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Drei Wochen nach Anschlag auf "Charlie Hebdo": Was? Darf? Die? Kunst?

Schon die Frage schränkt ein, denn sie setzt Grenzen. Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit, nicht nur bei Karikaturen.

Wie weit kann Kunst gehen? Was darf Satire? Wo liegen die Grenzen von Humor? Wie politisch müssen Festivals sein? Diese Fragen treiben uns um. Wir haben sie uns nicht selbst gestellt, sie werden uns aufgezwungen. Von Terroristen, die Menschen ermorden, weil sie Bildchen zeichnen mit Sprechblasen, die angeblich geeignet sind, eine Weltreligion und ihre Anhänger zu erschüttern.

In der Basilika San Petronio von Bologna ist der Prophet Mohammed dargestellt, wie er – gemeinsam mit Sündern – in der christlichen Hölle gequält wird. Die wild-monströsen Fresken stammen aus dem 15. Jahrhundert und folgen der Bildwelt Dantes, der zu den Begründern der Weltliteratur zählt. Im August 2002 wurden in der Kirche fünf Männer verhaftet. Sie sollen einen Anschlag geplant und mit Al Qaida in Verbindung gestanden haben.

Die Basilika ist eine der größten Kirchen der Welt, als Bauwerk auch für Nicht-Katholiken, für Agnostiker und Atheisten eindrucksvoll. Es ist möglich, das Gotteshaus als ästhetisch-architektonisches Kunstwerk zu erleben und als historisches Denkmal zu würdigen. Wollte man alle anstößigen Motive (wer entscheidet das?) tilgen, wären Kirchen und Museen leer, gäbe es weder Kunst noch Geschichte.

Im russischen Kirchen- und Kulturkampf des 17. Jahrhunderts wurden Heiligen auf Ikonen die Augen ausgestochen – fanatische Orthodoxe sahen in diesen Bildern einen bösen westlichen Einfluss. Die Taliban sprengten die herrlichen Buddha-Stauen von Bamyan. IS-Terroristen zerstörten im Irak jüngst Moscheen und Schreine. Weil sie nicht in ihr beschränktes Glaubensschema passten. Es ist die pure Lust an der Barbarei, ein Blutrausch. So wie katholische Truppen 1203 das byzantinische, christlich-orthodoxe Konstantinopel niedermachten.

Höllenvision. Fresko aus der Basilika von Bologna aus dem 15. Jahrhundert.
Höllenvision. Fresko aus der Basilika von Bologna aus dem 15. Jahrhundert.

© Wikipedia

Es sind die alten Geschichten und Muster von Religion, Irrsinn und Gewalt. Diesen ewigen Kreislauf hat die Französische Revolution 1789 durchbrochen - auch mit brutalen Methoden. Der Trennungsprozess von Staat und Kirche durchzog in Europa das gesamte 19. Jahrhundert. Noch 1894 wurde der Schriftsteller Oskar Panizza wegen seiner antiklerikalen Satire „Das Liebeskonzil“ ein Jahr ins Gefängnis geworfen.

Wie Dario Fo den Papst spielte - und dessen Attentäter

In den Achtzigerjahren spielte Dario Fo, Nobelpreisträger und italienische Theaterlegende, das Attentat nach, das der türkische Rechtsextremist Ali Agca auf Papst Johannes Paul II. verübte. Die Tat geschah in Rom, im Mai 1981. Dario Fo stand bei seiner Performance allein auf der Bühne. Unvergesslich, ein riesiger Komiker. Er stellte zugleich die Menge auf dem Petersplatz dar, den Verbrecher und das Opfer. Große Pantomime, große Kunst. Fo machte sich lustig über den jungen Mann mit terroristischem Tunnelblick, aber auch über die Rituale des Vatikans und das päpstliche Gepränge. Nichts war ihm heilig. Selbst angesichts eines feigen Anschlags packte er seine scharfe Commedia dell’Arte aus.

Man sieht: Europa hat sich seine Freiheit hart und blutig erkämpft. Und letzlich mit dem Verlust der Religion bezahlt, wenn man so will. Wir sind in der Lage, die Kirche und ihre kulturellen Werte und Hervorbringungen voneinander zu trennen. Die Kunst hat sich seit der Renaissance von ihrem Glaubenshintergrund emanzipiert. Caravaggio holte sich – um das Jahr 1600 – als Modelle für seine sakralen Gemälde Prostituierte und arme Teufel von der Straße.

Europa gründet ideell auf der Freiheit des Individuums und der Kunst. Allerdings kann man sich fragen, ob eine solche radikale Abräumnummer, wie sie Dario Fo damals auch in Berlin zum Besten gab, im alten Tempodrom am Potsdamer Platz, heute noch möglich wäre. Man ist vorsichtiger geworden. Es zeigt sich jetzt auch: Die Fragen nach den Grenzen des Dürfens werden von Menschen aufgeworfen, denen die Freiheit der Kunst und der Meinung heilig sein müsste, ihre erste Pflicht. Die großen US-amerikanischen Medien haben nach der Bluttat von Paris keine Zeichnungen von „Charlie Hebdo“ publiziert – sie veröffentlichen generell keine religiösen Karikaturen.

In den USA, the land of the free, zählt Religion anders und im Zweifel mehr als in den meisten europäischen Staaten. Außerdem spielen Sicherheitserwägungen eine Rolle, wenn die „New York Times“ auf Mohammed-Karikaturen verzichtet. Safety first – noch vor der Freiheit. Wenn die von Sony produzierte Filmsatire „The Interview“ die Ermordung des nordkoreanischen Diktators abfeiert, dann liegt dies nahe bei der amerikanischen Idee vom Tyrannensturz und Demokratieexport, der schon lange nicht mehr funktioniert. Der oft vergessene Koreakrieg endete 1953 mit über vier Millionen Toten.

Es kommt also auf den Feind an. Man kann offensichtlich Koreaner beleidigen, aber Muslime besser nicht. Auf den mutmaßlichen Hacker-Angriff aus Pjöngjang hat das Weiße Haus scharf reagiert, an der Trauerfeier der Millionen in Paris mit etlichen Staatsgästen nahm kein hochrangiger Politiker aus Washington teil.

Nächste Woche eröffnen die 65. Berliner Filmfestspiele. Das Festival hat sich stets als Forum für unterdrückte Filme und Filmkünstler, als Ort der Diskussion und des freien Austauschs verstanden, zumal in den Jahren der Ost-West-Konfrontation. Die Berlinale zeigt dieses Jahr den dritten Film, den Jafar Panahi seit seinem Berufsverbot in Teheran gedreht hat.

Das ist selbstverständlich. Theater, Opernhäuser, Kinos spielen, Museen zeigen, was ihnen gefällt. Was dem Publikum gefällt. Mal radikal, mal unterhaltsam. Es gibt in unseren Breiten auch keine Regeln dafür, wie politisch Kunst zu sein, auf welcher Seite sie zu stehen hat. Denn dann wäre man schnell bei Diktatur, Staatskunst, Propaganda. Und der Zensur. Kunst ist, man darf daran erinnern, subjektiv. Darin liegt das Wesen einer freiheitlichen Gesellschaft. Künstler, Institutionen, Medien müssen sich jetzt auch nicht partout beweisen und in ihrem Mut übertreffen wollen. Das wäre mutwillig. Zur Freiheit gehört Gelassenheit, sie besteht auch einmal darin, etwas nicht zu tun. Oder nicht sofort zu tun, es auf seine Weise zu tun, eine freie, persönliche Entscheidung zu treffen.

Was darf Satire? Wie politisch müssen Festivals sein? Wie weit kann Kunst gehen? Wer so fragt, denkt schon über Einschränkungen nach. Oder will Vorschriften machen. Kunst aber ist nach europäischem Verständnis zumeist aus sich heraus politisch – und frei, auf gesellschaftliche Entwicklungen zu schauen, sie zu analysieren oder auch vorwegzunehmen. Es war ein langer Weg bis hierhin.

Schillers Idee vom moralischen Theater

Friedrich Schiller schrieb 1794 in seiner Grundsatzrede „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ das Programm: „Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Gebiet der weltlichen Gerichte endigt. Wenn die Gerechtigkeit für Gold verblindet und im Solde der Laster schwelgt, wenn die Frevel der Mächtigen ihrer Ohnmacht spotten und Menschenfurcht den Arm der Obrigkeit bindet, übernimmt die Schaubühne Schwert und Waage und reißt die Laster vor einen schrecklichen Richterstuhl. Das ganze Reich der Fantasie und Geschichte, Vergangenheit und Zukunft stehen ihrem Wink zu Gebot.“

Es überrascht jetzt nicht, wenn Theater Solidaritätsabende für „Charlie Hebdo“ veranstalten und über „Das Recht der Kunst“ nachdenken. Dieses Nachdenken ist ohnehin ihr Geschäft. „Je suis Charlie“, das neue cogito ergo sum, bedeutet doch auch: Ich habe Zweifel – und kein geschlossenes Welt- und Menschenbild. Das Hebbel am Ufer will der „grundsätzlichen Veränderung des Verhältnisses zwischen Kunst und Gesellschaft“ nachspüren. Und ja, da tut sich etwas. Am Ende fast aller Tabus angelangt, tauchen im Kulturbetrieb des 21. Jahrhunderts vermehrt solche Gedanken auf – was man noch tun kann, da die Welt dem globalisierten Künstler und Kurator einerseits unerschöpflichen Stoff liefert, andererseits das Gefühl der Ohnmacht zunimmt. Wir dürfen alles. Aber was erreichen wir?

In diesem Moment der Sättigung sind wir mit der bizarren Situation konfrontiert, dass die Ausübung der Freiheit doch etwas bedeutet. Erschreckend viel! Französische Karikaturisten haben mit ihrem Leben dafür bezahlt. Ist die Freiheit aber einmal gewonnen und geübt, gibt es kein Zurück. Schillers „Reich der Fantasie und Geschichte, Vergangenheit und Zukunft“: Es ist eben das, was die Halsabschneider und Sklavenhändler von Boko Haram und IS fürchten, die Taliban nicht zu vergessen, die einst als Ausbund des Bösen galten und es jetzt nur noch in die Schlagzeilen schaffen, wenn sie in einer Schule in Pakistan 130 Kinder umbringen.

Was darf die Kunst? Gegenfrage: Darf man das ernsthaft fragen, nach all den Revolutionen, Kriegen, Gräueln und Verfolgungen allein im 20. Jahrhundert, deren Opfer die Kunst und die Freiheit waren? Die Nationalsozialisten haben Bücher verbrannt, bevor sie die Menschen ins Gas und in die Öfen schickten.

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