zum Hauptinhalt
Die Rapperin Ebow in „Revolt. She said. Revolt again / Mar-a-Lago“ am Berliner Ensemble.

© Julian Röder/Berliner Ensemble

Doppelpremiere am Berliner Ensemble: Nenn mich nicht Mümmi

Das Theater reagiert auf die MeToo-Debatte: Ein Feminismus-Doppel von Marlene Streeruwitz und Alice Birch am Berliner Ensemble.

Es wird ja immer gern geschimpft über die Verschnarchtheit des Theaters. Nicht nur, aber auch in der MeToo-Debatte. Regiemachismo, vorsintflutliche Abhängigkeitsstrukturen und ein beim frommen Goethe-Gretchen stecken gebliebenes Rollenbild: So weit, nur zur Erinnerung und in aller komplexitätsbefreiten Kürze, die kursierenden Schlagworte.

Es war dann, wenig überraschend, das diskursbewusste Maxim Gorki Theater, das zu Spielzeitbeginn vorpreschte und MeToo mittels zweier Uraufführungen als erstes Berliner Haus direkt auf die Agenda setzte. Leider referierten Yael Ronens „Yes but no“ und Suna Gürlers „You are not the hero of this story“ dann allerdings nur den Status quo, ohne neue Schlaglichter aufs Thema zu werfen oder gar einen Schritt weiter zu kommen.

Jetzt zieht das Berliner Ensemble nach. Und zwar nicht nur mit einem als „feministische Doppelpremiere“ gelabelten Zweieinhalbstünder im Studio, sondern mit einer ganzen Veranstaltungsreihe mit Titeln wie „Fokus: Gender“. „Querdenken, Gegenfragen, Widerspruch, Einspruch“ wird da im programmatischen Beipackzettel auf die kommenden „musikalischen Abende“, „Lecture Performances“ und Diskussionen eingestimmt.

Zwei Autorinnen, zwei feministische Generationen

Los geht’s aber freilich genuin dramatisch. Und zwar mit einem arg nach Dramaturginnen-Reißbrett klingendem Konzept, das überdies an akutem Offensichtlichkeitsverdacht laboriert: Zwei Autorinnen, zwei verschiedene (feministische) Generationen, mithin zwei Perspektiven aufs Sujet – inszeniert von einer Nachwuchsregisseurin auf der Studiobühne. Jawohl, das ist der Plan.

Die Dramatikerinnen heißen Alice Birch und Marlene Streeruwitz, sind 32 beziehungsweise 68 Jahre alt, feministisch bekanntermaßen diskurserfahren und haben in der Tat zwei höchst unterschiedliche Texte geschrieben. Welche die Regisseurin Christina Tscharyiski, die mit 30 Jahren für die Branche immerhin wirklich noch jung ist und über Berlin hinaus bereits vielversprechende Talentproben geliefert hat, nun wiederum irgendwie zusammenzubringen versucht.

Verquere weibliche Selbstermächtigungsstrategie

Birch, die englische Autorin, entwirft bewusst provokant eine Art Manifest des klassischen Geschlechterrollenkatalog-Fehlverhaltens und klopft es auf seine politische Durchschlagskraft ab. Das Resultat ist freilich wenig erbaulich. Gezeigt werden nacheinander lauter Szenen, in denen Frauen den Stereotypen-Spieß umdrehen. Die Protagonistin aus Nummer eins hat zum Beispiel keine Lust mehr, sich von ihrem Sexpartner den kopulationsvorbereitenden Halbsatz: „Und ich stecke meinen Schwanz...“ anzuhören. Sie will selbst mal „Erster“ sein und kündigt daher ein, dass sie ihre „Vagina nehmen werde und...“ An diesem Punkt unterbricht der Adressat sie mit dem Einwand, dass es sich bei der Vagina um „ein Loch“ handele, welches man folglich nicht „nehmen“ könne. Anita Vulesica und Sascha Nathan spielen das angemessen moralinfrei, wobei die Szenen später tatsächlich substanzieller werden.

Im vierten Auftritt etwa wird eine Frau (Lorna Ishema) von zwei dödeligen Supermarktangestellten verhört, weil sie sich mehr oder weniger nackt in den Obst- und Gemüsegang gelegt hatte. Zwischen stereotypen männlichen Sexismen („Niemand wollte ihre flabbrigen Oberarme sehen oder ihren Schweinebauch“) kommt schließlich eine verquere weibliche Selbstermächtigungsstrategie zutage. Nach dem Motto: So lange ich meinen Körper selbst anbiete, kann er nicht missbraucht werden.

Ein ungutes Gestrigkeitsgefühl breitet sich aus

„Revolt. She said. Revolt again“ heißt dieser Text denn auch programmatisch und wird auf der Bühne akkompagniert von eingeblendeten Leinwand-Revolutionsaufrufen, die freilich auf einen Totalbankrott hinauslaufen: „Revolutioniere die Arbeit (tue sie nicht)“ steht da zum Beispiel. Oder: „Revolutioniere die Welt (verbinde dich nicht mit Männern)“. Nun ja.

Für die Protagonistinnen aus dem zweiten Teil des Abends, Marlene Streeruwitz’ „Mar-a-Lago“, kommt dieser Rat ohnehin zu spät. Sie sind nämlich – fünf Schauspielerinnen zwischen 23 und 68 Jahren – fleißig dabei, sich die Edelmimen-Münder über das männliche Genie des Hauses zu zerreißen. Den Regisseur, mit dem sie allesamt irgendwann mal irgendetwas hatten oder haben – vom One-Night-Stand bis zum mittlerweile erwachsenen Kind. Und der sie alle „Mümmi“ nannte.

Nicht, dass in der Feminismus-Debatte nicht über weibliche Komplizenschaft geredet werden müsste. Aber so, wie Streeruwitz das tut in ihrer vermeintlichen Theater-Selbstbespiegelungsklamotte, für die im Hintergrund denn auch ein Videobild des Berliner Ensembles eingeblendet wird, wirkt das – bei allem Respekt – weniger wie eine spezifische Generationen-Perspektive. Vielmehr breitet sich ein ungutes Gestrigkeitsgefühl aus. „Voll-yesterday“, um mit René Pollesch zu sprechen. Dass der einem einfällt, hat einen guten Grund: Astrid Meyerfeldt, eine seiner früheren Protagonistinnen an der Castorf-Volksbühne.

Astrid Meyerfeldt als „King Lear“ - das wär's

Diese tolle, kraftvolle und im besten Sinne eigene Schauspielerin steht jetzt, neben den bereits genannten und ebenfalls tollen und eigenen Kolleginnen Ishema und Vulesica, auf der BE-Bühne und ruft in einer altbacken veralberten Frauendemo-Szene aus einem überdimensionalen pinkfarbenen Häkelpullover „Frauenpower now!“ heraus. Als „Mümmi“! Ausgerechnet Astrid Meyerfeldt, die bei Frank Castorf in dessen Gerhart-Hauptmann-Inszenierung „Die Weber“ in einer Proletarierinnen-Kittelschürze an einer bühnenfüllenden Webmaschine zugange war und jeden Typen, der ihr dabei in die Quere kam, in sozusagen naturalistischem Selbstbewusstsein zur Schnecke machte!

Man habe ihr den „King Lear“ angeboten, behauptet Meyerfeldts Mümmi einmal gegenüber ihren Mümmi-Kolleginnen. Und ja, das ist der Lichtblick des Abends! Alternativ-Vorschlag zum nächsten „Fokus: Gender“: Astrid Meyerfeldt spielt „King Lear“. In der Regie von Christina Tscharyiski, die sich hier wirklich redlich um zeitgemäße Regieeinfälle bemüht. Dürfte ein echter „Querdenker“-Knaller werden.

wieder am heutigen Montag sowie vom 20. bis 22.10.

Zur Startseite