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Des Menschen Freund, die Koralle. Riff auf den Raja Ampat-Inseln im Süden Indonesiens.

© Jason Suwandy/dpa/p-a

Donna Haraway: "Unruhig bleiben": Was den Planeten rettet? Die Entgrenzung der Arten

Die amerikanische Biologin Donna J. Haraway fordert eine neue Symbiose von Menschen, Tieren und Pflanzen – zum Wohle des Planeten.

Am Anfang war die Kopie: Mit der provokanten Vorstellung, dass Ursprung nur eine Fiktion und Natur ein Artefakt sei, elektrisierte Donna Haraway in den neunziger Jahren eine feministische Community, die im Entwurf weiblicher Friedensengel keinen Sinn mehr sah. „Manifest for Cyborgs“ überschrieb die kalifornische Biologin und Wissenschaftstheoretikerin ihre im Original 1989 erschienene Kampfschrift die von einer beunruhigenden Frage zur nächsten sprang: Was ist Natur? Unterscheiden sich Mensch, Tier und Maschine im Zeitalter artenübergreifender Schnittstellen und verflüssigter Mischungsverhältnisse? Was ist dieser Körper, der nicht von einem Außen, von einer zu bändigenden oder zu beseelenden Technik bedroht wird, sondern vielmehr gefährdet ist von inneren Differenzen? Was wird aus der Spezies Mensch, die im Prinzip nicht mehr reproduziert werden muss, sondern unendlich repliziert werden kann?

Damals führte Haraway „die Cyborg“ ein, von vielen rezipiert als Pop-Figur oder missverstanden als technophiles Unterstützungsangebot in Sachen selbstbestimmter Reproduktionstechnologie. Doch sie verstand diese der ScienceFiction-Literatur entlehnte Gestalt als Kombattantin im feministischen Widerstand. „Wir sind alle Cyborgs“, proklamierte sie in ihrem etwas später erschienenen, erst 2017 wieder aufgelegten Essayband „Monströse Versprechen“ (Argument), in dem ein weiteres Mal ihre tiefe Skepsis gegenüber Ursprungsmythen aller Art zum Ausdruck kam.

Macht euch verwandt, nicht Babys

Doch jede Zeit braucht neue Slogans, und Donna Haraway geizt mit ihnen nicht. Das Motto ihres neuen Buches „Unruhig bleiben – Die Verwandtschaft der Arten im Chtuluzän“ (Staying With the Trouble) lautet nun nicht mehr „Ich wäre lieber Cyborg als Göttin!“, sondern „Macht euch verwandt, nicht Babys!“ Gemeint ist, sich allen vom Aussterben bedrohten Kreaturen, den „Kritter“, zu verschwistern, statt die menschliche Spezies durch unendliche blutsverwandte Reproduktion zu vermehren. Denn diese, so Haraway, wird in 150 Jahren elf Milliarden erreicht haben mit „Bedürfnissen, die nicht ohne immensen Schaden für menschliche und nicht-menschliche Wesen überall auf der Erde befriedigt werden können.“

Donna Haraways Kritik gilt also in allererster Linie der anthropozentrischen Zurichtung einer Welt, die an der Abbruchkante steht, und deren „lächerlichen“ Heldenerzählungen, gleich, ob sie von einzelnen Subjekten handeln oder von geschichtlichen Mächten und Gesetzen. Gegen das vom Menschen beherrschte, ihm aber auch aus dem Ruder laufende Zeitalter des Anthropozän entwirft die 73-Jährige das „Chtuluzän“, eine mythologisch grundierte und von einer kalifornischen Spinne inspirierte „Anderswelt“, in der sich die Arten materiell, sprachlich oder narrativ „verweltlichen“ und dabei eine „virale Responsibilität“, also eine artenübergreifende ethisch motivierte Antwortbereitschaft, kultivieren.

Man kann sich das real denken oder eben imaginär, in Haraways Lesart handelt es sich um ein „Fadenspiel“, bei dem immer neue Figuren erzeugt, im Wechsel abgenommen und weitergegeben werden. Das Fadenspiel ist Sinnbild und Verfahren zugleich, darin zusammengeschlossen elektrisierende Denkbewegung und Handlungsaufforderung an viele Mitspielende.

Die Gedanken-Tentakel greifen weit aus

Wichtige Rollen übernehmen die Brieftauben aus dem „PigeonBlog“-Projekt der Künstlerin Beatriz da Costa, der Taubenschlag im Batman Park von Melbourne, Spinnentiere, Korallenriffe, Navarro-Churro-Schafe und Orchideen, aber auch Bakterien und Viren. Selbst Cayenne, Haraways inkontinente Hündin, ist Ausgangspunkt weitausgreifender gedanklicher „Tentakel“ – dies ebenfalls ein Programmbegriff –, die von tierischen und menschlichen Hormonen bis hin zu kanadischen Stuten führen, die in engen Boxen gehalten werden, um ihren Urin zu gewinnen. Niemand ist unschuldig, erzählt diese Geschichte, aber alle sind schuldig in unterschiedlichem Maß.

Als konsequente Materialistin, die sich gegen eine halbherzige Restaurierung ebenso wendet wie gegen jeden destruktiven Posthumanismus, ringt Haraway ihr Anschauungsmaterial der Natur ab (auch wenn sie einen solchen Gestus weit von sich weisen würde). Das artenübergreifende Überleben des Planeten stellt sie sich in Form einer Kooperation vor, Sympoiesis und Symbiogenese, die nicht auf einen jeweiligen Vorteil zielt, sondern auf ein kollektiv produzierendes System (Holobiont), evolutiv und fähig zu „überraschenden Veränderungen“.

Gefährtin auf allen Wegen. Donna J. Haraway und ihre Hirtenhünding Cayenne Pepper.
Gefährtin auf allen Wegen. Donna J. Haraway und ihre Hirtenhünding Cayenne Pepper.

© R/D

Ein beeindruckender Anmerkungsapparat zeugt davon, dass hier keine Frau unterwegs ist, die ihren Oktopussen, Korallen oder Spinnen lediglich Projektionen überstülpt. Aber Haraway ist eben nicht nur Biologin, sondern auch politische Aktivistin, die aus dem „Kompost“ der „Erdverbundenen“ (Bruno Latour) auch ein ethisches Bündnismodell abzuleiten versucht. Was hier „kompostiert“ wird, ist ein ziemlich heterogener, aus vielen Komponenten zusammengesetzter Stoff, der sich in amorphe Masse verwandelt und „Gase“ absondert.

Science Facts und Science Fiction wechseln sich ab

Auch wenn man Tauben und Spinnen, Viren und Pflanzen und überhaupt „Gaia“ dem menschenvernichtenden Zugriff entziehen möchte und das „Mit-Werden“ in existenzerhaltendem Sinn unterstützen mag, wird die artenübergreifende Erzählung doch zu einem Problem. Bei Haraway wird nie klar, auf welcher Ebene sie ihre Fäden gerade kreiert oder abnimmt: auf der des Stofflichen, Narrativen oder Künstlerischen. Im „SF-Modus“ mäandert sie zwischen Science Facts und Science Fiction, bedient sich ständig einer fragwürdigen Gartenmetaphorik, die man auch bei unromantischen Reproduktionsmedizinern finden kann, und strandet nicht selten in ihrem oft redundanten, assoziativen Bild- und neologistischen Sprachkompost.

Bedenkliches „Gas“ entströmt auch ihren bevölkerungspolitischen Visionen, die sie zwar, wie sie versichert, nicht in der bekannten Form gewaltsamer biopolitischer Geburtenkontrolle verstanden wissen will, sondern als Unternehmen freiwilliger Einsicht. Doch die den Band abschließende Science-Fiction-Erzählung von Camille, einem empathischen Kind aus der Gemeinschaft der „Kompostisten“, der im Jahre 2025 Gensequenzen des bedrohten Monarchfalters eingebaut werden und der man kursorisch über fünf Generationen hinweg folgt, erklärt nicht, mit welchen Mitteln diese drastische menschliche Dezimierung durchgesetzt werden soll. Ganz abgesehen davon, dass der leichtfertige Umgang mit Genmanipulationen für eine kritisch sensibilisierte Klientel wohl kaum akzeptabel wäre, selbst wenn man die – streckenweise auch kitschige – Camille-Geschichte nur als Parabel läse.

Bei aller Lust am betörenden Spekulieren ist unübersehbar, dass die Machtfrage bei Donna Haraway eher als anthropologische erscheint, denn politisch-sozial situiert wird. Immerhin ruft sie selbst dazu auf, den „Zustand unentschlossener Agitation“, in dem wir uns momentan befinden, zu beenden, um einer artenübergreifenden ökologischen Gerechtigkeit willen. Die ist aber, wie sie schreibt, nicht nur „nicht billig zu haben“, sondern auch nicht ohne radikalen Bruch mit dem sogenannten „Kapitalozän“. Sich „verwandt zu machen“ mit den Arten setzt zunächst voraus, dem zutiefst Inhumanen im Humanen den Kampf anzusagen.

Donna J. Haraway: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chtuluzän. Aus dem Englischen von Karin Harrasser. Campus, Frankfurt am Main 2018. 350 Seiten, 32 €.

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