzessin bis zum Diener, vom Handwerker bis zum Schausteller. Dort ist dann auch eine goldverzierte Kalesche zusehen, die tatsächlich aussieht, als habe sie Walt Disney als Vorlage für seinen „Cinderella“-Zeichentrickfilm gedient.

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