zum Hauptinhalt
Überfordert. Cobain (Bas Keizer) und seine Mutter (Naomi Velissariou).

© W-Film

Drama „Cobain“ im Kino: Fürs Leben gerüstet

Verkehrte Rollen: In Nanouk Leopolds „Cobain“ übernimmt ein Teenager die Verantwortung für seine drogenabhängige Mutter.

Von Weitem könnte man denken, dass alles paletti ist. Dass da einfach nur ein 15-jähriger Junge im Park Fußball spielt. Und dass seine wieder schwangere Mutter vom Spielfeldrand zuguckt und die Torchancen bejubelt. Doch Cobains Mutter Mia muss kurz darauf auf den Rasen kotzen, weil sie zu viel Bier und Wodka in sich hineingekippt hat und ihr Körper durch den regelmäßigen Heroinkonsum eh geschwächt ist.

Bei Cobain (Bas Keizer), der sich über seinen Grunge-Namen ärgert – denn „wer will schon heißen wie einer, der sich in den Kopf geschossen hat?“ – und Mia (Naomi Velissariou) stimmt die Rollenverteilung nicht: Mias Sucht macht sie unverantwortlich, unsozial, unzuverlässig. Ihre immer wieder artikulierte Liebe zu „ihrem Kleinen“ Cobain und ihr Pflichtbewusstsein gegenüber dem ungeborenen Baby wird von den Drogen hinten angestellt: Die Abhängigkeit überstrahlt die Stärke der Gefühle.

Cobain hat darum gelernt, auf sich selbst aufzupassen, mit der Hilfe von anderen. Er lebt schon lange nicht mehr bei seiner Mutter, soll nun aus einem Kinderheim zu einer Pflegefamilie wechseln. Doch er entscheidet sich, bei einem alten Bekannten der Mutter unterzukommen. Wickmayer (Wim Opbrouck) ist ein voluminöser, jovialer Zuhälter, in dessen Wohnung ein paar junge Prostituierte leben. Eine Weile sieht es aus, als hätte Cobain bei ihm eine ungewöhnliche, aber funktionierende Sozialstruktur gefunden, inklusive vorsichtiger, gekaufter Schäferstündchen bei einer der Frauen – und einer Portion Väterlichkeit durch den umtriebigen Pimp. Doch als Wickmayers Frauenverachtung deutlich wird und er Mia beleidigt, entschließt sich der Junge zu einem extremen Schritt. Der wird in seiner Radikalität nur noch vom drastischen Finale übertroffen.

Freier Umgang mit Genderkonventionen

In „Cobain“ von der niederländischen Regisseurin Nanouk Leopold, der – wie schon ihr formal ebenfalls beeindruckendes Debüt „Brownian Movement“ (mit Sandra Hüller) sowie „Oben ist es still“ – auf der Berlinale Premiere feierte, geht es um eine Suche nach Gleichgewicht: Die Mutter-Sohn-Beziehung ist dysfunktional, pendelt sich nur ab und an ein. Einmal fragt Mia ihn, wieso er ihr wie ein „Schoßhündchen“ nachliefe. „Ich mach mir Sorgen“, antwortet Cobain. „Mach ich mir etwa Sorgen um dich?“ schnappt Mia zurück. Als er den Kopf schüttelt, entgegnet sie nur „Na also“. Es muss, das impliziert Leopold, eine Zeit gegeben haben, in der Cobain mit seiner Mutter glücklich war. Er hat, trotz aller Hindernisse, das berühmte „Rüstzeug“ mitbekommen. Denn während sie es nicht mehr zu schaffen scheint, ihr Leben hinzubiegen, Verantwortung zu übernehmen, weder für Cobain und das ungeborene Kind noch für sich selbst, wird Cobain stärker, erwachsener. So bewahrt Leopold ihr Coming-of-Age-Drama davor, sich am Leid seiner Protagonisten zu weiden. Und fügt ähnlichen Filmen wie Adrian Goigingers „Die beste aller Welten“ und „Jack“ von Edward Berger dennoch eine rigorosere Variante hinzu.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Wieder komponiert Leopold ihre Szenen dabei aus dem Innenleben ihrer Figuren heraus. Die zarte, aber beständige Verbindung zwischen Mutter und Sohn wird in Gesten und Blicken deutlich, vor allem im lesbaren Gesicht Cobains, der sich an der Grenze zwischen Junge und jungem Erwachsenen bewegt. Irgendwann nimmt er sich einfach die nominelle Idylle, die ihm zusteht. Leopold geht dabei mit Genderkonventionen über starke Jungs und zerbrechliche Mädchen genauso frei um wie mit „Opfer-„ und „Täter“-Zuschreibungen: Ihre Figuren balancieren über das gleiche wackelige Netz, das trotz seiner drogeninduzierten Löcher gar nicht so weit entfernt ist von der sogenannten Normalität der abstinenten Welt. Auch in vermeintlich gesunden Beziehungen gibt es Unzuverlässigkeit, Enttäuschungen und Eigennutz.

Düster ist der Tonfall von „Cobain“, geprägt von Frank van den Eedens emotionaler Handkamera, die für ein solches Thema keine überraschende Wahl ist, aber funktioniert. Leopold sucht keine Erlösung ihrer Figuren aus der Tragik ihrer Lebensumstände. Einen Ausweg, so erscheint es am Ende, kann man eh nur in sich selbst entdecken.

In den Berliner Kinos Acud,B-ware! Ladenkino, Babylon Mitte, FSK, Sputnik am Südstern, Zukunft (alle OmU)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false